Am 22. Oktober wird Giorgia Meloni zwei Jahre Italien als Ministerpräsident regieren. Die bisherige Amtszeit der 47jährigen verläuft für italienische Verhältnisse ruhig. Selbst ein nennenswerter Vertrauensverlust bei Wahlen ist bisher ausgeblieben. Den einen oder anderen Dämpfer gab es bei Regionalwahlen, aber zur EU-Wahl konnten die „Brüder Italiens“ (Fratelli d’Italia) ihr Ergebnis im Vergleich zur vergangenen Parlamentswahl noch einmal steigern. Mehr als 28 Prozent der Stimmen – es war der vorläufige Höhepunkt einer der erstaunlichsten Karrieren der europäischen Rechten, die relativ untypisch begann.
Mit 15 Jahren klopfte Giorgia Meloni in Rom an die Tür des Ladenlokals der Partei Movimento Sociale Italiano (MSI) zu deutsch: Italienische Sozialbewegung. Eine Partei, die die Kritiker als neofaschistisch beschreiben und deren geschichtliche Verbindungen sich bis zu Mussolini zurückverfolgen lassen.
Kürzlich verabschiedete ihr Kabinett ein Gesetz, das sie wiederum in die Nähe des faschistischen Prototypen rückte: Die Autorität von Lehrern soll gestärkt werden. 2023 seien mehr als doppelt so viele Angriffe auf Lehrkräfte verzeichnet worden wie im Vorjahr. Nun soll eine Betragensnote für den Unterricht eingeführt werden. Wer mehrfach stört, kann sitzenbleiben. Ein ähnliches Gesetz hatte der „Duce“ genannte Ministerpräsident Italiens in den 20er Jahren eingeführt. Deutsche Medien sahen umgehend einen „Rückfall in dunkelste Zeiten“. Lehrkräfte haben demnach künftig auch das Recht, Schüler aus disziplinarischen Gründen vom Unterricht zu suspendieren. In dieser Zeit sollen sich die Störenfriede „anderweitig in der Schule einbringen“. Wer mehr als zwei Tage Ausschluß kassiert, muß gar Sozialstunden ableisten. Lehrerverbände begrüßten die Reform im übrigen.
Mehr Aufregung gab es dagegen um eine Verfassungsreform. Auch hier zogen linke Medien umgehend Parallelen zum Faschismus. Die Reform, die in einer Kammer des Parlaments mit einfacher Mehrheit verabschiedet wurde, sieht vor, daß der Ministerpräsident in Zukunft nicht mehr vom Staatspräsidenten mit der Bildung einer Regierung beauftragt, sondern direkt vom Volk für fünf Jahre gewählt wird. Außerdem soll ein Mehrheitsbonus von 55 Prozent für die meistgewählte Partei eingeführt werden. Mit diesem Bonus soll der Wahlgewinner automatisch – auch wenn dieser nicht die absolute Mehrheit der Stimmen erhält – eine komfortable Mehrheit sowohl in der Abgeordnetenkammer als auch im Senat erhalten. Das Ziel seien stabilere Verhältnisse. Kein italienischer Ministerpräsident seit 1944 hatte die volle fünfjährige Legislaturperiode eine identische Regierungskoalition hinter sich.
„Die Mutter aller Reformen“ könnte scheitern
Daß die „Mutter aller Reformen“ durchgeht, ist aber noch keineswegs gewiß. Denn für jede Verfassungsänderung ist in Italien eine Zweidrittelmehrheit in den beiden Kammern des Parlaments nötig. Im Senat wurde das erforderliche Quorum bereits verfehlt. Damit eine mit einfacher Mehrheit verabschiedete Verfassungsänderung in Kraft gesetzt wird, ist eine Volksbefragung nötig. Zuletzt gab es eine solche 2016. Damals scheiterte Matteo Renzi und trat zurück. Giorgia Meloni geht ins Risiko.
Das scheute sie auch im Juli 1992 nicht. Nach einem kurzen Gespräch in dem kleinen römischen Laden wurde sie Mitglied der Jugendorganisation des MSI, der Fronte della Gioventù. Einige Jahre später sollte sie die erste weibliche Vorsitzende des Parteinachwuchses werden. Sie hat ihren Gang in die Politik immer wieder mit dem tödlichen Attentat auf den Anti-Mafia-Staatsanwalt Paolo Borsellino begründet. Die MSI wollte den Juristen als Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten nominieren.
Meloni wuchs mit ihrer älteren Schwester Arianna bei ihrer Mutter, die ebenfalls im MSI aktiv war, im kleinbürgerlichen römischen Viertel Garbatella auf. Der Vater, laut Melonis Aussage ein überzeugter Kommunist und Steuerberater, verließ die Familie, als Giorgia ein Jahr alt war. Biographen wollen in diesem Erlebnis den Ursprung für ihr Verhalten sehen, mit männlichen Mitbewerbern nicht zimperlich umzugehen und einen stabilen Anti-Kommunismus zu fahren. Bereits als Schülerin war sie politisch und gründete die Protestbewegung Gli Antenati (deutsch: „Die Vorfahren“) gegen die von der christdemokratischen Bildungsministerin Rosa Russo Iervolino eingeleitete Schulreform. Schon damals schien ihr Weg in die Politik vorgezeichnet.
„Ich bin Giorgia, ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin Italienerin, ich bin eine Christin“, so lautet ihr Credo, das sie bei zahlreichen Reden kraftvoll vortrug und das ihr auch in den sozialen Medien zu großer Bekanntheit über die Landesgrenzen hinaus verhalf. Daß sie sich im männerlastigen rechten Mikrokosmos durchsetzen konnte, verdankt sie drei Förderern. Einer ihrer wichtigsten Einflüsterer ist bis heute Fabio Rampelli, ein Urgestein der italienischen Rechten. Kritiker nennen ihn einen neofaschistischen Nostalgiker. Doch der riet der jungen Meloni in den neunziger Jahren, auf das richtige Pferd zu setzen. Das war damals Gianfranco Fini. Der smarte Jurist hatte sich darangemacht, die isolierte und radikale MSI zu reformieren und in ein Mitte-Rechts-Bündnis mit dem Unternehmer und Medien-Mogul Silvio Berlusconi zu geleiten.
Fini und die MSI nutzten den 1992 zu Tage getretenen Korruptionsskandal Tangentopoli, der einen massiven Vertrauensverlust zu den Regierungsparteien mit sich brachte. Als Fini 1993 in Rom bei den Oberbürgermeisterwahlen erst in der Stichwahl mit knapp 47 Prozent unterlag, stand eine junge, blonde Aktivistin am Wahlabend in unmittelbarer Nähe des Parteichefs auf der Bühne. Ihr Name: Giorgia Meloni. „Es gibt eigentlich zwei Melonis. Eine Meloni des Kampfes und eine der Regierung“, beschrieb ein italienischer Journalist den Charakter der heutigen Regierungschefin. Schon früh setzte sich die „Meloni der Regierung“, sprich die Politikfähige durch. So blieb sie auf Anraten Rampellis an der Seite Finis, als sich die MSI 1995 in die nationalkonservative Nationale Allianz umwandelte und der altfaschistische Haudegen Pino Rauti mit einigem Tamtam die „Fiamma Tricolore“ abspaltete, die sich die Werte des „alten MSI“ auf die Fahnen geschrieben habe. Inhaltlich habe Meloni Rauti näher gestanden als Fini, erzählen Weggefährten von damals. Doch an der Seite Finis macht Meloni schnell Karriere.
Meloni war schon immer politisch
Eine berufliche Laufbahn strebte sie nie wirklich an. 1996 schloß sie eine Sprachenausbildung an einer Hotelfachschule ab. Nach eigenen Angaben arbeitete sie zeitweilig als Kellnerin, als Barfrau in der Diskothek Piper und als Kindermädchen im Haushalt eines TV-Moderators. Aber schon 1998 gelang ihr der Sprung in den Provinzrat von Rom. „Ich habe sie gewählt, weil sie respektlos und gleichzeitig liebenswert war und sich perfekt dafür eignete, das Bild des harten und reinen rechten Kämpfers mit dem kahlgeschorenen Kopf zu zerstören. Mit ihr sind wir bei den Provinzwahlen von den letzten auf die ersten Plätze gekommen: ein Wunder“, sagt Rampelli heute. Schon längst bewegt sich Meloni damals im engsten Umfeld von Parteichef Fini, schafft es mit dessen Hilfe an die Spitze der Jugendorganisation. Er heuert sie als Redakteurin für die Parteizeitung an, Meloni ist damit durch die Politik versorgt. 2006, sie ist noch nicht einmal 30, zieht sie erstmals ins Parlament in Rom ein. Da ist die Nationale Allianz bereits Regierungspartei und etabliert. Auch Berlusconi, der zeit seines Lebens die Nähe blonder Frauen suchte, ist längst aufmerksam geworden.
Er setzt sich dafür ein, daß Meloni direkt zur Vizepräsidentin der Abgeordnetenkammer aufsteigt. 2008 macht er sie zur Jugend- und Sportministerin. Mit 31 ist sie die jüngste Ministerin, die Italien jemals hatte. Noch ist Meloni loyal, trägt den Schachzug mit, als Fini und Berlusconi sich darauf verständigen, ihre beiden Parteien zur konservativen Sammlungsbewegung „Volk der Freiheit“ zu verschmelzen.
Die Treue hielt sie nur zu ganz wenigen Männern
Meloni steht an der Spitze der gemeinsamen Jugendorganisation, und Alessandra Mussolini, Enkelin des Duces und zu der Zeit schon mit Fini über Kreuz, verhöhnt sie als „Flittchen der alten Männer“. Doch es gibt eben auch die „Meloni des Kampfes“. Während Fini Mussolini abschwört, nach Israel reist und die Aufnahme in die Familie der europäischen Christdemokraten erträumt, besucht Nachwuchschefin Meloni immer wieder Treffen von denen, die als Nostalgiker verschrieen sind. „Ich habe ein ruhiges Verhältnis zum Faschismus. Ich betrachte ihn als einen Abschnitt unserer nationalen Geschichte“, sagte sie damals.
Schon 2010 kommt es zum Bruch zwischen Fini und Berlusconi. Fini, damals Anfang 60, wollte nach einer beachtlichen Karriere als Außenminister und Präsident des Abgeordnetenhauses auch noch Regierungschef werden. Doch Berlusconi wollte der Platzhirsch bleiben. Das fragile Bündnis explodierte.
Fini gründete eine liberalkonservative Partei, die aber erfolglos blieb, Berlusconi reaktivierte seine Forza Italia. Meloni blieb noch einige Monate an der Seite des Medien-Unternehmers und vollzog dann einen politischen Schachzug, den ihr wohl nur die wenigsten zugetraut hätten.
Gemeinsam mit einigen Mitstreitern sicherte sie sich die Namensrechte der Alleanza Nationale sowie des alten Parteisymbols mit der dreifarbigen Flamme. Angelehnt an die italienische Nationalhymne gründete Meloni schließlich die „Fratelli d’Italia“ und formte ein neues Sammelbecken. Die Rechte habe in der Spätphase Berlusconis zu verschwinden gedroht und sie und ihre Mitgründer hätten den Gedanken nicht ertragen, als die Generation in die Geschichtsbücher einzugehen, welche die Rechte ermordet habe. Sie wolle die Rechte stärker denn je machen und der italienischen Nation wieder eine patriotische Regierung geben, sagte Meloni damals.
Heute hört sich das wie eine Prophezeiung an. Die nur 1,60 Meter große Vollblut-Politikerin schaffte es, viele ehemalige AN-Kader zur Mitarbeit zu bewegen. Hinzu kamen „Szenegrößen“ vom rechten Rand, wie Luca Romagnoli, in der Nachfolge Rautis langjähriger Vorsitzender der Fiamma Tricolore. Die „Meloni des Kampfes“ hatte wieder einmal eine Koalition mit der „Meloni der Regierung“ geschmiedet. Und dieses Bündnis hält erstaunlicherweise bis heute. Meloni erkannte die Zeichen der Zeit, verordnete der Partei einen strikten Oppositionskurs. Sie wolle erst regieren, wenn sie die Nummer eins sei, sagte sie damals. Bei der Europawahl 2014 scheiterten die FdI mit 3,8 Prozent knapp an der Vierprozent-Hürde. Journalisten sahen Melonis Projekt bereits vor dem Aus. Doch bereits zwei Jahre später gelang ihr ein Comeback.
Bei der Oberbürgermeisterwahl in Rom erzielte sie mehr als 20 Prozent. Zwei Jahre später zog ihre Partei mit mehr als vier Prozent in beide Parlamentskammern ein. 2019 wurde das Jahr des Durchbruchs. Mit 6,4 Prozent sicherten sich Meloni und ihre Truppe Mandate im EU-Parlament. Bei den Regionalwahlen gab es erstmals zweistellige Ergebnisse. Und während sich ihr rechter Mitbewerber Matteo Salvini und seine Lega in einer Vielparteien-Regierung zerrieben, wurde Meloni zur einzig anerkannten Oppositionspolitikerin des Landes.
Der Wahlsieg vor zwei Jahren fiel ebenso deutlich wie wenig überraschend aus. Viel erstaunlicher ist das politische Geschick der Ministerpräsidentin. Innenpolitisch bedient sie mit einem rigiden Anti-Einwanderungskurs und dem Kampf gegen „Gender-Gaga“ die Bedürfnisse ihrer Klientel. Außenpolitisch ist sie auf dem Straßburger und Brüsseler Parkett geschmeidig unterwegs. Längst gilt sie in EU-Kreisen als verläßliche Partnerin.
Während in der Heimat die Regierung erstaunlich stabil arbeitet, steht Meloni in Brüssel vor dem größten Coup ihrer politischen Laufbahn. Auf ihr Betreiben hin hat die christdemokratische Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den FdI-Mann Raffaelo Fitto als einen der Stellvertreter nominiert. Er hat gute Chancen, gewählt zu werden. Sollte es so kommen, wäre die italienische Rechte endgültig aus dem Dunstkreis Mussolinis herausgekommen. Und die „Meloni der Regierung“ hätte sich endgültig durchgesetzt.
Von den drei Männern, die sie förderten, ist nur noch Rampelli übriggeblieben. Ausgerechnet der rechte Hardliner, der stets an Meloni glaubte und den sie jetzt nicht fallenläßt. Erst als Fraktionschef, nun als Vizepräsident des Parlaments. Es ist – so schreiben italienische Medien – einer der wenigen Männer, die Einfluß auf die alleinerziehende Mutter haben. Von ihrem Lebensgefährten hatte sich Meloni kurz nach ihrem Wahlsieg getrennt. Die wichtigsten Ratgeber in ihrem Leben sind nach eigener Aussage ihre Mutter und ihre Schwester. Beide sind auch in der Partei aktiv.
Fotos: Giorgia Meloni wurde bereits 2008 Jugendministerin in der Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi: Italiens jüngste Ministerin, Meloni bekommt von dem Unternehmer Elon Musk einen Preis der US-Denkfabrik Atlantic Council überreicht (23. September 2024): Transatlantische Freundschaft, Die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni gilt vielen Rechten als Vorbild, anderen wiederum ist ihr Kurs zu nachgiebig: Hat sie eine Zeitenwende im chronisch instabilen Italien geschaffen?