© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/24 / 11. Oktober 2024

Beim Häuten der Zwiebel
Landtag Sachsen: Profitiert der AfD-Abgeordnete Jörg Dornau als Unternehmer von der Arbeit weißrussischer Häftlinge?
Gregor Hierholzer

Die AfD ist angetreten, um vieles besser zu machen, was aus ihrer Sicht unter den anderen Parteien falsch gelaufen ist. Freiheitsrechte nehmen im Grundsatzprogramm der Partei einen großen Raum ein – allerdings nur für die Bürger im eigenen Land. In innere Angelegenheiten anderer Staaten will sich die Partei explizit nicht einmischen.

Was sich gut liest, könnte allerdings dort zum Problem werden, wo AfD-Mandatsträger sich menschenrechtliche Unwuchten in Drittstaaten zunutze machen und damit Geld verdienen. Über genau diese Hürde stolpert derzeit die sächsische AfD angesichts der privatwirtschaftlichen Aktivitäten eines ihrer Mitglieder in Belarus. 

Denn der Landtagsabgeordnete Jörg Dornau geriet jüngst in die Schlagzeilen, weil er sein umfangreiches unternehmerisches Engagement in Belarus rund drei Jahre zu spät der Landtagsverwaltung angezeigt hat. Das ihm dafür auferlegte Ordnungsgeld in Höhe von 20.862 Euro ist durchaus saftig. Der Politiker aus dem Landkreis Leipzig, der seit Oktober 2019 dem Sächsischen Landtag angehört, ist im Zivilleben Landwirtschaftsmeister. Wie aus den inzwischen veröffentlichten Angaben hervorgeht, verdient er mit seinem weißrussischen Unternehmen Zybulka-Bel, mit dem er sich ein Zwiebel-Imperium aufgebaut hat, jährlich mindestens 130.000 Euro – Tendenz steigend. 

Das Problem dabei ist weniger die unternehmerische Betätigung in der Minsker Diktatur – im autokratischen China produzieren fast alle deutschen Konzerne. Und deutsche Firmen haben allein im Januar und Februar dieses Jahres Maschinenbauprodukte für über 80 Millionen Euro, für knapp 30 Millionen Euro Pharmazeutika und für knapp 42 Millionen Euro Chemieprodukte in den Iran verkauft. 

Auf Dornaus Zwiebelfeldern in der Region Grodno arbeiten aber, wenn man einem Bericht des weißrussischen Mediums reformby.org Glauben schenken darf, auch politische Häftlinge aus dem Isolationszentrum für Straffällige (IZS) in Lida für einen Hungerlohn von fünf Euro täglich, etwa ein Fünftel des durchschnittlichen Tagesgehalts in dem Land. „Sie brachten uns zu einer Lagerhalle“, berichtet ein Häftling mit schlichten Worten dem Medium. „Februar, Keller, jeder trug die Kleidung, die er eben hatte. Wir froren also an Händen und Füßen. Frühstück war um 7 Uhr, dann arbeiteten wir bis 18 Uhr ohne Essen und Trinken. Die Zwiebeln schmecken“, so der Gefangene über die Umstände seiner Arbeit in Dornaus Unternehmen. 

Was die Geschichte glaubhaft macht, ist nicht nur die eher wortarme Schilderung, sondern auch der Hinweis des Häftlings, der in dem Beitrag nur mit seinem Pseudonym „Andrej“ genannt wird, daß er keine Zwangsarbeit geleistet habe. Der Bericht ist gerade kein erwartbarer plump-abstrakter Vorwurf aus der linken Ecke gegen einen AfD-Politiker – sondern ein ernstzunehmender Hinweis, den ein sorgsam agierender Politiker auch entkräften können sollte.

Zur Einordnung: Völkerrechtlich ist zwischen einer Pflichtarbeit von Häftlingen einerseits und Zwangsarbeit andererseits zu unterscheiden. Die Vereinten Nationen haben zur Grundlage für den Zwangsarbeitsbegriff die Ausführungen des internationalen Übereinkommens Nr. 29 über die Zwangs- und Pflichtarbeit von 1930 gemacht. Arbeit ist demnach erst dann Zwangsarbeit, wenn sie nicht freiwillig getan und unter Androhung einer Strafe verlangt wird. 

Nach Artikel 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist es – abweichend übrigens von dem Übereinkommen von 1930 – unproblematisch, wenn die Arbeit während der Freiheitsentziehung zugunsten von Privatunternehmen ausgeführt wird, wie die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages zum Thema herausgearbeitet haben. Allerdings sei aus dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 eine gerechte Entlohnung auch für Strafgefangene abzuleiten. Belarus ist dem Pakt 1973 per Ratifizierung beigetreten.

„Für Meinungsfreiheit in der Welt einsetzen“

Laut „Andrej“, der Dornau auch persönlich gesehen haben will, habe die Haftanstalt Lida 30 Rubel täglich erhalten, der Häftling etwa 20 Rubel. Die Arbeitsverträge werden täglich neu unterzeichnet. Mit dem Geld sollten die Kosten für die Haft im IZS beglichen werden. Tatsächlich ist in Belarus die Arbeitspflicht für Häftlinge gesetzlich vorgesehen. Im Gefängnis Lida sitzen allerdings Häftlinge nicht nur wegen krimineller Tätigkeiten ein, sondern auch weil sie dem autokratischen System friedlich die Stirn geboten haben. Folter ist in den Haftanstalten an der Tagesordnung. 

Da das System Ex-Häftlinge auch abschiebt, wie etwa Ingenieurin Irena Biernacka aus Lida, die Recherchen der Welt zufolge nach durchlittener Haft nach Polen abgeschoben wurde, da sie der polnischen Minderheit in Belarus angehört, gibt es immer wieder glaubwürdige Schilderungen von den Haftbedingungen und den Foltermethoden. Amnesty International listet mehrere Schicksale auf, und auch die Deutsche Welle hat vor Jahren schon über die Umstände der Pflichtarbeit von Gefangenen in Belarus anhand mehrerer konkreter Fälle berichtet. Neu ist das Thema insoweit keineswegs. 

Auch die JUNGE FREIHEIT hat die aktuellen Haftbedingungen einer politischen Gefangenen in Belarus recherchieren können, die die Verhältnisse in dem Land bestätigen. Die junge Mutter, die wir Lydia nennen, hatte zuvor schon in Berlin gearbeitet, war nach Belarus zurückgekehrt, wurde wegen eines Facebook-Posts, der dem Lukaschenko-Regime nicht gefiel, verhaftet und kehrt nun Straßen. Ihre Familie ist aus Sicherheitsgründen nach Polen geflüchtet.

Zurück zu den Vorwürfen der bei Dornau beschäftigten Häftlinge: Über die Verhältnisse im IZS Lida berichtet „Andrej“ gegenüber reformby.org, daß Matratzen, Kissen und Bettdecken entfernt, Paketsendungen vorenthalten würden. Das Licht brenne rund um die Uhr, und mehrfaches Wecken nachts sei üblich. Statt einer Toilette stehe nur ein Eimer zur Verfügung– auch menschenunwürdige Behandlungen dieser Art sind Formen von Folter des Lukaschenko-Regimes, die Jörg Dornaus Mitarbeiter offenbar durchleben müssen. Die sächsische AfD-Landtagsfraktion erklärt gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, daß niemand „aufgrund seiner politischen Ansichten Nachteile erleiden oder sogar inhaftiert werden“ dürfe. „Wir erwarten von unseren Mitgliedern und allen Abgeordneten ganz besonders, daß sie sich für die Meinungsfreiheit in Deutschland und in der Welt einsetzen.“ 

Zu einer Bewertung der gegen Dornau erhobenen konkreten Vorwürfe „von einer weitestgehend anonym agierenden Person“ sieht sich die Fraktion allerdings nicht in der Lage. Als Rechtsstaatspartei nehme man „die Unschuldsvermutung sehr ernst“. Der AfD-Bundesvorstand wiederum verweist darauf, daß eine Klärung der aktuellen Vorwürfe zunächst Sache der Landespartei sei. Die wiederum hat nun ausdrücklich begrüßt, daß die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen in dem Fall aufgenommen hat. „Wir vertrauen der unabhängigen sächsischen Justiz“, so der sächsische AfD-Generalsekretär, Jan Zwerg. 

Nicht zum ersten Mal muß sich die Spitze der AfD-Fraktion in Dresden mit Dornau befassen. Er verbreitete in den Sozialen Medien gelegentlich betont kremlnahe Narrative. Nun ist eine dezidiert pro-russische Position in der Partei, zumal im Osten Deutschlands, nichts Ungewöhnliches. Allerdings muß es der Abgeordnete dabei offenbar auch in den Augen seiner Kollegen übertrieben haben. Daher habe man ihn vor rund zwei Jahren einem Bericht der Leipziger Volkszeitung zufolge zum Gespräch gebeten und die Löschung des monierten Beitrags bewirkt. AfD-Politiker Dornau, soviel ist sicher, hätte in seinem Betrieb in Belarus die Gelegenheit, sich für politische Häftlinge einzusetzen. Indem er sie für ein geringes Entgelt in seinem Zwiebel-Imperium beschäftigt, macht sich der Unternehmer die menschenunwürdigen Verhältnisse zunutze. Zumal diese Mitarbeiter, wie es einer von ihnen, „Andrej“, glaubhaft berichtet hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit regelmäßiger Folter ausgesetzt sind. 

Dornau, der innerhalb der AfD dem rechten Flügel zuzurechnen ist, muß sich vorwerfen lassen, sich an der Arbeitskraft dieser Menschen zu bereichern und eine Folterung seiner Mitarbeiter zumindest hinzunehmen; wo sein Einfluß vielleicht eine Milderung der Verhältnisse bewirken könnte. Eine Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit der Bitte um Stellungnahme ließ Dornau unbeantwortet. 



Foto: Treffen der AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag vor dessen konstituierenden Sitzung nach der Wahl am 1. September: „Unschuldsvermutung sehr ernst nehmen“