Ob es die Kirchen sind, die Gewerkschaften, Universitäten, Medien, Wirtschaftsvertreter, Stiftungen, Verlage, auch der Naturschutzbund, oder die Bundesvereinigung Lebenshilfe … wer politisch nicht abseitsstehen will, versucht per Handreichung den Umgang seiner Mitglieder und Mitarbeiter mit der AfD vorzuschreiben. Ganz zu schweigen von den politischen Gegnern der rechten Partei, die ignoriert und ausgegrenzt wird. Stichwort Brandmauer. CDU-Chef Friedrich Merz versprach einst vollmundig, die AfD zu halbieren. Gescheitert. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wollte die AfD als „Partei der schlechten Laune“ abtun. Gescheitert.
Die Strategie „Alle gegen einen“ ist – gemessen an den Wahlergebnissen – fehlgeschlagen. Gegründet im Februar 2013, hat sich die AfD längst einen festen Platz im kleinteilig gewordenen Parteiensystem erobert. Und schlimmer noch für die zahlreichen AfD-Gegner, der Parteispitze ist es sogar gelungen, große Teile der Jugend für sich zu begeistern. Außerdem sind aus vagabundierenden Protestwählern vielfach überzeugte Stammwähler geworden. Daß der Verfassungsschutz unter der Regie von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Gesamtpartei als „rechtsextremistischen Verdachtsfall“ einstuft und beobachtet, scheint ihr nicht zu schaden.
Was die etablierten Parteien zwar fassungslos, aber nicht machtlos gemacht hat. Mit ihren Mehrheiten haben sie im Bundestag und in den Landtagen die Rechte der AfD schrittweise beschränkt. Bis an die Schmerzgrenze, da verbürgte parlamentarische Minderheitenrechte leerzulaufen drohen. Der Sündenfall datiert bereits auf den 1. Juni 2017. Da war die AfD noch gar nicht im Bundestag. In den Nachtstunden stimmte der Bundestag dem Antrag der Großen Koalition zu, künftig solle nicht mehr das an Lebensjahren älteste Mitglied den neu gewählten Bundestag eröffnen, sondern das dienstälteste. Hatte doch der Wissenschaftliche Dienst ausgerechnet, daß mit einiger Wahrscheinlichkeit Wilhelm von Gottberg (AfD), ein langjähriges CDU-Mitglied, der älteste Parlamentarier sein würde. Flugs wurde die Geschäftsordnung geändert. Gegen die Stimmen der Grünen, bei Enthaltung der Linken. Eine Lex AfD. Statt Gottberg nahm der FDP-Politiker Hermann Otto Solms auf dem Präsidentenstuhl Platz. Die gute Ordnung war wiederhergestellt.
Seitdem sind die Rechte der AfD-Fraktion immer weiter begrenzt worden. Ihre Kandidaten für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten werden regelmäßig von der Mehrheit abgelehnt, obwohl die Geschäftsordnung vorsieht, daß jede Fraktion mindestens einen Vizepräsidenten stellt.
Insgesamt 27mal hat die Fraktion seit 2017 Bewerber ins Rennen geschickt. Vergebens. Und der fraktionsübergreifende Bann trifft seit 2021 auch die drei Ausschußvorsitze, die der AfD nach dem Zugriffsverfahren zustehen, sowie die Mitgliedschaft in dem für die Geheimdienste zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium. In der vergangenen Wahlperiode waren der AfD diese Mitwirkungsrechte noch zugestanden worden. Begründung für den Kurswechsel: Die Partei habe sich im Laufe der Jahre immer weiter radikalisiert. Einen anderen Akzent setzt Vizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP): „Nicht alles, was aus der AfD kommt, ist Mist.“ In der Tat könnte es ein Fall von Rechtsmißbrauch sein, wenn die Parlamentsmehrheit Kandidaten der Opposition allein wegen ihrer Fraktionszugehörigkeit ablehnt und nicht auf ihre persönliche Eignung abstellt. Die Aussicht der Opposition, zur Mehrheit zu werden, gehört zur Funktionsfähigkeit der Demokratie.
„Das ist wirklich der dümmste Antrag des Jahres“
Sämtliche Versuche, die Mehrheitsentscheidungen des Bundestags juristisch zu korrigieren, sind gescheitert. Das Benennungsrecht der Fraktion stehe außer Frage, doch kein Abgeordneter könne gezwungen werden, einen benannten Kandidaten auch zu wählen. So argumentiert nicht nur die Parlamentsmehrheit, sondern auch das von der AfD-Fraktion angerufene Bundesverfassungsgericht.
Noch in diesem Jahr wollen die Ampelfraktionen die Geschäftsordnung zu Lasten der AfD verändern. Das Selbstorganisationsrecht des Bundestags soll nicht länger als Begründung für Restriktionen herhalten, künftig soll der Gesetzestext Handhabe gegen die ungeliebte Fraktion bieten. Es nervt SPD, Grüne und FDP, daß die AfD regelmäßig Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten aufstellt, um an ihre Ungleichbehandlung zu erinnern. In Zukunft soll eine Fraktion nach dem dritten erfolglosen Wahlverfahren nur dann einen weiteren Kandidaten aufstellen dürfen, wenn ein solches weiteres Wahlverfahren von mindestens einem Viertel der Mitglieder des Bundestages unterstützt wird. Das bedeutet, die AfD kann zu Beginn der Wahlperiode einen Kandidaten aufstellen und hätte dann für die nächsten vier Jahre ihr parlamentarisches Pulver verschossen.
Auch in den Landtagen sind Ausgrenzungen der AfD an der Tagesordnung, wenngleich das Vorgehen uneinheitlich ist. Gerade erst hat die Parlamentsmehrheit von CDU bis zur Linken im neugewählten thüringischen Landesparlament in einer turbulenten Sitzung die Geschäftsordnung geändert. Damit wurde verhindert, daß die AfD als stärkste Fraktion ihr Vorschlagsrecht für das Amt des Parlamentspräsidenten ausüben konnte. Gewählt wurde ein CDU-Politiker. Treibende Kraft war übrigens die CDU, deren Fraktionschef Mike Mohring sich 2018 bitter über die Nichtwahl eines Unionskandidaten beklagt hatte. „Das Vorschlagsrecht“, ein „gemeinhin akzeptierter Brauch“, liege bei der stärksten Fraktion, seiner CDU (JF 41/24). 2024 will die CDU davon nichts mehr wissen, wirft der AfD gar „Machtergreifung“ vor. Nazi-Vergleiche. Die AfD soll jetzt einen Vizepräsidentenposten erhalten.
Im benachbarten Freistaat Sachsen scheinen die Vorbehalte gegenüber der AfD geringer. In der konstituierenden Landtagssitzung rieben sich die Abgeordneten bei der Bekanntgabe der Wahlergebnisse für die Vizepräsidenten die Augen. Während die Kandidaten des BSW und der SPD mehrere Anläufe brauchten, schaffte AfD-Mann André Wendt gleich im ersten Wahlgang die Wiederwahl mit deutlicher Mehrheit. „Damit ist die Brandmauer praktisch gleich in der ersten Sitzung des neuen Landtages Makulatur“, freute sich AfD-Parlamentsgeschäftsführer Jan Zwerg. Offenbar haben sich CDU und AfD gegenseitig unterstützt.
Was sich in den nächsten fünf Jahren auszahlen könnte. Stichwort Sperrminorität. Gewinnt eine Partei mehr als ein Drittel der Stimmen wie die AfD in Thüringen und Brandenburg, kann sie Einfluß nehmen auf die Wahl von Landesverfassungsrichtern sowie Verfassungsänderungen oder die Auflösung des Parlaments verhindern. In Sachsen fehlt der AfD ein Mandat für die Sperrminorität, doch hat der parteilose Freie-Wähler-Einzelabgeordnete Matthias Berger durchblicken lassen, abhängig vom Einzelfall mit der AfD zu stimmen.
Die AfD hat also infolge der Landtagswahlen in West und Ost an politischer Macht gewonnen, ist jedoch von einer Regierungsbeteiligung oder gar Übernahme nach wie vor weit entfernt. Der Rechtsweg endete in Karlsruhe meist in einer Sackgasse.
Bleibt die Dauerdiskussion über ein Verbot der Partei. Auf Initiative des sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz wollen knapp 40 Parlamentarier einen Verbotsantrag im Parlament einbringen. Das Echo ist vielfältig. Führende Ampel-Politiker wie Justizminister Marco Buschmann (FDP) oder Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sind ebenso dagegen wie etwa Alt-Bundespräsident Joachim Gauck, CDU-Chef Friedrich Merz, CSU-Chef Markus Söder. Grünen- und Linken-Politiker sind eher dafür. „Das ist wirklich der dümmste Antrag des Jahres und ein Wahlkampfgeschenk par excellence an die AfD aus der Mitte des Bundestages“, postete Parteichefin Wagenknecht. Das BSW plädiere für eine sachliche Auseinandersetzung. Dem Antrag werden kaum Chancen eingeräumt. Den Initiatoren geht es wohl mehr darum, das Thema „AfD-Verbot“ in der Diskussion zu halten.