© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/24 / 04. Oktober 2024

White is beautiful
Das weiße T-Shirt ist eine oft unterschätzte Ikone der Mode: Das derzeit beliebteste kommt aus Deutschland
Gil Barkei

Die Damen haben das kleine Schwarze. Die Herren das kleine Weiße. Früher war es und für viele Anhänger der klassischen Mode bleibt es einfach „nur“ ein Unterhemd. Doch James Dean und Marlon Brando haben das weiße T-Shirt in den Fünfzigern unter Kragen und Dreiteiler hervorgeholt und zur Ikone gemacht. Einfach, simpel, funktional und erschwinglich. 

Ein gängiges Bonmot bringt es auf den Punkt: Ein Shirt an einem gut gebauten Körper sieht besser aus als ein Anzug an einem schlecht gebauten Körper. Ein T-Shirt zu tragen muß Mann sich fitneßtechnisch leisten können. Ein Jackett kann noch ein wenig kaschieren, Stoff direkt auf der Haut nicht. Die stereotype Vorstellung vom verspotteten Proleten oder Habenichts, den Mann insgeheim ein Stückweit beneidet und Frau heimlich begehrt, lebt auch von diesem Bild – wenn es denn tatsächlich ein Hingucker ist.

In bunten Farben oder mit witzigen bis politisch zugespitzten Aussagen und Logos versehen, ist die einst „versteckt“ getragene Wäsche zu einem offensichtlichen Signal geworden, oft sogar ein Statement, ein Protest, eine Solidaritäts- oder Standpunktbekundung. Marken, Konterfeis, Embleme oder bestimmte Farben dienen der ideologischen Schubladensortierung: Lonsdale, Che Guevara, Lambda oder einfach nur gelb (in Thailand die Farbe der Loyalität zum König).

Modisch lange belächelt und unterschätzt, hatte das T-Shirt so bald eine gewisse Zeichen- und Werbewirkung; für fast jeden relativ schnell individuell gestaltbar mit dem nächsten Copy Shop oder Online-Druckservice. Anfang der neunziger Jahre im Schatten von Jeans und Unterhosen von Calvin Klein mit Mark Wahlberg und Kate Moss als globalen Marketing-Gesichtern wurde das T-Shirt endgültig zur Popkultur. Der Coca-Cola-Light-Mann schwitzte darin oder zog es gleich aus, der durchtrainierte Mann als Objekt – hat damals keinen interessiert, #metoo. Gleichzeitig brauchten Sexsymbole wie Pamela Anderson nur ein banales „Boyfriend Look“-Leibchen, um den Herrschaften den Kopf zu verdrehen.

Platz für Zeichen und Standpunkte

Heute hat sich „das Shirt“ – allen Farben und Motiven zum Trotz in erster Linie das weiße – in der Modewelt etabliert und zu seinem großen Bruder, dem weißen Oberhemd, aufgeschlossen. Laut Glamour das „perfekte Basic“. Mann oder Frau trägt es unter Westen, Cardigans und zum Leidwesen vieler Traditionalisten sogar unter dem Sakko. Von eng anliegend bis „oversized“, von Rundhals bis V-Ausschnitt, von elastisch bis reine Baumwolle, gibt es unzählige Variationsmöglichkeiten. Bei classic, regular, slim, extra slim fit verliert der Konsument zunehmend den Überblick, genauso wie bei den unzähligen Marken zwischen billiger Fast Fashion und teurer vermeintlicher Luxusmode.

Das beliebteste T-Shirt dürfte wohl aber derzeit aus Deutschland kommen. Als öffentlich bekannt wurde, daß der New Yorker Schauspieler Jeremy Allen White in der momentan gehypten Serie „The Bear“ in seiner Rolle als Chefkoch Carmy ein weißes Shirt von Merz b. Schwanen aus Baden-Württemberg trägt, wurde der Online-Laden der kleinen, vor wenigen Jahren wiederbelebten Textilfabrik aus Albstadt-Tailfingen überrannt. Der Bestand an mittelschweren „215 Men’s loopwheeled T-Shirt, 245g/qm, classic Fit“ ist ausverkauft – bei einem Preis von 85 Euro. Interessenten können sich für einen Newsletter anmelden, um informiert zu werden, wenn wieder neue Hemdchen verfügbar sind. Der Versand in die USA, UK und Europa ist bei einem Bestellwert ab 250 Euro gratis. 

Das „215“ will als Bestandteil der in Deutschland produzierten Linie „Good Originals“ an die Traditionen anknüpfen, als die Region noch ein Zentrum der deutschen Bekleidungsindustrie war. Es wird in aufgearbeiteten historischen Rundwirkmaschinen hergestellt, vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Sechziger Garant für Topqualität, dann aus Effizienzgründen aussortiert, weil sie langsamer arbeiten als moderne Strickmaschinen. Mittlerweile ziert das Schwanen-Logo „Flagshipstores“ in Berlin-Mitte und New York. Ob der Bauarbeiter oder Lieferant aus der Coca-Cola-Reklame dort seine T-Shirts kaufen gehen würde?