© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/24 / 04. Oktober 2024

Wenn Welfen Sezession wollen
1924 scheiterte der Versuch, per Plebiszit Teile Hannovers von Preußen abzutrennen
Volker König

In der von Wilhelm Busch gezeichneten Satire-Geschichte „Die Separatisten“ geht es um ein Treffen welfentreuer Hannoveraner, die in bierseliger Atmosphäre am Stammtisch den Preußen richtig eins auswischen wollen und einen Umsturz planen. Ihr Ziel ist die Wiederherstellung des 1866 von Preußen annektierten Königreiches Hannover. Natürlich platzt ihr Vorhaben in Wilhelm Buschs Groteske.

Nicht um einen Staatsstreich, sondern vielmehr um einen zutiefst demokratischen Vorgang handelte es sich indes vor einhundert Jahren, als in der preußischen Provinz Hannover sich die Deutsch-Hannoversche Partei (DHP) zu einer Volksabstimmung vorbereitete. Die auch als „Welfenpartei“ bezeichnete DHP war nach der preußischen Einverleibung Hannovers gegründet worden und verfolgte neben der Wiederherstellung des Landes auch großdeutsch-föderalistische Ziele. Im November 1923 hatte die DHP den entsprechenden Zulassungsantrag zu einer „Vorabstimmung“ bei der Reichsregierung eingereicht. Wohlgemerkt, einer Vorabstimmung zu einer Volksabstimmung. So demokratisch ging es in der Weimarer Republik zu.

Alle anderen Parteien von links bis rechts waren dagegen

Abstimmen wollte man über die Frage:  „Soll eine Abstimmung für folgende Frage stattfinden: Soll die Provinz Hannover mit Ausnahme des Regierungsbezirks Aurich aus Preußen ausscheiden, um ein Land zu bilden?“ Im Wahlkampf zu dieser Vorabstimmung agitierten alle anderen Parteien von links bis rechts (mit Ausnahme des Zentrums, das sich weitgehend neutral verhielt) einmütig gegen die Deutsch-Hannoveraner. So verbreitete die SPD ein Plakat „Wer welfisch stimmt, sprengt das Reich“. Die Deutsch-Hannoveraner konterten mit Plakaten und Flugblättern, auf denen ein Kamel abgebildet wurde, das mit treu-doofem Gesichtsausdruck erklärte, es vertraue ganz dem hannoverschen Oberpräsidenten und früherem Reichswehrminister Gustav Noske. Dieser hatte nicht nur 1919 den kommunistischen „Spartakus-Aufstand“ mit Hilfe von Freikorps niedergeschlagen lassen, sondern galt seit dem der DHP unterstellten konservativ-monarchistischen aber antipreußischen „Welfen-Putsch“ gleichzeitig zum Kapp-Putsch 1920 auch als deren konsequenter Gegner. In dem Wahlkampf der DHP kam in der Innenstadt von Hannover im übrigen auch erstmals elektrische Leuchtreklame zum Einsatz.

Am Ende votierten 25,5 Prozent für die Durchführung einer Volksabstimmung. Ein Drittel der Wähler wäre nötig gewesen; der Traum war also geplatzt. Lediglich in der Nordheide, im Wendland und in der Region um Celle erreichten die Welfentreuen Mehrheiten. Die Deutsch-Hannoveraner nahmen nach dem Mißerfolg zwar an Stimmen bei Wahlen ab, blieben aber bis 1933 im Reichstag vertreten, teilweise mit anderen konservativen Kleinparteien verbunden. Und danach gingen auch für sie die Lichter aus.