Als „Tag der Republik“ wurde die Gründung der DDR dort regelmäßig am 7. Oktober gefeiert, letztmalig 1989 zum 40. Jahrestag. Der Realität entrückt, zelebrierte sich die greise Führung des SED-Staates noch einmal, samt „Ehrenparade“ der NVA. Gegen oppositionelle Protestdemonstrationen, die den Machthabern als „konterrevolutionäre Ansammlungen“ galten, deutliche Zeichen des immer weiter um sich greifenden Unmuts in der Bevölkerung, wurde entschieden vorgegangen. Der führende sowjetische Staatsmann Michail Gorbatschow, der als Gast zu den Feierlichkeiten geladen war, bewies ein besseres Gespür für die Zeichen der Zeit.
Vielfach kolportiert wurde seine Mahnung gegenüber DDR-Staatschef Erich Honecker: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Mag es sich bei diesem prägnanten Satz um eine Formulierung anderer handeln, inhaltlich behielt Gorbatschow recht. Keine zwei Wochen später erfolgte der Sturz Honeckers, am 9. November 1989 der Fall der Mauer. Damit war der „erste Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“ Geschichte. Nach einem kurzen Intermezzo mit unter demokratischen Verhältnissen gewählten Regierung erfolgte am 3. Oktober 1990 der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik (Seite 20).
Die noch immer Rätsel aufgebende Festlegung dieses historisch beziehungslosen Datums für den „Tag der Deutschen Einheit“ soll auch davon beeinflußt gewesen sein, einem 41. Jahrestag der DDR zuvorzukommen, um den beharrenden Kräften eines sozialistischen Teilstaates keine agitatorische Bühne zu bieten. Wenn derartige Überlegungen tatsächlich eine Rolle spielten, wäre dem Tag im nachhinein eine Bedeutung beigemessen worden, die er für die DDR-Bevölkerung niemals hatte. Und zwar von Beginn an nicht. Die Anteilnahme war abseits der SED-geführten Inszenierungen bereits am 7. Oktober 1949 und den Folgetagen äußerst gering. Damals war zudem davon auszugehen, daß es sich bei dem begründeten „Staat“ um ein vergängliches Provisorium handeln würde.
In der Tat war die Entscheidung für einen Teilstaat erst kurz zuvor gefallen. Gelenkt von Moskau aus, hatte die SED, flankiert von den von ihr willfährig gemachten anderen Parteien und Organisationen, lange eine Linie verfolgt, die Ansprüche auf Deutschland als Ganzes erhob. Durch ihr wirtschafts- und gesellschaftspolitisches sowie ideologisches Agieren waren in der Sowjetischen Besatzungszone allerdings frühzeitig Weichen gestellt worden, die die Möglichkeit einer Annäherung an den westdeutschen Teil immer unwahrscheinlicher werden ließen. Auch widersprüchliche Tendenzen – Drängen der SED auf eigene Regierung, Bremsen der Sowjets – waren auszumachen. Namentlich Stalin, für den die DDR abseits von strategischen Überlegungen auch ökonomisch alles andere als ein Gewinn war, war zögerlich. Folgt man dem Historiker Rolf Steininger, so blieb für Stalin selbst nach der Gründung offen, ob es vorteilhafter wäre „die DDR zu stabilisieren und sie in den Ostblock zu integrieren oder aber als Trumpfkarte im gesamtdeutschen Poker an einem bestimmten Punkt zur Disposition zu stellen, um so doch noch Einfluß auf ganz Deutschland zu gewinnen“.
Spaltung konnte propagandistisch dem Westen angelastet werden
Nachdem in der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs eine Vielzahl von Ideen und Vorschlägen bezüglich einer Aufteilung Deutschlands eingebracht worden war, hatten sich die Alliierten auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 auf vier Besatzungszonen geeinigt. Das hehre Vorhaben der ungleichen Verbündeten, Deutschland als Ganzes zu verwalten und zentrale Instanzen zu schaffen, galt spätestens mit dem Abbruch der Londoner Außenministerkonferenz im Dezember 1947 als gescheitert. Nachdem der Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland, Wassili Sokolowski, am 20. März 1948 den Alliierten Kontrollrat aus Protest gegen die Politik der Westmächte verlassen hatte, war die oberste Besatzungsbehörde obsolet geworden.
Parallel zur Londoner Konferenz, deren Scheitern sich abzeichnete, hatte die in der Sowjetzone dominierende SED zu einem „Deutschen Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden“ geladen, der sich für eine gesamtdeutsche Regierung stark machte. Delegierte aus „antifaschistisch-demokratischen“ Parteien und Organisationen waren geladen, die Beteiligung aus den Westzonen war gering. Politiker wie der Vorsitzende der Ost-CDU Jakob Kaiser, die sich gegen die sowjetgesteuerte Veranstaltung stellten, wurden kurzerhand abgesetzt. Zwei weitere „Volkskongresse“ sollten folgen. Lediglich der letzte war gewählt. Per Einheitsliste, zur Enttäuschung der SED-Machthaber trotz Manipulation allerdings nur mit einem wenig überzeugenden Ergebnis. Aus dem „Volkskongreß“ ging ein „Volksrat“ hervor, ein pseudoparlamentarisches Gremium. Um Pluralismus nach außen zu demonstrieren, übernahm hier nicht nur der SED-Vorsitzende Wilhelm Pieck eine Führungsfunktion, sondern neben anderen auch der neue, willfährige Ost-CDU-Vorsitzende Otto Nuschke.
Erstmalige Zweifel der Sowjets an einer Erhaltung der deutschen Einheit waren im Mai 1948 zu erkennen. Man glaubte nun, zwei Landesteile ausmachen zu müssen, „welche sich nach verschiedenen Gesetzen entwickeln“. Aus der SED wurde eine „Partei neuen Typs“, eine Kaderpartei, formiert. Allerdings verblieb die Entwicklung in der Sowjetzone weitgehend reaktiv. Während in den westlichen Besatzungszonen mit den Frankfurter Dokumenten und dem Parlamentarischen Rat der Weg in Richtung Bundesrepublik eingeschlagen wurde, sah man von der Schaffung staatlicher Strukturen im eigenen Bereich vorerst noch ab.
Im März 1949 nahm der „Volksrat“ den Verfassungsentwurf für die „Deutsche Demokratische Republik“ an, der unter anderem das „Blocksystem“ festlegte, die Justiz der „Volksvertretung“ unterordnete und mit dem Straftatbestand der „Boykotthetze“ ein flexibles Vorgehen gegen unliebsame Kritiker ermöglichte. Trotz der sichtlich gegenteiligen Entwicklung setzten die Sowjets bis weit nach der Konferenz der Pariser Außenminister, die vom 23. Mai 1949 an für einen knappen Monat tagte, auf die Herstellung einer deutschen Einheit in ihren Sinne, wobei wohl auch an eine Lösung gedacht war, wie sie sich zu dieser Zeit für das ebenfalls von den Siegermächten besetzte Österreich abzuzeichnen begann.
Beschlossen wurde die Konstituierung der DDR mit der Wahl Konrad Adenauers zum Bundeskanzler am 15. September 1949. Die SED-Spitze wurde nach Moskau befohlen, erwartungsgemäß legte sie am 19. September „Fragen zur Überprüfung“ vor, womit das Vorgehen bezüglich einer Regierungsbildung abgestimmt und -gesegnet wurde. Die Initiative zur Spaltung konnte propagandistisch dem Westen angelastet werden. Am 7. Oktober konstituierte sich der „Volksrat“ als provisorische „Volkskammer“. Die – gelenkten – Wahlen sollten erst ein Jahr später stattfinden. Formell übertrugen die Sowjets sämtliche Verwaltungsbefugnisse auf die provisorische DDR-Regierung. Pieck wurde Präsident, sein SED-Co-Vorsitzender Otto Grotewohl, ehemals SPD, Ministerpräsident, wobei Walter Ulbricht der wirkmächtigste Mann der Partei blieb. Am 4. Oktober 1949 hatte ein führender Funktionär das Selbstverständnis der SED zum Ausdruck gebracht, indem er erklärte, „wenn wir eine Regierung gründen, geben wir sie niemals wieder auf. Weder durch Wahlen, noch andere Methoden“. Ulbricht hatte hinzugefügt: „Das haben einige noch nicht verstanden!“ Den Fackelzug zur DDR-Gründung hätten die Sowjets am liebsten untersagt. Den Teilstaat und die Verfestigung der Teilung betrachtete man nur bedingt als Erfolg.
Foto: Regierung der DDR: im Oktober 1949, in der ersten Reihe Ministerpräsident Otto Grotewohl (4.v.l.) und daneben der stellvertretende Vorsitzende im Ministerrat Walter Ulbricht (3.v.l.), der als wichtigster Funktionär der SED jedoch die eigentliche Macht ausübte: Die Sowjetunion wollte ihre Besatzungszone möglichst lange als Trumpfkarte im gesamtdeutschen Poker behalten