Ganze 114 Prozeßtage dauerte der sogenannte Bushido-Prozeß, der eigentlich ein Prozeß gegen dessen ehemaligen Geschäftspartner Arafat Abou-Chaker und drei seiner Brüder war. Am Ende wurde der als Clan-Chef geltende Berliner in den meisten Anklagepunkten freigesprochen. Nun hat der Rap-Manager ein Buch veröffentlicht, in dem er „Klartext“ über seinen einstigen Freund und „Partner in Crime“ Anis Mohamed Youssef Ferchichi aka Bushido spricht. Um dieses wichtige Stück deutscher Literaturgeschichte zu bewerben, hat der palästinensischstämmige Unternehmer einen eigenen Youtube-Kanal eröffnet, auf dem er sich mit wechselnden Gästen – meist aus der hiesigen Hip-Hop-Szene – über seine und deren Erfahrungen mit dem Mann unterhält, der den deutschsprachigen Gangster-Rap salonfähig machte und dafür einst vom Burda-Verlag mit dem Bambi für Integration ausgezeichnet wurde.
Auch auf der Jugendplattform TikTok spricht Arafat in kurzen Clips und langen Live-Streams regelmäßig darüber, wie Bushido zum deutschen „King of Rap“ wurde und vor allem darüber, wie groß sein Anteil an diesem Erfolg gewesen sein soll. Obgleich die Führungsfigur der „Bürgerkriegsflüchtlingsfamilie“ eigentlich kein Clan-Führer sein will, betont er dabei auch immer, wie wichtig es für den „Tempelhofer Jungen“ hierfür gewesen sei, daß er die berüchtigten Abou-Chakers in Berlin als „Rücken“ gehabt habe.
Mit seinen Online-Auftritten ist Arafat auf einen Zug aufgesprungen, der derzeit als erfolgreicher Trend durch die Sozialen Medien rollt. Waren dort „True Crime“-Formate, in denen von Journalisten und Podcastern über reale Kriminalfälle gesprochen wurde, schon lange sehr beliebt beim Publikum, werden diese inzwischen mehr und mehr durch solche ergänzt, in denen echte Unterweltgrößen und Ex-Kriminelle ihre Geschichten direkt aus der eigenen Perspektive besprechen.
Reichlich Klicks für Anekdoten und ausschweifende Lebensstile
Vor allem ehemalige, aber auch aktive Mitglieder der Hells Angels scheinen in dieser Unterhaltung eine neue Einnahmequelle gefunden zu haben. Einer dieser Social-Media-Höllen-Engel ist der in Erbach im Odenwald geborene Christian Eckerlin. Dem 37jährigen kann man dabei zumindest nicht absprechen, daß er eine durchaus interessante Lebensgeschichte aufzuweisen hat – übrigens auch außerhalb seiner Karriere bei dem sagenumwobenen Rocker-Club. Eckerlin spielte in seiner Jugend Fußball beim SV Darmstadt 98 und schaffte es dort immerhin bis in die U23 und später sogar in den Kader der ersten Mannschaft des Vereins, wo er sich allerdings nicht als Stammspieler etablieren konnte. In einer sportlichen Neuorientierung wendete sich Eckerlin dem Mixed Martial Arts (MMA) zu, wo er heute der amtierende Mittelgewichts- und Weltergewichtschampion der German MMA Championship (GMC) ist. Außerhalb des MMA-Käfigs betreibt der sportive Hells Angel mehrere Amüsierbetriebe und einen eigenen Youtube-Kanal, auf dem er seinen Lebensstil präsentiert. Es geht um hartes Training, schnelle Autos, Tattoos, Luxusurlaube – und strafrechtlich relevante Anekdoten. Allerdings spielt seine Tätigkeit als Erotikbar-Besitzer in der multimedialen Selbstdarstellung eher eine kleine Rolle.
Ganz anders als bei einer anderen Frankfurter Szene-Größe. Der Youtuber und Bordell-Betreiber „Werner Frankfurt“ macht keinen Hehl daraus, woher das Geld für seine teuren Karossen und all die Annehmlichkeiten des Lebens, die auch er seinen Zehntausenden von Zuschauern gerne zeigt, kommt. Seine Videos betitelt er mit Beschreibungen wie „Bordellbetreiber in Frankfurt übernimmt neuen Geschäftszweig“, „Alltag im Leben eines Puffbesitzers“ oder „Neues Luxusbordell von Werner Frankfurt“. Was den Content der Rotlichtgröße von dem vieler seiner Kollegen unterscheidet, ist ein durchaus ausgeprägter Sinn für Ironie und seine durch die ursprünglich fränkische Herkunft geprägte sympathische Mundart.
Deutlich ernster geht es auf dem Youtube-Kanal zqnce zu. Dort berichtet unter anderem der Aussteiger Kassra Zargaran über die Schattenseiten der für viele anscheinend attraktiv wirkenden Welt der Motorrad-Clubs. Der breitgebaute Ex-Rocker war jahrelang Teil der Berliner Hells Angels. Bis 2014 ein Mord in einem Wettbüro im Stadtteil Reinickendorf alles veränderte. Plötzlich drohte dem gebürtigen Hamburger eine lebenslange Haftstrafe, für eine Tat, von der er laut eigenen Angaben gar nichts wußte. Seine einzige Chance: Er wechselte die Seiten und sagte vor Gericht gegen seine ehemaligen „Brüder“ aus. Seitdem ist er „Out in Bad Standing“. Was dies für ihn und sein Leben bedeutet, kann man sich lebhaft vorstellen oder sich von ihm selbst in der gleichnamigen Video-Reihe schildern lassen.
Die Begeisterung des Internet-Publikums für die „schweren Jungs“ ist jedoch mitnichten ein rein deutsches Phänomen. Dies zeigen erfolgreiche internationale Kanäle wie der von Salvatore „Sammy The Bull“ Gravano, einem Italo-Amerikaner, der sich in den 1970er Jahren der New Yorker Cosa Nostra angeschlossen hatte und nach mehreren teils langjährigen Gefängnisaufenthalten offenbar eines Besseren besonnen hat und heute offen über seine Zeit als Teil der „Familie“ spricht.
Teil der Colombo-Familie, die als eine der erfolgreichsten kriminellen Geldmachmaschinen seit der Gruppe um Al Capone gilt, war auch Michael Franzese. Der in den Medien auch als „Yuppie Don“ bekannte New Yorker und heutige Youtuber ist bereits 1987 aus der Organisation ausgestiegen, ohne allerdings diese laut eigenen Aussagen zu verraten oder ihr irgendeinen Schaden zuzufügen. Dennoch spricht auch er heute offen über seine Zeit als Krimineller und versucht über seine Videos und Auftritte als Redner auf christlichen Konferenzen und in Gefängnissen Jugendliche auf den rechten Weg zu bringen.
Von der Popularität und Authentizität der früheren Schwerkriminellen wollen inzwischen auch viele eher milieufremde Medienmacher profitieren, was Ex-Knackis und ehemalige Verbrecher zu gerngesehenen Gästen in Formaten wie Insiders „How crime works“ oder der Reihe „Besuchszeit“ auf dem Youtube-Kanal 26ixTV macht. Hier geben sie ausführlich darüber Auskunft, wie die Gangs, Clans und maliziöse Kreise, in denen sie sich einst bewegten, tatsächlich funktionieren.
Fotos: Das internationale und nationale Spektrum an Sendungen reicht von italienischen Mafiosi (1 und 2) über afroamerikanische Gangmitglieder (3) und ehemalige wie aktive Hells Angels (4, 5 und 8) bis zu arabischen Clangrößen (7): Manche saßen im Knast, andere wurden nie verurteilt. Einige warnen vor einer kriminellen Karriere und äußern Reue