Selten werden wissenschaftliche Projekte so spannend visualisiert wie im jüngsten Trailer der Europäischen Weltraumagentur ESA: „Irgendwo in den Weiten des Alls könnte ein unbeobachteter Asteroid lauern, der sich auf Kollisionskurs mit unserem Planeten befindet“, verkündet dort ein Off-Sprecher mit düsterer Stimme zur simulierten Videoabfolge eines gewaltigen Gesteinsbrocken, der auf die Erde zurast. „Sein Einschlag könnte für die Menschheit verheerend sein. Möchten wir nicht das Schicksal der Dinosaurier teilen, sollten wir besser vorbereitet sein!“ Doch was auf den ersten Blick als unterhaltsames Popcorn-Kino anmutet, hat einen ernsthaften Hintergrund. Die Erde, so warnt die ESA eindringlich, ist einer konkreten Bedrohung durch ebenjene Asteroiden ausgesetzt, und mit ihr sämtliche Lebewesen des Planeten. Es ist höchste Zeit, so die ESA, daß die Menschheit sich technologisch gegen die Gefahren des Weltalls wappnet.
Denn so leer, wie den meisten Menschen das Universum erscheint, ist es bei weitem nicht. Allein im Sonnensystem der Erde sind bislang mehr als 1,3 Millionen Asteroiden bekannt. Sie sind Überbleibsel aus einer Zeit vor 4,6 Milliarden Jahren, als sich die acht (mit Pluto neun) Planeten in ihren Bahnen um die Sonne formten. Der Großteil von ihnen kreist in einer stabilen Bahn, dem sogenannten Asteroidengürtel, zwischen Mars und Jupiter. Doch neben diesen findet sich auch eine wortwörtlich astronomische Anzahl von Meteoriten, den kleineren Geschwistern der Asteroiden, deren Umlaufbahnen aufgrund gravitativer Einflüsse größerer Himmelskörper oft starken Änderungen ausgesetzt sind. Mit bis zu 42 Kilometern pro Sekunde jagen diese Meteoriten durch das Sonnensystem und schlagen auf ihrem Weg oftmals auf anderen Körpern auf. Auch auf der Erde, wie die Statistik beweist, und dies nicht selten. So unglaublich es klingen mag: Jeden einzelnen Tag dringen bis zu 25 Millionen Meteoriten in die Erdatmosphäre ein; viele nur in Größenordnung von Kiesel- bis Ziegelsteinen, so daß sie schon in den oberen Schichten der Atmosphäre verglühen. Trotz alledem bereichern sie die Erde geschätzt jedes Jahr mit 15.000 Tonnen Weltraumstaub.
Eine aktive Meteoritenabwehr ist keine Science-fiction mehr
„Die Weiten des Weltraums werden in Science-fiction-Geschichten oft romantisiert, mit Darstellungen interstellarer Reisen und entfernter Galaxien. Näher zu Hause finden wir jedoch eine ernüchterndere Erzählung“, mahnte zuletzt der Wissenschaftsjournalist Jake Parks in seinem rege beachteten Essay „Close calls“, welcher im Oktober vergangenen Jahres in der US-amerikanischen Monatszeitschrift Astronomy erschien. In diesem Essay erinnerte Parks an die südrussische Großstadt Tscheljabinsk. Im Februar 2013 detonierte hier in rund 30 Kilometern Höhe ein Meteor von rund 18 Metern Durchmesser sowie 9.000 Tonnen Gewicht. Daß dieser Himmelskörper überhaupt in großer Höhe auseinanderbrach, war Glück im Unglück für die Bewohner: Die Druckwelle zerstörte lediglich Fenster und Dächer. Trotz alledem zählten die russischen Behörden im Anschluß fast 1.500 Verletzte. Eine geringere Höhe oder gar ein direkter Einschlag hätte die Millionenstadt komplett zerstört.
Die Beweisführung letzterer These findet sich tief in der sibirischen Tundra Zentralrußlands: Nahe dem Fluß „Steinige Tunguska“ detonierte im Juni 1908 mutmaßlich ein Meteor von rund 36 Metern Durchmesser sowie 100.000 Tonnen Gewicht in der Atmosphäre. Bruchstücke des Meteors schlugen in den Wäldern ein und entwurzelten in einem Radius von 2.000 Quadratkilometern über 80 Millionen Bäume. Das Gebiet war zu diesem Zeitpunkt fast unbewohnt, übertraf in seiner Fläche jedoch sogar die heutige Stadt London. Astronomen des fast 6.000 Kilometer entfernten Armagh-Observatoriums in Nordirland notierten damals, das durch die atmosphärische Verschmutzung umgeleitete Sonnenlicht sei derart hell gewesen, daß die Wissenschaftler noch um Mitternacht problemlos ihre Zeitung lesen konnten. Die Beweisführung der ESA zu ihrer deutlichen Warnung findet sich wiederum im Chicxulub-Krater auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán. Der Meteor, der vor 66 Millionen Jahren hier tatsächlich einschlug, erzeugte nicht nur einen Krater von gut 180 Kilometern Durchmesser. Er war auch verantwortlich für das Aussterben der Dinosaurier auf der Erde.
Galt noch im letzten Jahrhundert eine aktive Meteoritenabwehr aus technischer Perspektive noch als Science-fiction, ist ein planetarer Verteidigungsschild seit wenigen Jahren bereits in greifbare Nähe gerückt. Als federführend im Erreichen dieses Meilensteins zeichnen sich zwei der größten Raumfahrtorganisationen des Planeten ab; die von der Europäischen Union finanzierte Europäische Weltraumagentur (ESA) sowie die National Aeronautics and Space Administration (NASA) der Vereinigten Staaten. Als Geburtsstunde dieses Menschheitsprojekts gilt der 20. März 1996. An jenem Tag beschloß der in Straßburg tagende Europarat in seiner denkwürdigen „Resolution 1080“, ein „möglichst vollständiges Verzeichnis von NEOs mit Schwerpunkt auf Objekten mit einer Größe von mehr als 0,5 Kilometern“ zu erstellen. Als „near-Earth object“ (NEO), zu deutsch „Erdnahes Objekt“, wurden dabei Meteoriten definiert, die sich der Erde auf weniger als 200 Millionen Kilometer nähern könnten – etwa dem 1,3-fachen Abstand der Erde zur Sonne. Der deutlich wichtigste Punkt der Resolution verlangte überdies, „zu einer langfristigen globalen Strategie für Abwehrmaßnahmen gegen mögliche Einschläge beizutragen.“
Trotz sämtlicher insbesondere finanzieller Stolpersteine trug die Resolution des Europarats Früchte, wie nicht zuletzt das „Hera“-Projekt eindrucksvoll darstellt. Das Konzept der ESA, soviel zur Erläuterung, beruht auf vier Säulen: Der Wissenschaft und Erkundung, welche auch die menschliche Raumfahrt beinhaltet; der praktischen Anwendung wie zum Beispiel der satellitengestützten Kommunikation; der erdgebundenen Infrastruktur im Sinne von Weltraumbahnöfen; der Weltraumsicherheit, zu welcher auch die planetare Verteidigung gehört. Benannt nach der griechischen Schutzgöttin der Frauen und der Familie, ist Hera der nächste integrale Baustein letzterer Säule. Im Oktober 2024 soll Hera planmäßig vom US-Weltraumbahnhof in Cape Canaveral mit einer „Falcon 9“-Trägerrakete der privaten Weltraumfirma SpaceX ins All starten. Ihr Ziel: der erdnahe Asteroid Didymos sowie sein kleinerer Begleiter Dimorphos. Erst 1996 entdeckt, hatten sich beide der Erde schon auf sechs Millionen Kilometer genähert und gelten somit als potentiell, jedoch nicht akut gefährlich.
Es ist nicht der erste Versuch dieser Art: Bereits 2005 hatte die ESA ihr „Don Quijote“ benanntes Projekt aus der Taufe gehoben. Ziel war der Abschuß zweier Sonden, Sancho und Hidalgo, in Richtung Didymos. Hidalgo sollte dabei auf dem Asteroiden einschlagen und damit dessen Bahn minimal verändern. Sancho kam dabei der Auftrag zu, als Späher diese Abweichung aus der Nähe zu bestätigen. Doch schon 2007 verschwand das „Don Quijote“-Projekt aus Kostengründen wieder in den Schubladen. Es sollte fast ein Jahrzehnt vergehen, bis die NASA erneut die Idee der Zwillingssonden aufgriff und der ESA im Februar 2015 eine Kooperation vorschlug. Die „Asteroid Impact & Deflection Assessment“ (AIDA), auf deutsch „Asteroiden-Einschlag- & Ablenkungs-Bewertung“, durfte in der Folge Geschichte schreiben.
Als am 24. November 2021 die erste „Falcon 9“-Rakete auf der kalifornischen Vandenberg Space Force Base die Triebwerke zündete, konnte man Zeitzeugen zufolge in der Kommandozentrale der NASA eine Stecknadel fallen hören. Doch der Start glückte; die wertvolle Fracht konnte sicher im All ausgeklinkt werden. Es war der „Double AsteroidRedirection Test“ (DART), eine Sonde in direkter Nachfolge des Hidalgo. „DART verwandelt Science-fiction in wissenschaftliche Fakten und ist ein Beweis für die Proaktivität und Innovation der NASA zum Wohle aller“, lobte NASA-Chef Bill Nelson damals das geglückte Experiment.
Forscher sprechen von „möglicher außerirdischer Technologie“
Nur zehn Monate später, am 26. September 2022, schlug DART mit einer Geschwindigkeit von über 6,1 Kilometern pro Sekunde auf Dimorphos ein und änderte dessen Umlaufzeit um Didymos um über 33 Minuten – für die NASA, die von einer Änderung in Größenordnung von etwa 70 Sekunden ausgegangen war, ein unerwarteter Erfolg. Zum Verständnis: Bei einer Entfernung von hundert Millionen Kilometern, was etwa zwei Drittel der Strecke der Erde zur Sonne ausmacht und in Dimensionen selbst unseres Sonnensystems nur ein Steinwurf ist, reicht oftmals die minimalste Kurskorrektur, um einen bedrohlichen Meteoriten die Erde verfehlen zu lassen.
Die Sonde Hera soll diesen Erfolg nun quantifizieren. Denn obwohl von Astronomen durch teleskopische Beobachtung bereits bestätigt wurde, daß DART erfolgreich war, quält die Wissenschaft noch immer die wichtige Frage, wieso DART eigentlich und wieso dazu noch in diesem Übermaß erfolgreich war. Die Astronomie bewegt sich in ihrer Forschung erst am Rand. So sind zwar zahlreiche Asteroiden und Meteoriten bereits bekannt und katalogisiert. Über die Strukturen und speziell den inneren Aufbau dieser Himmelskörper wird jedoch weiter wild spekuliert. Das seltsam geformte interstellare Objekt Oumuamua, hawaiisch für „Späher“, das im Oktober 2017 auf ungewöhnlicher Bahn das hiesige Sonnensystem durchquerte und selbst von renommierten Astrophysikern wie dem Harvard-Professor Avi Loeb als „mögliche außerirdische Technologie“ klassifiziert wurde, ist ein Paradebeispiel hierfür. Konkret relevant wird die Frage nach dem inneren Aufbau von Asteroiden bei Berechnungen zukünftiger Aufschlag- und Sprengwirkungen. Hera soll hierzu anwendbare Rechenmodelle erstellen.
Dabei reist die Sonde nicht allein. Sie wird begleitet von zwei kaum zehn Zentimeter Kantenlänge messenden Würfelsatelliten, sogenannten Cube-Sats. Während Hera als Knotenpunkt zur Kommunikation mit der Erde in sicherer Entfernung bleibt, sollen diese Mini-Satelliten, die man Juventas und Milani getauft hat, erst von ihrer Umlaufbahn aus die beiden Asteroiden kartographieren, sodann die Einschlagstelle der DART-Sonde erforschen, insbesondere auch nach möglichen fortwährenden Gas- oder Gesteinsaustritten aus dem Inneren des Felsens, und schlußendlich auf diesem oder gar auf beiden landen. Die 130 Millionen Euro kostende Mission ist auf sechs Monate vor Ort ausgelegt; Heras Ankunft wird jedoch frühestens zum 28. Dezember 2026 erwartet. Bis dahin gelten bei ESA und NASA hoffnungsvolles Bangen sowie die theoretische Vorbereitung auf den nächsten großen Schritt. Denn die im Nacken der Menschheit sitzende Statistik besagt zwar, daß ein Kratereinschlag nur einmal alle Million Jahre auftritt – Tunguska-Ereignisse im Schnitt jedoch jedes Jahrhundert. „Wir alle haben die Verantwortung, unseren Heimatplaneten zu schützen“, meinte dazu NASA-Chef Bill Nelson. „Diese Mission zeigt aber, daß wir versuchen, auf alles vorbereitet zu sein, was das Universum auf uns wirft.“
Foto: Der sogenannte Barringer-Krater im US-Bundesstaat Arizona: Die Einschlagskrater vergangener Meteoriteneinschläge dienen der ESA als Beweis für ihre Warnungen: „Möchten wir nicht das Schicksal der Dinosaurier teilen, sollten wir besser vorbereitet sein.“
Die Meteoritengefahr
Nach den Angaben der Europäischen Weltraumagentur ESA wird die Erde etwa alle zwei Wochen von einem Meteoriten vom Umfang eines Meters getroffen. Etwa alle zehn Jahre schlägt ein Meteor mit zehn Metern Umfang auf der Erde auf – doch bereits der Aufprall eines solchen Meteoriten entspricht in seiner Wirkung etwa der Explosion von 0,2 Megatonnen (also 200.000 Tonnen) TNT. Für jede bewohnte Gegend würde ein solcher Einschlag eine Katastrophe bedeuten.
Ungefähr alle 10.000 Jahre trifft ein Meteorit mit 100 Metern Umfang unseren Planeten. Ein solcher Aufprall wäre ungefähr vergleichbar mit dem Ausbruch des Hunga-Tonga-Vulkans im Jahr 2022. Ein Meteorit von dem Ausmaß des Chicxulub, der im Verdacht steht, vor etwa 66 Millionen Jahren das Zeitalter der Dinosaurier beendet zu haben, trifft die Erde nur etwa alle ein bis drei Millionen Jahre. Doch sein Aufprall entspricht etwa der Explosion von 100 Millionen Megatonnen TNT. Anders gesagt: Es wäre vergleichbar mit zehn bis 20 Billionen Abwürfen der Hiroshima-Atombombe.
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