© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/24 / 04. Oktober 2024

Mit der Anonymität ist es dann vorbei
Digitaler Euro: Warum man davon besser die Finger läßt / Neuer Angriff aufs Bargeld und Krypto-Konkurrenz
Thorsten Polleit

In John R. R. Tolkiens Roman „Herr der Ringe“ erschuf der tiefböse Sauron heimlich seinen eigenen Meisterring, der die Ringe, die die Elbenschmiede angefertigt hatten, beherrschte, und mit dem er die Welt zu versklaven trachtete: „Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden. Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.“ Der Erzählstoff dieses Klassikers der Fantasy-Literatur drängt sich geradezu auf, blickt man auf das Treiben der Zentralbanken. Der Meisterring, den die Notenbanken, darunter auch die EZB, derzeit schmieden, heißt „Central Bank Digital Currency“.

Von diesen und Mainstream-Ökonomen als fortschrittlich bejubelt, ist die neue Geldkreatur um keinen Deut besser als das bestehende Fiatgeldsystem. Durch das Adjektiv „digital“ soll der digitale Euro aufgehübscht werden: Schließlich sind Euro-Guthaben, die bei Geschäftsbanken unterhalten werden, auch heute schon „digital“. Digitales Euro-Zentralbankgeld kann wie der bisherige Fiat-Euro auch bei Bedarf ebenfalls jederzeit aus dem Nichts herbeigeschwindelt werden. Ihm haften alle ökonomischen und ethischen Defekte an, die Fiatgeld eben nun einmal hat: Es ist inflationär, es sorgt für eine nicht marktkonforme Verteilung von Einkommen und Vermögen, es sorgt für Finanz- und Wirtschaftskrisen und anderes mehr.

Warum will man digitales Eurogeld schaffen? Die Parlamente haben den „D€“, wie er inzwischen von manchen genannt wird, nicht in Auftrag gegeben. Es ist eine Initiative der EZB-Räte. Und sie verbreiten, der Euroraum bräuchte ein einheitliches digitales Zahlungsmittel, und man wolle hier eine Lösung, die die „Souveränität Europas“ stärke. Doch der eigentliche Beweggrund ist vermutlich ein anderer: Regierungen und ihre Zentralbanken wollen ihr Währungsmonopol gegen unliebsame Konkurrenz aus dem Bereich der Kryptoeinheiten verteidigen. Allerdings ist fraglich, ob die Geldverwender, die Kryptos nachfragen, auf ein Angebot von der EZB zurückgreifen: Der Markt der Kryptos lebt ja gerade davon, daß die Geldnachfrager ein Geld verwenden wollen, das nicht dem Zugriff der Zentralbanken unterliegt. Ist vielleicht ein digitaler Euro unverzichtbar für Zahlungsabwicklungen im Bereich „Machine-to-Machine“-Payments, Pay-Per-Use“ oder des „Internet-of-Things“? Die Antwort ist nein. Derartige automatisierte Zahlungsdienste können auch mit dem heutigen Euro-Geschäftsbankengeld (in Token-Form) abgewickelt werden. Ein digitaler Euro ist dazu nicht erforderlich.

„Ein Mehrwert als Zahlungsmittel läßt sich bisher nicht erkennen“

Der Zahlungsdiensteberater PaySys hat für den Bundesverband der Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) kürzlich die Studie „Der digitale Euro aus Sicht des Verbrauchers, des Handels und der Industrie“ erstellt. Ergebnis: Der digitale Euro – so wie er von der EZB geplant wird – hält keinen überzeugenden Nutzen für die Konsumenten bereit. Vielmehr sehen die Autoren eine Reihe von Problemen wie zum Beispiel den geplanten Annahmezwang für den digitalen Euro, die Betragsobergrenzen, das Kompensationsmodell, mit dem die Kosten des digitalen Euro getragen werden sollen, die Orientierung auf das Smartphone als Zahlungsmittel und anderes mehr.

Die Studienautoren kommen zum Schluß: „Für die Konsumenten gibt es bereits zahlreiche Zahlungsmöglichkeiten insbesondere im eCommerce. Daher muß ein neues Produkt wie der D€ einen deutlichen Mehrwert bringen, um sich am Markt durchzusetzen. Ein erheblicher Mehrwert des D€ als Zahlungsmittel läßt sich jedoch bisher nicht erkennen.“ Vor allem aber entpuppt sich der D€ als höchst gefahrvoll für Freiheit und Wohlstand der Menschen. Digitales Zentralbankgeld konkurriert vor allem mit Bargeld. Seine Ausgabe spielt denjenigen Interessengruppen in die Hände, die das Bargeld aus dem Verkehr ziehen wollen. Schon heute wird die Bargeldverwendung entmutigt: durch Wegnahme großer Banknoten (die EZB gibt seit 2019 keine neuen 500-Euro-Noten mehr heraus), durch Verteuerung bei der Bargeldabhebung und -rückgabe, indem man die Bargeldverwendung schlechtredet und mit Schwarzmarkt-, Drogen- und Terrorgeschäften in Verbindung bringt.

Ist das Bargeld erst einmal verdrängt, ist die finanzielle Privatsphäre der Menschen endgültig perdu. Wenn digitales Zentralbankgeld verwendet wird, dann können die EZB-Räte nachvollziehen, wer was wann und wo kauft und verkauft. Beteuerungen, man werde für die Anonymität der Zahlungen mit digitalem Geld sorgen, können nicht überzeugen. Chinas Zentralbank spricht es klar aus: Mit digitalem Zentralbankgeld sollen die Menschen wirksam kontrolliert und gesteuert werden.

Mit dem D€ läßt sich ein Lenkungs- und Kontrollsystem errichten: Wer regierungskritische Literatur kauft, dem wird sein Konto gesperrt. Oder: Digitales Zentralbankgeld erhalten nur Firmen, die ihre Produktion auf CO₂-mindernde Technologien umstellen oder bei ihrer Personalpolitik politische Kriterien erfüllen. Oder: Digitales Zentralbankgeld wird mit digitalem Personalausweis und digitalem Impfpaß verknüpft: Nur wer sich impfen läßt, hat noch Kontozugang. Das Mißbrauchspotential eines digitalen Euro ist gewaltig, furchterregend.

In Tolkiens Roman gibt es in fast aussichtloser Lage noch ein tragisch-gutes Ende: In Mordor beißt Gollum Frodo, den die finstere Macht erfaßt hat, den ringtragenden Finger ab und stürzt siegestaumelnd mit dem Ring in die Feuer des Schicksalsberges. Der Ring ist zerstört, die Macht der Finsternis endgültig besiegt. Es ist zu wünschen, daß das gleiche auch dem Vorhaben zuteil wird, digitales Euro-Zentralbankgeld auszugeben.



Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Volkswirt und Herausgeber des Börsenbriefs „Boom & Bust Report“. www.boombustreport.com, www.bvr.de/Presse/Pressemitteilungen