© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/24 / 04. Oktober 2024

Justus Wertmüller: Mit seiner linken Selbstkritik biegt der Doyen der „Antideutschen“ unversehens rechts ab.
Konservativ wider Willen
Florian Werner

Er redet wie ein Konservativer, polemisiert wie einer, will aber keiner sein. Justus Wertmüller, schillerndster Vertreter der sogenannten Antideutschen innerhalb der Linken, läßt sich als Mischung aus Adorno und Klaus Kinski beschreiben – nah am Argument, nah am Eklat. In den neunziger Jahren machte sich der 1962 geborene Journalist das Marlene-Dietrich-Zitat „Deutschland? Nie wieder!“ zu eigen, um mit Intellektuellen wie dem konkret-Herausgeber Hermann Gremliza vor deutscher Wiedervereinigung und der Geburt eines neuen Nationalismus zu warnen. Von Genossen dazu aufgefordert, mit seinem Pessimismus doch auf die Bahamas auszuwandern, gründete Wertmüller die gleichnamige Zeitschrift, die seither für die Antideutschen schreibt, denkt und aneckt. Rechte werfen der Bewegung, nun ja, ihren Namen vor. Linke wiederum schütteln über ihre bedingungslose Solidarität mit dem Staat Israel den Kopf.

Bands wie „Frittenbude“ oder „Egotronic“ machten die Antideutschen in den 2000ern populär. Wie andere Linke warben sie für die Aufhebung des Kapitalismus in der klassenlosen Gesellschaft. Doch setzten sie sich dabei gegen eine „regressive Kapitalismuskritik“ ein: Das Kapital sollte nicht in Gestalt seiner Akteure – mal „die Manager“, mal „die Amerikaner“, mal „die Juden“ – sondern als System angeklagt werden. Kritik bedeutete insofern „rücksichtslose, grausame, bis auf den Grund der Dinge gehende Selbstkritik“ (Rosa Luxemburg). Dieser Schneid faszinierte viele.

Wertmüller rattert eine Art JF-Leitartikel herunter, nennt Lenin einen „Bastard“ und verläßt fluchend den Saal.

Faszinierend sind auch Wertmüllers Auftritte, wie unlängst auf einer Veranstaltung des linksintellektuellen Platypus-Magazins in Berlin. „Mit der Stimme eines Sportkommentators aus den Fünfzigern“ (taz) feuerte er dort gegen linke Palästinasolidarität: „Am 27. Juli fand nicht nur die größte offen antisemitische Demonstration in Deutschland seit 1945 statt“, kommentiert Wertmüller einen Protestmarsch der LGBT-Gemeinde gegen den Gaza-Krieg, „sondern die deutsche Linke hat sich in toto mit der Hisbollah solidarisiert und den intendierten Holocaust an israelischen Bürgern teils billigend, teils mit Befriedigung aufgenommen.“ Zuvor waren bei einem Raketenangriff der Hisbollah auf den israelisch besetzten Golan zwölf Kinder und Jugendliche umgekommen. 

Auch was Wertmüller noch sagt, klingt nicht links: Die Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts seien zur „Queer-Pride“-Obsession „verkommen“. Und auch zuvor hätte sie ihre Visionen nur in Massakern umgesetzt. Der maßlose Anspruch, für den Weltgeist zu stehen, begleite die Linke überall hin – heute traktiere sie Menschen mit Klima und Rassismus. Wertmüllers Vortrag gipfelt in dem Satz: „Alle Linken hängen am Staat.“ Mit seiner Abrechnung hat er quasi einen Leitartikel der JUNGEN FREIHEIT improvisiert. Als erwidert wird, daß Linke sich mit keinem Staat, auch nicht mit Israel, gemein machen dürften, verläßt er fluchend den Saal – und beschimpft Lenin als „Bastard“.

Aus konservativer Perspektive ist Wertmüller ein Lehrstück: Oft ist man sich näher, als man denkt. Aus linker Sicht ist er ein Rätsel: Wie kommt ein linker Intellektueller zu den Positionen des „Klassenfeindes“? Mit dem britischen Historiker Perry Anderson läßt sich der Verdacht wagen, daß der westliche Marxismus sich womöglich einfach in seiner eigenen Theorie verlaufen hat.