Sie gehört zu Frankreich wie Wein, Käse und Baguette und dürfte wohl noch heute, in stark vorgerücktem Alter, die bekannteste französische Filmschauspielerin aller Zeiten sein. Sie bestätigt damit, was auch die anderen großen Blondinen ihrer Ära, Marilyn Monroe, Grace Kelly und Doris Day, unter Beweis gestellt haben: Für großen Nachruhm ist es hilfreich, dem Filmgeschäft frühzeitig den Rücken zu kehren. Der Unterschied zwischen den genannten Damen und Brigitte Bardot ist nur: Jene sind tot, BB kann ihren 90. Geburtstag feiern.
Welches Wort paßt nicht zu den anderen: Schmollmund, Sexbombe, Blondine, Robbenretterin? Wer in den fünfziger Jahren die am 28. September 1934 in der französischen Hauptstadt als Brigitte Anne-Marie Bardot zur Welt gekommene Aktrice anhimmelte, der mußte sich damit abfinden, daß sie sich auf Dauer in keines der Korsette quetschen lassen wollte, die eine auf Stereotypen und Klischees angewiesene Filmindustrie für sie vorgesehen hatte. Mit nicht mal vierzig Jahren beschloß der blonde Filmstern (der wie Marilyn Monroe in Wahrheit gar nicht blond war) 1973, daß Schluß ist mit Film. Ein schwerer Schlag für ihre weltweite Anhängerschaft. Es gebe Wichtigeres im Leben, verkündete die Bardot – und weg war sie. Naja, nicht ganz weg. Sie hatte den Tierschutz für sich entdeckt.
Unvergessen das ikonische Titelbild des auflagenstarken Boulevardblatts Paris Match vom 1. April 1977, das die Filmdiva mit einem weißen Robbenbaby im Arm zeigt. Die Botschaft war unmißverständlich: Hier hat jemand seine Bestimmung gefunden. Noch heute gilt die Gründerin der nach ihr benannten Stiftung als eine der bedeutendsten Tierschützerinnen der Welt. Daß es sich dabei um ein ernstes und durchaus nachhaltiges Engagement handelte, erfuhr im Jahre 1994 Bardots Kollegin Sophia Loren (die übrigens auch gerade 90 geworden ist). Die Italienerin hatte sich für eine Werbekampagne der italienischen Modefirma Annabella in Pelzen ablichten lassen und fing sich dafür einen offenen Brandbrief ein. Geld für eine Sache zu nehmen, an der das Blut von Tieren klebe, sei widerwärtig, wetterte die damals 58jährige.
Ihr Durchbruch war der Film „Und ewig lockt das Weib“
Wer genauer hingesehen hätte, schon ganz am Anfang ihrer Karriere, dem hätte klar sein können, daß in der Tochter eines poetisch begabten Ingenieurs und seiner darstellenden Künsten nicht abgeneigten Frau viel mehr steckte, als das Blondes-Dummchen-Image verriet, das ihre frühen Filme ihr verpaßten. Denn schon ihr Durchbruch, die klassische Dreiecksgeschichte „Und ewig lockt das Weib“ („Et Dieu ... créa la femme“, 1956), in der Curd Jürgens sich von ihr in der Rolle der lolitahaften Juliette den Kopf verdrehen ließ, war ein durchaus vielschichtiger Film über Verlangen, Verzicht und Moral. Und er etablierte, da er auch in den sittlich etwas strengeren USA ein Knüller wurde, das, was die Darstellerin der Juliette zur Ikone machte und was das Magazin Time in die trefflichen Worte kleidete: „Brigitte Bardot verströmte eine sorglos-naive Sexualität, die dem französischen Film ein komplett neues Publikum zuführte.“ Mit dem Regisseur von „Und ewig lockt das Weib“, Roger Vadim, den sie mit nur 18 Jahren heiratete, drehte sie noch vier weitere Streifen.
Unstreitig ist, daß die frühen Filme der späteren Diva – 1952 hatte sie in „Le trou normand“ debütiert – oft stromlinienförmig und à la mode waren, weswegen sich an die meisten der vor 1960 gedrehten Bardot-Filme auch kaum jemand erinnert – im Gegensatz etwa zu Henri-Georges Clouzots packendem Gerichtsdrama „Die Wahrheit“ (1960) nach einer Vorlage von Christiane Rochefort. Das Aufreizend-Laszive und die Sprunghaftigkeit, Wesenszüge, die BB in ihren Rollen berühmt gemacht hatten, werden hier pathologisiert: Die flatterhafte Dominique becirct den Dirigenten Gilbert, der ihr prompt verfällt. Die psychisch und emotional instabile junge Frau möchte sich aber nicht auf ihn festlegen. Der tragische Ausgang ist zwangsläufig. Vor Gericht hat sie sich schließlich für einen Mord zu verantworten. Es kommt heraus, daß sie eigentlich Selbstmord begehen wollte.
In der Figur der Dominique steckt mehr von ihrer Darstellerin, als das Publikum damals ahnen konnte. Von insgesamt sechs Selbstmordversuchen der BB in den Jahren zwischen 1950 und 1992 erfuhr die Öffentlichkeit. Auslöser war offenbar dieselbe Schwermut, mit der die Heldin aus „Die Wahrheit“ zu kämpfen hatte.
Noch mehr über die Frau hinter der Schauspielmaske verriet Louis Malles „Privatleben“ (1962). An der Seite von Marcello Mastroianni verkörperte sie die Tänzerin Jill, die kometenhaft zu einem der größten Leinwandstars ihrer Epoche aufsteigt. Für den Paparazzi-Terror, der Jill zunehmend verunsichert, findet der Regisseur prägnante Bilder. Auch Jill versucht sich schließlich das Leben zu nehmen. „Privatleben“ war ein kaum verhülltes Selbstporträt der Bardot. Sie stand den Glamour-Jägern und Jetset-Jüngern, die in ihrer Ära groß wurden, nicht sonderlich dabei im Weg, sie zur öffentlichen Person zu machen, zur Frau, von der man spricht.
Mit ihrer Hals-über-Kopf-Liebschaft mit dem deutschen Lebemann und Millionenerben Gunter Sachs samt nachfolgender Eheschließung 1966 und Ehescheidung drei Jahre später war ein spektakulärer Höhepunkt erreicht. „Er wollte das Schöne“ und sei der Wind in ihren Segeln gewesen, sagte BB anläßlich seines Selbstmordes 2011 über den deutschen Bohemien. Fünf Jahre hatte zuvor ihre 1952 mit Roger Vadim geschlossene Ehe gehalten und drei (1959–1962) die mit Jacques Charrier, dem Vater ihres einzigen Kindes Nicolas-Jacques.
In einer Reihe mit großen Charakterdarstellerinnen
Die Weichen waren also früh gestellt für ein Leben unter den Argusaugen der Klatschpresse. Nach Paparazzi-freundlichen Beziehungen, die kaum einer zählen kann, unter anderem mit den Kollegen Jean-Louis Trintignant und Warren Beatty, kamen 1992 durch die Eheschließung mit dem sieben Jahre jüngeren französischen Geschäftsmann und Le-Pen-Unterstützer Bernard d’Ormale endlich Ruhe und Ordnung in das Privatleben der Filmdiva, die von sich selbst einmal gesagt hatte: „Ich bin keine Mutter und werde keine sein.“ Daran hat sie sich gehalten. Die Beziehung zu ihrem 1960 geborenen und in der Familie ihres zweiten Ehegatten Jacques Charrier aufgewachsenen Sohn Nicolas ist denkbar schlecht.
Der künstlerisch bedeutendste und für viele auch beste Film ihrer Karriere ist „Die Verachtung“ (1963) von Jean-Luc Godard. Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Alberto Moravia ist ein minutiös inszeniertes Psychogramm, das den Zerbruch der Ehe eines Drehbuchautors mit seiner attraktiven Gemahlin zeigt. Mit großer Präzision beobachtet die Kamera das Einsickern eines schleichend wirkenden Gifts in die zunächst glücklich wirkende Ehe. Die glaubwürdige Darstellung der anspruchsvollen Camille, die ihren Gatten immer weniger zu achten vermag, stellt BB in eine Reihe mit den großen Charakterdarstellerinnen ihrer Ära wie Simone Signoret oder Jeanne Moreau. Letztere war übrigens ihre Filmpartnerin in der furiosen Italowestern-Parodie „Viva Maria!“ (1965). Vordergründig nur eine belanglose Westernkomödie, erweist sich „Viva Maria!“ auf den zweiten Blick als subversive feministische Parabel, in der auch die kirchliche Moral kräftig gerupft wird: Ein Geistlicher, der selbst als Geköpfter nicht aufhört zu reden, wurde zu einem der großen Lacher der Westernpersiflage. Auch in einem richtigen, also ernsten Western wirkte BB mit. Im Herbst ihrer Karriere durfte Sean Connery sie in „Shalako“ (1968) vor kriegerischen Apachen beschützen.
Wie bei Promis der sechziger und siebziger Jahre nicht ungewöhnlich, trat die sinnliche Verführerin nicht nur als Schauspielerin, sondern auch als Sängerin bekannter Stücke wie „Harley Davidson“ und „Je me donne à qui me plaît“ in Erscheinung. Zusammen mit Serge Gainsbourg, mit dem sie Gerüchten zufolge nicht nur Musik machte, nahm sie 1967 das berühmte Lied „Je t’aime ...“ auf. Das erotische Gehauche darin war ihr dann aber offenbar zu lasziv. Sie lehnte die Veröffentlichung ab. Gainsbourg ließ Jane Birkin den Gesangspart übernehmen, und das Lied wurde zum Dauerbrenner.
Strafe für kulturkritische und politisch inkorrekte Äußerungen
Es war nicht immer ganz leicht, die gebürtige Pariserin politisch einzuordnen. Der antikapitalistische Impetus, der es in ihren Augen zum Verbrechen macht, Robbenbabys für Fellmäntel zu töten, war zwar zu hundert Prozent andockfähig an das Gedankenimperium der Flowerpower-Bewegung. Doch wer annimmt, die Frau mit dem verführerischen Augenaufschlag hätte das in die Arme der linken Szene getrieben, kennt sie schlecht. In der #Metoo-Debatte kamen von ihr Töne, die in den Ohren der linken Jakobiner ziemlich schrill geklungen haben dürften. Sie sprach von Scheinheiligkeit und sprang damit ihrer Kollegin Catherine Deneuve bei.
Mehrfach wurden ihr Rassismus, „Homophobie“ und Islamfeindlichkeit vorgeworfen. Die Sexualisierung der Gesellschaft durch Pornokraten und Geschlechtsrevisionisten ist ihr zuwider. 5.000 Euro Strafe wurden der eigenwilligen Künstlerin für Aussagen in ihrem kulturkritischen Buch „Ein Schrei in der Stille“ aufgebrummt. Sogar von einer Gefängnisstrafe war im Vorfeld der Veröffentlichung im Jahre 2004 die Rede. In dem Verkaufsschlager hatte sie ihrer Sorge über die Infiltrierung Frankreichs durch mohammedanische Extremisten Ausdruck verliehen. Die FAZ urteilte: „Wer etwas über die Wählerschicht erfahren will, die vor zwei Jahren mit fast 18 Prozent für Le Pens ‘Front National’ stimmte, wird in diesem Buch wertvolle Aufschlüsse finden.“ Was sie damals schrieb, gilt auch heute. Von Macron hält sie wenig. Lange Zeit hielt sie zu Éric Zemmour – bis der sich vom Tierschutz distanzierte, eine rote Linie für sie.
Zuletzt öffentlich zu Wort gemeldet hat sich die Unverwüstliche am 19. August aus Anlaß des Todes von Alain Delon, mit dem gemeinsam sie unter der Regie von Louis Malle für den Episodenfilm „Außergewöhnliche Geschichten“ (1968) vor der Kamera gestanden hatte. Sein Tod hinterlasse „einen Abgrund der Leere, die nichts und niemand wird füllen können“, ließ sie die Welt wissen. In ihrem verstorbenen Kollegen, der sich nicht verbiegen lassen wollte, schon gar nicht von einer politischen Bestimmer-Klasse, sah sie sicher so etwas wie einen Bruder im Geiste. Auch ihre Stimme wird eines Tages verstummen. Aber an ihrer Popularität wird das wenig ändern.
Foto: Brigitte Bardot: Mit ihrer Stiftung rettete die prominente Tierschützerin 1991 achtzig Wölfe aus einer Farm in Ungarn und siedelte sie in einem Wildgehege in Südfrankreich an