Er hat einen ganzen Bauchladen an Angeboten. „Willst du nach Ko Kood? Schöne Insel“, sagt Nathapon und macht ein verlockendes Angebot für den Transport dorthin. „Oder mußt du zum Flughafen? Bei mir kannst du auch ein günstiges Busticket bekommen“, sagt der 21jährige, der in der Reiseagentur seines Onkels am Rande von Bangkoks berühmter Khaosan Road arbeitet.
Die Straße, knapp einen Kilometer vom Königspalast entfernt und im Zentrum von Bangkoks Altstadt gelegen, gilt für unzählige westliche Rucksacktouristen als Durchgangs- oder Zwischenstation. Ein Anlaufpunkt für die Partyhungrigen. Und für all jene Backpacker, die für einige Tage die Hauptstadt erkunden wollen, ehe sie sich weiter auf die Inseln mit ihren Traumstränden im Süden Thailands oder zu den ebenso oft angebotenen Dschungeltouren Richtung Norden des Landes aufmachen.
In den vergangenen Jahrzehnten hat der THC-Gehalt zugenommen
Entsprechend belebt geht es rund um die gerade einmal 400 Meter lange Straße zu. Flackernde Neonlichter, Menschengewusel. Aus den Garküchern wabert der Geruch gegrillter Fleisch- und Garnelenspieße durch die Luft, wo er sich mit dem gnadenlos penetranten Duft frischer Durian-Früchte vermischt. Motorrad-Geknatter dringt aus den Gassen, den Sois. Um die Khaosan Road herum reihen sich Dutzende Taxis, die unentwegt neue Touristen her- und wieder weg befördern. Aus den unzähligen Bars und Pubs dröhnen Evergreens aus den siebziger und achtziger Jahren. Zumeist junge Männer und Frauen sitzen an kleinen Plastiktischen, trinken Bier oder ordern den für europäische Verhältnisse günstigen Thai-Whisky.
Und ja, auch Drogen werden an diesem Ort seit eh und je zahlreich und in nicht gerade geringen Mengen konsumiert. Doch was Dealer einst heimlich unterhalb der Ladentheke an ihre Kosumenten verkauften läuft in Thailand seit zwei Jahren ganz legal ab. Jedenfalls dann, wenn es sich bei den Drogen um Cannabis-Produkte handelt. Auch in der Reiseagentur von Nathapons Onkel finden sich daher nun die verarbeiteten Hanfpflanzen im Angebot.
„Nach der Legalisierung setzte ein regelrechter Boom ein, jeder wollte Cannabis anbauen, damit handeln oder sonst irgendwie Geschäfte machen“, erzählt Nathapon der JF. Und so stehen nun auch auf seiner Ladentheke zwischen den Reiseangeboten ordentlich aufgereiht Glasbehälter, gefüllt mit den verschiedensten Cannabis-Sorten.
Etwa mit White Truffle oder Orange Kush. Drogen mit einem THC-Gehalt von 25 Prozent. THC bedeutet Tetrahydrocannabinol und ist eine Substanz, die für die berauschende Wirkung in einer Hanfpflanze verantwortlich ist. Je höher ihr Gehalt, desto berauschender die Wirkung. Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte hat sich der THC-Gehalt immer weiter nach oben entwickelt. Zum Vergleich: In Deutschland lag der durchschnittliche THC-Gehalt von Marihuana vor knapp 20 Jahren noch bei rund 10 Prozent. Heute liegt er bei gut 15 Prozent.
An Verkaufsständen wie dem von Nathapon gehören Cannabissorten mit 25 Prozent hingegen längst zur Normalität. „Ich habe auch noch Sachen, die mehr knallen“, sagt er. Wie etwa „Race Fuel“, ein Joint mit einem THC-Gehalt von 30 Prozent, den er der JF auf Kosten des Hauses zum Probieren anbieten will. „Willst du?“ Nein danke. „Komm schon, das ist guter Stoff, absolut sauber.“ Mag sein. Aber nein.
200 Baht pro Gramm muß der Konsument dafür ansonsten bezahlen. Das sind etwas mehr als vier Euro. In Europa würde man dafür auf dem Schwarzmarkt gut 10 Euro berappen müssen. In Apotheken 15 Euro. Und in den Coffeshops von Amsterdam sollen angeblich sogar bis zu 40 Euro pro Gramm aufgerufen werden, meint der 21jährige. Was dazu führte, daß Thailand nach der Cannabis-Legalisierung einen regelrechten Boom an Hanftouristen erlebt. Kiffen am Strand unter Palmen und dazu noch legal? Für so manchen offenbar eine willkommene Versuchung. Was auch Nathapon so sieht. „Eine bestimmte Klientel an Leuten kommt jetzt nicht nur wegen der Tempel und der Strände ins Land, sondern auch weil sie legal und dazu noch günstig Cannabis konsumieren können“, bestätigt der 21jährige.
2022 habe es daher eine regelrechte Goldgräberstimmung unter thailändischen Geschäftsleuten gegeben. „Viele begannen damit, Cannabis anzubauen. Nach Corona war das eine willkommene Einnahmequelle, und die Regierung tat nahezu alles, um die in den Jahren 2020 und 2021 ausgebliebenen Touristen wieder zurück ins Land zu bekommen.“
Hotels werben mit einem Gratis-Joint beim „Check-in“
Es war die Abkehr von einer jahrzehntelangen Anti-Drogenpolitik, in der Kriminelle mit langen Haftstrafen und sogar der Todesstrafe rechnen mußten, wenn sie mit den Rauschmitteln dealten. Bauern hofften mit dem Anbau auf ein zusätzliches wirtschaftliches Standbein. Wie Pilze schossen zudem Tausende von Cannabis-Shops aus dem Boden. Vor allem in den touristisch hochfrequentierten Gegenden wie Bangkok, Phuket oder Pattaya. Besonders Bangkok gilt seitdem als das neue Amsterdam Asiens.
Einheimische und Touristen organisieren sogenannte Green-Parties. Cannabis-Clubs laden zu regelmäßigen Sessions. Shops verkaufen T-Shirts mit Cannabis-Emblem und „Stoned“- Aufschriften. Schilder mit der Aufschrift „Kaufe zwei Joints und bekomme einen gratis“, stehen an nahezu jeder Ecke der Khaosan-Road. Hotels werben beim „Check-in“ mit einem „Free Joint“. Fliegende Händler auf der Straße preisen auf Schildern neben frischen Getränken nun auch frisches „ Weed“ an. „Meine beiden Cousins betreiben nun ebenfalls Cannabis-Plantagen und beliefern auch diesen Shop hier“, schildert Nathapon die Entwicklung, die auch vor seiner Familie nicht haltmachte und ihren Wohlstand zunächst vermehrte. Mittlerweile sei der Markt jedoch umkämpfter geworden. Aus dem Ausland importierte Ware würde jetzt die Preise drücken. Und die neue Regierung plane, die Cannabis-Legalisierung wieder zu stoppen.
„Hoffentlich tut sie es bald“, meint hingegen Tida, eine 35 Jahre alte Frau, die in der Khaosan Road ein Restaurant betreibt. Vor ihrem Eingangsbereich hat sie ein Schild mit einer durchgestrichenen Hanfpflanze darauf angebracht. „No Smoking Marijuana“ steht darauf die unmißverständliche Botschaft, daß in ihrem Lokal keine Drogen konsumiert werden dürfen.
„Die Freigabe von Cannabis entwickelt sich für unser Land immer stärker zu einer Katastrophe“, warnt die Mutter von drei Kindern. Die Zahl der Drogenabhängigen sei in den letzten Jahren rapide angestiegen. Besonders unter Jugendlichen. „Damit einhergehend hat auch die Gewalt unter ihnen zugenommen. Gerade hier auf der Khaosan Road kann man das sehr gut beobachten“, sagt sie.
Tatsächlich hat sich die Zahl jener Opfer, die aufgrund von Cannabis-Konsum psychische Probleme bekamen und sich in therapeutische Behandlung begeben mußten, drastisch erhöht. Laut thailändischem Gesundheitsministerium hatte deren Zahl vor der Cannabis-Freigabe landesweit noch knapp unter 40.000 gelegen. Ein Jahr später stieg sie sprunghaft auf über 60.000 Patienten an. Besonders junge Menschen hätten danach deutlich mehr Drogen konsumiert; die durch sie zudem ausgelöste Gewalt sei ebenfalls angestiegen.
„Es ist alles noch viel schlimmer“, sagt Tida. Weil es praktisch keine Regeln rund um den Cannabis-Konsum gebe, würden die Substanzen teilweise auch Nahrungsmitteln beigefügt, um deren Verkauf zu erhöhen. „So etwas muß doch auf den Lebensmitteln kenntlich gemacht werden. Die Leute müssen wissen, was sie da essen oder trinken.“ Weil aber kaum etwas bezüglich der Cannabis-Freigabe in Thailand derzeit näher geregelt sei, mache jeder, was er will. Besonders besorgt ist die Mutter um die Kinder.
Mit der Beigabe von Cannabis würden potentielle Verkäufer den Geschmack ihrer Produkte verbessern. „Aber was ist, wenn Kinder etwa Kekse mit enthaltenem Cannabis essen? Da droht die Gefahr einer schleichenden Abhängigkeit“, warnt die Frau, die sich heute auch in ihrer Freizeit in Initiativen gegen die Cannabis-Freigabe engagiert.
Thailands neue Regierung will mittlerweile die Notbremse ziehen. Ende des Jahres soll wieder Schluß mit dem freien Cannabis-Konsum sein, ein Verkauf nur noch zu medizinischen Zwecken ermöglicht werden. Vor allem Thailands Kinder sieht die Regierung gefährdet. So sehe man nach zwei Jahren Erfahrungen mit der Freigabe die Gefahr, daß die Jugend zunehmend zu härteren Drogen verführt werde.
Doch über ein erneutes Verbot sei noch längst nicht das letzte Wort gesprochen, wie ein Regierungsmitarbeiter der JF verrät. „Intern wird gerade hart gerungen. Es haben sich innerhalb kurzer Zeit mächtige Lobby-Gruppen gebildet, die ein erneutes Verbot um jeden Preis verhindern wollen.“ Der Grund dafür liege auf der Hand. „Zu viele haben ihre Geschäfte auf Cannabis umgerüstet, haben Plantagen gebaut, Geld investiert, im Vertrauen darauf, daß die Droge jetzt legal ist. Sie alle würden viel Geld verlieren“, sagt der Mitarbeiter, der das Thema als „äußerst ernst“ beschreibt.
„Da ist die Büchse der Pandora geöffnet worden, und nun bekommen wir sie kaum wieder zu“, beschreibt der Mitarbeiter das Dilemma der Regierung. Zudem drohe das Thema sich zu einem Kampf zwischen Regierung und Opposition auszuweiten. „Das Ganze ist ein heftiges Politikum geworden. Sollte der Druck zu groß werden, wird die Regierung wohl zurückrudern müssen. Für die Gesundheit der thailändischen Bevölkerung wäre das fatal“, gibt er zu bedenken.
Sollte die Ampel-Regierung in Deutschland ihre Pläne zur Cannabis-Freigabe weiter vorantreiben, könnte sich das derzeitige Drogen-Dilemma in Thailand bereits als kleiner und alles andere als berauschender Vorgeschmack erweisen.
Fotos: Cannabis-Geschäft in Bangkok: Nach der Legalisierung setzte ein Boom ein, Verkäufer bietet allerlei Sorten an: „Ich habe auch noch Sachen, die mehr knallen“, Ein Mann bewirbt eine Cannabis-Bar: Ware aus dem Ausland drückt die Preise