© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/24 / 27. September 2024

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Von Karlsruhe nicht beanstandet
Christian Vollradt

Wird die AfD in ihrem Recht auf Gleichberechtigung verletzt, weil ihr die Mehrheit im Parlament keinen Vorsitz in einem Bundestagsausschuß zugesteht? Nein, urteilte das Bundesverfassungsgericht vergangene Woche in zwei zusammengefaßten Fällen. In dieser Legislaturperiode hat die AfD keinen einzigen Ausschußvorsitz inne. Gemäß der Geschäftsordnung und der gängigen Praxis stünden ihr der Vorsitz im Innen- und im Gesundheitsausschuß sowie im Ausschuß für Entwicklungszusammenarbeit zu. Diese Posten werden normalerweise im sogenannten „Zugreifverfahren“ besetzt, bei dem anhand des Stärkeverhältnisses festgelegt wird, in welcher Reihenfolge die Fraktionen einen Ausschußvorsitz besetzen können. 

Abweichend von dieser Regel wurden 2021 die Vorsitzenden in diesen Ausschüssen gewählt. Dabei erhielt der jeweilige AfD-Kandidat – Martin Hess, Jörg Schneider und Dietmar Friedhoff – keine Mehrheit. Formal haben seitdem diese drei Ausschüsse keinen Vorsitzenden und werden vom jeweiligen stellvertretenden Vorsitzenden geführt. 

Die Besetzung jedoch sei Sache der Selbstorganisation des Bundestags, sagte die Vorsitzende des Zweiten Senats, Doris König, in der Begründung des Urteils. Die Entscheidung erging einstimmig.  Zwar müßten die Ausschüsse im Bundestag die Stärkeverhältnisse im Parlament widerspiegeln, diese gelte allerdings nicht für die Ämter der Vorsitzenden, deren Funktion lediglich organisatorischer Art sind. Bereits im Juli 2022 hatte Karlsruhe einen Eilantrag in dieser Sache abgelehnt. Mit dem wollte die AfD-Fraktion erreichen, daß die von ihr benannten Kandidaten bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig als Ausschußvorsitzende eingesetzt werden. Dies lehnten die Verfassungsrichter ab. Andernfalls wäre, so die Begründung des Senats, das freie Mandat der Mehrheit der Ausschußmitglieder beeinträchtigt.

Im zweiten Fall ging es um die Abwahl des Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner vom Vorsitz des Rechtsausschusses in der vorigen Legislaturperiode. Eine solche Abwahl ist in der Geschäftsordnung des Bundestages nicht geregelt. Doch auch diese Klage lehnten die Richter nun ab. „Die Ausschußmehrheit hatte erkennbar das Vertrauen in den Ausschußvorsitzenden und seine Fähigkeit zur amtsangemessenen Amtsführung verloren“, weshalb aus ihrer Sicht eine „gedeihliche und effektive Zusammenarbeit“ nicht mehr möglich gewesen sei. 

In der Legislaturperiode von 2017 bis 2021 hatten außer dem später abgewählten Brandner noch weitere AfD-Abgeordnete einen Ausschußvorsitz inne: Den Haushaltsausschuß, dessen Vorsitz traditionell der größten Oppositionspartei zusteht, führte Peter Boehringer, den Tourismusausschuß Sebastian Münzenmaier und den Untersuchuchungsausschuß „Wirecard“ Kay Gottschalk. Nennenswerte Beschwerden über deren Leitungsarbeit wurden seinerzeit von keiner Fraktion erhoben.