Hoch gepokert – und gewonnen? Oder war Dietmar Woidkes erfolgreiches Ultimatum „Ich oder AfD“, mit dem es Brandenburgs Ministerpräsident gelungen ist, den Balken seiner SPD am Wahlabend über den blauen ragen zu lassen, am Ende doch bloß ein Pyrrhussieg?
Nicht nur, aber vor allem die Grünen sehen das so. Der bisherige Koalitionspartner in Potsdam hat mit 4,1 Prozent den Einzug in den Landtag verpaßt. Deutlich vom Wähler gerupft, und das mutmaßlich nicht nur wegen der dürftigen Leistungsbilanz der Ampel im Bund, sondern auch wegen eben jener Mobilisierungskampagne des Regierungschefs. Jedenfalls büßten die Grünen 47.000 ehemalige Wähler Richtung SPD ein. Dadurch habe die Mitte insgesamt verloren, der rechte Rand und Populisten seien gestärkt aus dem Urnengang hervorgegangen, bedauerte Grünen-Spitzenkandidat, Benjamin Raschke.
Ebenso ist ein kleiner Teil des Dreieinhalb-Prozentpunkte-Minus beim dritten Potsdamer Regierungspartner, der CDU, darin begründet, daß 13.000 Wähler von Schwarz zu Rot wechselten. Oder besser: Woidke. Im Adenauerhaus, der Parteizentrale des frisch gekürten Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz ist dieser Amtsinhaber-Bonus des Sozialdemokraten Woidke jedenfalls die komfortabelste Erklärung für das eigene historisch schlechte Ergebnis.
„Was vernünftig ist, dem stimmen wir zu“
Und überhaupt: Mit einer ähnlichen Strategie hat die Union in Sachsen und früher bereits in Sachsen Anhalt den Platz 1 in der Wählergunst knapp gegen die AfD verteidigen können. Kritiker in den eigenen Reihen betrachten solchen Erfolg jedoch äußerst skeptisch. Verstärke sich doch so die Tendenz, den Wettbewerb zwischen den Parteien, die sich diesseits einer Brandmauer „gegen Rechts“ wähnen, weiter zu nivellieren; was wiederum Wähler in die Arme der AfD treibe, die sich als einzige Opposition gegen ein unterschiedsloses „Parteienkartell“ präsentieren könne. Tatsächlich machten 21.000 frühere CDU-Wähler am vergangenen Sonntag ihr Kreuz bei der AfD. Nur von einstigen Nichtwählern (79.000) bekam die Partei mehr Zuspruch.
Als einzige Partei könne die AfD konstant drei erfolgreiche Wahlen mit einem hervorragenden Ergebnis vorweisen, freute sich die Bundesvorsitzende Alice Weidel am Montag bei einer Pressekonferenz. Spitzenkandidat Christoph Berndt bezeichnete sich selbst als „beinahe restlos zufrieden“. Das Ergebnis des Wahlabends sei „größer als erwartet“, man sei die Partei „der Jugend, der Arbeitnehmer und des Mittelstands“. Nur durch „Stimmentransfer“ habe der Ministerpräsident seine SPD auf Platz 1 gehievt; im Wahlkreis mußte Woidke das Direktmandat dem AfD-Mitbewerber Steffen Kubitzki überlassen, betonte Berndt. Daß seine Fraktion künftig über eine Sperrminorität verfügt, mit der sie Verfassungsänderungen oder die Wahl von Richtern blockieren könnte, wollte der Spitzenkandidat und wohl auch künftige Fraktionschef nicht so hoch hängen. Wie man sich diesbezüglich verhalten wird, werde von Fall zu Fall entschieden. „Wir machen das von Inhalten abhängig. Was vernünftig und gut für das Land ist, dem stimmen wir zu“, so Berndt. Es gebe für die AfD keine Brandmauer.
Den knappen Sieg im Kopf-an-Kopf-Rennen mit der AfD nannte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert eine „furiose Aufholjagd“, die nun Vorbild für die Bundespolitik sein müsse. Schwierig dürfte für den Wahl- oder Pyrrhus-Sieger Woidke die Regierungsbildung werden. Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das zum dritten Mal in Folge auf Anhieb den Einzug in einen Landtag schaffte, hätte die SPD eine knappe Mehrheit. Die BSW-Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali und Spitzenkandidat Robert Crumbach äußerten sich am Montag grundsätzlich gesprächsbereit. Es brauche spürbare Veränderungen, „sonst machen wir es nicht“.
Blank liegen die Nerven offensichtlich in Teilen der FDP. Ganze 12.462 Brandenburger gaben den Liberalen noch ihre Zweitstimme. Die rutschten damit auf Platz zehn sämtlicher Bewerber und das niedrigste je bei einer Landtagswahl erzielte Ergebnis ab: 0,8 Prozent. Damit unterbot die in Berlin mitregierende Partei sogar noch ihre dürftigen Resultate aus Sachsen und Thüringen.
„Entweder die Ampel zeigt, daß sie die nötigen Schlüsse aus diesen Wahlen ziehen kann, oder sie hört auf zu existieren“, schlußfolgerte Parteivize Wolfgang Kubicki: „Das ist eine Angelegenheit von wenigen Wochen. Bis Weihnachten warten wir nicht mehr. Das können wir dem Land nicht zumuten.“ Der „Herbst der Entscheidung“ stehe nun an, raunte auch FDP-Chef Christian Lindner. Diese Prognose ist nicht gewagt. Denn selbst wenn die Koalitionäre in den Winter hinein weiterwursteln wie bisher, wird im Herbst entschieden. Im Herbst 2025 spätestens. Vom Wähler.
Fotos: Bundesvorsitzende Weidel (M.), AfD-Spitzenkandidat Berndt (r.) und Landeschef Springer: „Partei der Jugend und des Mittelstands“
Ohne Grün: Parteichefinnen Pichl (l.) und Große-Holtrup (r.) und die Spitzenkandidaten Töpfer (2.v.l.) und Raschke – aber keine Mandate
SPD-Spitzenkandidat Dietmar Woidke nach seinem knappen Triumph: Das eigene Direktmandat aber hat er an die AfD verloren
Grafiken, siehe PDF Ausgabe