Cooles Shirt, original von früher?”, fragt der junge Mann im Sportstudio und zeigt auf das quer gestreifte Hertha-Trikot aus den neunziger Jahren. „Jetzt online oder damals selbst gekauft?“ Er sei ja selbst immer auf der Suche nach gut erhaltenen Stücken mit interessanten Spielernamen, aber die Preise im Internet seien „ja teilweise unnormal – und das letztlich für Second Hand“.
Fußballtrikots sind wieder in, also nicht nur zum Sport, sondern im Alltag. Einst Kindern im Schulsport überlassen und bei Erwachsenen schnell in die Trinkhallen-Schmuddelecke geschoben, sind die Vereinsleibchen wieder angesagte Accessoires. Während der EM in Deutschland sammelten selbst junge Tiktokerinnen fleißig Hemdchen – und natürlich die Autogramme der jeweiligen Spieler. Nur beides in Kombination bringt auf den Verkaufsplattformen richtig Kohle. Erst recht, wenn es sich dabei um Oldschool-Stücke von Legenden oder besonderen Saisons oder Turnieren handelt. Aber wer hätte nicht selbst gern eine Nummer 10 von Maradona in der Nationalmannschaft oder vom SSC Neapel? Oder einen Matthäus von 1990? Ein Klinsmann-Dreß bei Tottenham oder von der EM 1996?
Zwischen Shabby-Schick und Lokalpatriotismus
Moderator und Podcaster Tommi Schmitt wählte Retro-Fußball-Trikots zu seinen „10 Essentials“, ohne die er „nicht leben kann“. Allerdings zeigte sich der bekennende Gladbach-Fan gegenüber GQ Germany ambivalent zu dem Hype: „Mittlerweile ist es ja leider en vogue, Vintage-Trikots zu haben: die ganzen Hollywood-Stars, oder auch in Berlin in den Clubs haben jetzt alle Fußballtrikots an. Das ist irgendwie cool, jetzt kann ich die auch mal häufiger tragen, ohne wie ein kompletter Vollfreak zu wirken – wenn ich vor fünf Jahren mit einem Fußballtrikot rumgelaufen bin, dachten die Leute, ich bin komplett assi. Und jetzt kriegste direkt einen Flat-White-Kaffee in die Hand gedrückt, wenn du ein Retro-Inter-Mailand-Trikot anhast“. Manche Stücke seien „wirklich Fashion“ und sehen „aus wie von Balanciaga“.
Jahrzehntealte Vereinsfarben als selbstironischer Hipster-Schick, Authentizität und Normalo-Erdung zwischen Influencer-Likes und It-Pieces-Zurschaustellung – mancherorts könnte das nach hinten losgehen. Dabei ist die Verlinkung zu Subkulturen, in denen es gern mal betont „shabby“ zugehen kann, nicht ganz neu. Schon Fritz Kalkbrenner trug als DJ Ickarus im Techno-Kultfilm „Berlin Calling“ 2008 Fußballtrikots.
Aber von wegen schäbig und assi. Trikots sind längst eine eigene Einnahmesäule in den Kalkulationen der Vereine. Legendär und wegweisend die absurden Millionen-Transfers von Ronaldo und Beckham zu Real Madrid, die damals noch – heute sind diese Beträge normal – für ungläubiges Kopfschütteln sorgten, aber allein durch die Trikotverkäufe mit den entsprechenden Namen schon bald einen erheblichen Teil der Ablösesummen wieder eingebracht haben.
Und diese Entwicklung hat auch kleine, eher regional verhaftete Clubs erreicht. Energie Cottbus beispielsweise meldete im Sommer, in den vergangenen drei bis vier Jahren seine Absätze im Trikotverkauf verdreifacht zu haben. Ein Trikot im Alltag zu tragen ist einerseits ein lokalpatriotisches, sichtbares Bekenntnis zur Heimat. Auf der anderen Seite zählen international oft nur große Namen. Als Lionel Messi 2023 zu Inter Miami wechselte – nicht gerade ein in Fußballerherzen tief verwurzelter Traditionsverein – machten die US-Amerikaner allein mit Trikots des Argentiniers 100 Millionen Euro.
Diese Zahlen sind nur möglich dank hoher Kaufpreise und einer enormen Gewinnmarge, die mancher Fan als ausgestreckte Zunge empfinden könnte. Bei Durchschnittspreisen in der Anschaffung von 100 Euro pro Shirt sprechen wir „von fünf bis zehn Euro an Produktionskosten – das schwankt ein wenig“, bilanziert der Wirtschaftswissenschaftler, Marketingunternehmer und Trikotsammler Michael Bernecker gegenüber RBB24. „Die Logistikkosten halten sich ebenfalls in Grenzen, da in diesen Prozeß kaum noch Menschen involviert sind. Hier werden 500 Lagen Stoff in eine vollautomatisierte Presse geschoben und unten kommen 250 Trikots raus. Zwar ist auch hier noch Handarbeit involviert, es funktioniert aber ähnlich wie bei der Fast Fashion von Primark und Konsorten.“ Allerdings seien neben Marketingkosten, Händleranteilen und Steuern die Produktionskosten ohnehin „der kleinste Teil“.
Das Bundesligatrikot, das einem die Mutter vor über 25 Jahren zum Geburtstag geschenkt hat, hervorholen, mit stolzer Brust tragen und im eigenen Kiez von anderen Fans aus dem vorbeifahrenden Auto unterstützend behupt und besungen werden: unbezahlbar.
Foto: Vereinsleibchen feiern auch in der Clubkultur ein Revival: Ausschnitt aus dem Techno-Kultfilm „Berlin Calling“