© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/24 / 20. September 2024

Flowerpower rettet den Wald
Kino: Ein Zeichentrick-Abenteuer aus Brasilien offeriert sich als neuer Kultfilm der Klimaschutzbewegung. „Avatar“ läßt grüßen
Dietmar Mehrens

So schön wie der Brasilianer Alê Abreu hat wohl noch nie ein Filmemacher die wichtigsten Parameter der grünen New-Age-Bewegung zu einem Kunstwerk vereinigt. Schon die ersten Bilder des von Esoterik-Botschaften durchstrahlten Zeichentrickfilms „Das Geheimnis der Perlimps“ geben die Richtung vor: Zu Sphärenmusik, die man während des ganzen Films nicht mehr los wird, erfüllen monochrom flackernde Farbflächen die Leinwand.

Die Einführung ins Thema durch einen unsichtbaren Sprecher führt bildhaft ein in Grundbegriffe des Taoismus. Tao nennt man nach der fernöstlichen Lehre das alles durchdringende Prinzip, die ursprüngliche, elementare Einheit. Allem Geschaffenen, der Natur, der Erde, wohne eine spirituelle Wesenheit inne, erläutert der Sprecher. Mit dem persischen Gnostiker Mani interpretiert Autor und Regisseur Alê Abreu diese spirituelle Wesenheit als Lichtteilchen. Diese nennt er Perlimps. Durch die Ankunft der Riesen, eine Allegorie für die Zivilisation, gerieten die Perlimps in Vergessenheit. „Sie wiederzufinden ist die wichtigste Aufgabe“, wird der Zuschauer zu Beginn des Films unterrichtet. Um die Welt zu retten, muß die Verbindung mit den mystischen Lichtwesen wiederhergestellt werden. Am Ende kommt dann eine kolossale Mauer ins Bild – ein Symbol für die Trennung, die es aufzuheben gilt.

Paradebeispiel für die esoterische Unterwanderung des Kulturbetriebs

Der 1971 in São Paulo zur Welt gekommene Regisseur hat also eine Art „Avatar“-Variante für Kinder geschaffen. Er folgt damit dem von der westlichen Kulturelite befeuerten Trend, das traditionelle Christentum durch eine esoterische Universalreligion zu ersetzen, der zufolge alles eins und nur wieder in Einklang mit sich zu bringen sei, um ein Paradies auf Erden zu schaffen – Selbsterlösung statt Erlösung durch Christus. Daß das praktisch einen Rückfall in vorsintflutlichen Animismus bedeutet, lediglich modisch schick neu verpackt, ist eine Schlußfolgerung, die selbstverständlich hier nicht gezogen wird. Passend zur Kernbotschaft bedient sich das animierte Dschungelabenteuer künstlerisch bei naiver Malerei und Flowerpower-Ästhetik. 

Träger der Heilsbotschaft in diesem Paradebeispiel für die esoterische Unterwanderung des Kulturbetriebs ist die allegorische Geschichte zweier kindlicher Agenten, die dem taoistischen Yin-und-Yang-Prinzip gemäß einander anfangs rivalisierend gegenüberstehen: Claé, der kleine Fuchs, der sich selbst für einen Wolf hält, und das Bärli Bruô sind beide in geheimer Mission unterwegs und treffen zufällig an einem großen Baum aufeinander. Claé hat es im Auftrag des Königreichs der Sonne in den Wald verschlagen, Bruô ist Spezial-agent des Königreichs des Mondes.

In seinen Konnektor, eine Art Funkgerät, das ihn mit seinen Auftraggebern verbinden soll, spricht Claé Statusmeldungen. Eine davon klingt beunruhigend: „Die Riesen haben den Wald umzingelt!“ Immer wieder ist die Rede von einer großen Welle, von Wassermassen, die das Waldgebiet zu verschlingen drohen. Es sind natürlich die Bagger und Abholzungsmaschinen der Menschen, die das Dschungelparadies bedrohen. Nur wenn die beiden Geheimagenten ihre Kräfte bündeln und gemeinsam zu den Perlimps vordringen können, ist Rettung noch möglich. Denn die mysteriösen Wesen verfügen über eine mächtige Energie, die die Riesen aufhalten kann.

Auf ihrem Weg durch den bedrohten Wald treffen Claé und Bruô auf Spuren einer untergegangenen Stadt, wandern auf Wolken und erreichen schließlich mit Hilfe eines seltsamen Vogels namens Hans von Lehm die Welt der Riesen. Werden der Agent des Sonnen- und der Gesandte des Mondreichs hier nun jenen berüchtigten Käpt’n Goldglanz stellen, der unschwer als Pars pro toto für den militärisch-industriellen Komplex zu identifizieren ist oder noch einfacher: als Inkarnation des kapitalistischen Ausbeutungsprinzips?

„Das Geheimnis der Perlimps“ kommt zwar im Gewand eines harmlosen Kinderfilms daher, steckt aber voller Symbole und Andeutungen und entpuppt sich damit als klug getarnte und visuell durchaus ansprechend gestaltete Fabel für junge Erwachsene mit ökologischem Impetus. Die Vorführung und begeisterte Aufnahme der trendigen Transformationsparabel im Rahmen von FfF-“Klima-Camps“ oder Aktionswochen der „Letzten Generation“ läßt sich schon jetzt vorhersehen. Innerhalb der Klimaschutzbewegung könnten die „Perlimps“ einen ähnlichen Kultstatus erringen wie der Zeichentrickfilm „Wenn der Wind weht“ (1986) über ein strahlenverseuchtes Ehepaar bei Friedensbewegten der Achtziger.

Kinostart ist am 19. September 2024