© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/24 / 20. September 2024

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Erinnerungen können trügen, doch Dokumente lügen nicht. Dieser Tage stieß ich zu Hause auf die Eintrittskarte zu meinem ersten Bruce-Springsteen-Konzert. Es war die „Born in the USA“-Tour 1984/85. In Deutschland hatte der Boss nur zwei Auftritte, in Frankfurt am Main und in München, und so fuhren wir am 15. Juni 1985 mit dem Bus ins Frankfurter Waldstadion. Seither habe ich ihn rund ein weiteres halbes Dutzend Mal live erlebt – und keinen dieser Gottesdienste je vergessen. Am kommenden Montag nun (23. September) kann Springsteen seinen 75. Geburtstag feiern. Ad multos annos!

Wenn die Welt eine gerechtere wäre, wäre Stefan Raabs grenzdebiles Lied „Pa aufs Maul“ Anfang dieser Woche nicht auf Anhieb in den iTunes-Charts an Linkin Parks „The Emptiness Machine“ vorbeigezogen und auf Platz eins gelandet.

Selbst der Wertezertrümmerer Friedrich Nietzsche galt

Emil M. Cioran als zu wenig radikal.

„Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken.“ (Quelle: Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, entstanden 1845/46, erstmals volländig publiziert 1932)

Vorsicht, die folgenden drei Zitate könnten sensible Gemüter verstören, Sie lesen auf eigenes Risiko weiter: „Indem die Natur den Menschen zuließ, hat sie viel mehr als einen Rechenfehler begangen: ein Attentat auf sich selbst.“ – „Das ganze Geheimnis des Lebens läuft darauf hinaus, daß es keinerlei Sinn hat; daß aber jeder von uns dennoch einen ausfindig macht!“ – „Es lohnt nicht die Mühe sich zu töten, denn man tötet sich immer zu spät.“ Alle diese Sentenzen stammen von dem rumänischen Philosophen Emil M. Cioran (1911–1995). Bekannt für seine pessimistische und nihilistische Sichtweise auf die Welt und auf das Leben, gilt er vielen als einer der bedeutendsten Kulturkritiker des 20. Jahrhunderts. Selbst Nietzsche, der Philosoph mit dem Hammer und Wertezertrümmerer, galt Cioran im Denken als zu wenig radikal. „Der Gedanke muß ätzen wie ein Gifttropfen“, notierte er. Zu seinen wichtigsten Werken gehören die sprechenden Titel „Auf den Gipfeln der Verzweiflung“, „Das Buch der Täuschungen“, „Lehre vom Zerfall“, übersetzt von Paul Celan, und „Vom Nachteil, geboren zu sein: Gedanken und Aphorismen“. Wer mehr über das Leben und Werk dieses Weltskeptikers und Misanthropen erfahren möchte, dem sei die bereits 2007 veröffentlichte, zwischenzeitlich vergriffene Biographie Ciorans von Bernd Mattheus ans Herz gelegt. Sie ist soeben in einer preisgünstigen broschierten Neuausgabe erschienen. In seinem Prolog heißt es: „Cioran gelingt es immer wieder, den Glauben an die Allmacht der Geschichte, der Politik, des Sozialen in einem sarkastischen Gelächter zerplatzen zu lassen.“


Bernd Mattheus: Cioran. Porträt eines rasenden Skeptikers.  Matthes & Seitz, Berlin 2024, broschiert, 367 Seiten, 18 Euro