Der Abstieg der Grünen in ihr heutiges Tal der Tränen begann nach Einschätzung des emeritierten Berliner Demokratieforschers Wolfgang Merkel (HU) bereits vor der Bundestagswahl im Herbst 2021. Statt der prognostizierten 28 Prozent erhielt die Partei, die aktuell bei elf Prozent liegt, nur 14,8 Prozent. Damit habe die Partei der „meinungsstiftenden Berufe und kulturellen Dienstklassen“ ihr Potential maximal ausgeschöpft. Denn auf dem Weg zur „neuen Volkspartei“, zu der sie ihr wohlwollende liberale Medien wie Spiegel und Zeit ausriefen, seien die Grünen wegen der Überrepräsentanz der postmodernen, urbanen Mittelschicht unter ihren Wählern nie gewesen. Da Bündnis 90/die Grünen soziologisch gesehen weder programmatisch noch mit ihrer Wählerschaft, zu der weder Arbeiter, Kleinstadt- und Landbewohner noch das „gehoben-konservative und nostalgisch-bürgerliche Milieu“ gehören, keine Volkspartei sei, stoße der Wählerzuspruch regelmäßig an eine harte gläserne Decke: „Höher als 2021 ging’s nicht“. Zudem verspielte sie als Regierungspartei ihre kulturelle Hegemonie. Was sich einst als „basisdemokratisch“ inszenierte, endete in der Ampelkoalition im moralischen Paternatalismus einer „Verbotspartei“. Deren autoritärer Politikstil war während der Corona-Pandemie durch Mißachtung demokratischer Verfahren und rechtsstaatlicher Normen geprägt. Die völlig von den Stimmungen und Sorgen der Masse des Volkes entkoppelte „technokratisch-grüne Arroganz der Macht und des Besserwissens“ habe sich dann bei der Umsetzung des Gebäudeenergiegesetzes gezeigt, die zu weiteren Einbußen an „diskursiver Dominanz“ geführt habe (Cicero, 9/2024). (dg) www.cicero.de