© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/24 / 20. September 2024

Überall „Faschisten“
Landtagswahl Brandenburg: Seit der Wende stellt die SPD ununterbrochen den Ministerpräsidenten. Damit könnte nach dem 22. September Schluß sein
Martina Meckelein / Kuba Kruszakin

Brandenburg. Das Land, in dem „Nazis keinen zum Verprügeln“ finden und 17jährige aus „Langeweile gegen einen Baum gurken“. Das meinte jedenfalls der Kabarettist Rainald Grebe 2005. Das Lied ist aktuell unter Intellektuellen und denen, die sich dafür halten, wieder en vogue. Doch diesmal ist in dem Land wirklich etwas los. In ihm findet am kommenden Sonntag die letzte der drei Landtagswahlen in diesem Jahr statt. Wie hypnotisiert starren alle auf zwei Parteien: die AfD und den Senkrechtstarter BSW. Dazwischen: Parteien, die immer noch nicht verstanden haben, daß der Bürger von ihrer Politik die Nase gestrichen voll hat.

 „Schauen Sie“, sagt Gudrun Stilzebach und zeigt ihren Unterarm, auf dem bei 35 Grad die Haare zu Berge stehen. „Ich habe noch immer Gänsehaut.“ Die Rentnerin und Oma des kleinen Dean wollte ihren Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) einmal leibhaftig, „sozusagen in voller Montur“, formuliert sie, sehen. „Ich finde den Mann super.“ Der seit 2013 amtierende Ministerpräsident Brandenburgs spricht ausgiebig mit den Gästen auf dem Familienfest in Velten. Seine Partei hat es organisiert, so wie jedes Jahr. Alles auf einem großzügigen Waldspielplatz. Kinder und Tiere. Bessere Fotos kann sich ein Politiker nicht wünschen. Woidke nimmt man den Landesvater durchaus ab. Ausgiebig spricht er mit den Besuchern, und der Mann kann wirklich mit Kindern. „Der Charly hat ein Spielzeug auf dich geschmissen?“, fragt er den kleinen Dean. „Ja“, sagt der ernst.

 Auf der Bühne wechselt Woidke vom Kinderversteher in den Angriffsmodus. „Gucken Sie sich einfach mal an, was die einzelnen, die hier heute so hängen, in den letzten Jahren zustande gebracht haben!“ Er meint natürlich die politischen Gegner auf den Wahlplakaten. Dabei zählt er auf, was seine SPD-geführte Landesregierung in den letzten fünf Jahren geschafft habe: eine medizinische Universität in Cottbus, Kitas beitragsfrei gemacht. Und er nennt explizit einen Bremsklotz. „Glauben Sie der AfD nicht, wenn sie sagt, sie wäre für die Familien!“ Die Partei habe gegen beitragsfreie Kitas geklagt, gegen die Entlastung der Krankenhäuser. Der Haken: Das Landesverfassungsgericht gab der AfD teils recht. Zwei Milliarden neue Schulden sollten die Kosten decken, mit der „außergewöhnlichen Notsituation“ wegen des Ukrainekriegs als Begründung. Wie die zehnstellige Summe die Notlage abmildern sollte, habe das Kabinett nicht ausreichend erklärt.

Mit Blick auf die beiden vergangenen Wahlen in Sachsen und Thüringen ist die Frage der möglichen Koalitionen und unmöglich einzureißenden Brandmauern die wichtigste. Woidke erklärt der JUNGEN FREIHEIT: „Als erstes kann man über eine Regierungsverantwortung nur mit Parteien reden, die die gleichen Ziele verfolgen. Da zeigt sich natürlich: Die SPD verfolgt ganz andere Ziele als die AfD. Der zweite Punkt ist, daß es beim Wahlergebnis nicht nur darum geht, wer in welcher Stärke im Landtag sitzt.“ Sollte die AfD vor der SPD landen, wolle er zurücktreten. Dabei hätte er auch als Zweitplazierter ein leichtes Spiel. Eine Zusammenarbeit mit der AfD lehnen nämlich alle ab. Wo liegt dann das Problem? Der JF sagt er: „Am Ende geht es auch darum, welches Image dieses Land hat. Wenn dieses Land ein Image der Ausländerfeindlichkeit, ein Image des Rassismus bekommt, dann wird es diesem Land schwer schaden.“

Brandenburg verzeichnet seit 2014 einen Bevölkerungszuwachs. Darauf ist Woidke stolz. Dabei sind es junge Familien aus Berlin, die sich im Speckgürtel ansiedeln. In den tiefsten Südwesten, etwa Herzberg an der Elster, zieht es diese Hipster natürlich nicht. Trotz Sanierung sind viele Wohnungen unvermietet. Leerstandsquote kreisweit: 9,4 Prozent. „Was sollen die Leute auch hier machen, wenn sie keine Arbeit haben“, schimpft ein älterer Herr. In Herzberg seien Probleme des ländlichen Brandenburgs besonders deutlich zu spüren, zum Beispiel der Öffentliche Personennahverkehr. „Selbst den Bahnhof haben sie zugemacht, der war mitten in der Stadt.“ Jetzt muß der 87jährige, wenn er zum Arzt will, zu dem über zwei Kilometer vom Stadtkern entfernten Bahnhof gehen, um dann in den Bus zu steigen und zum Arzt zu fahren. „Also der Woidke, der ließ sich nicht einmal hier blicken! Dafür mehrfach die AfD.“ Der alte Mann war einmal SPD-Mitglied. „Heute schäme ich mich dafür.“

„Wenn die AfD hier abräumt, dann ist Scholz weg …“

Unweit von Herzberg, in Bad Liebenwerda, werben die Freien Wähler um Stimmen. Selbst wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht schaffen, könnten sie ein Direktmandat bekommen. „Bernau ist unsere Lebensversicherung“, sagt am Wahlkampfstand Sabine Buder. Die 40jährige Tierärztin, ehemals CDU-Bundestagskandidatin, ist Kreistagsabgeordnete im Landkreis Barnim und kandidiert für die BVB-Freie Wähler auf Platz zwei. Auf der Eins sitzt Péter Vida, für den Wahlkreis 14 in Bernau und Panketal. Mit der AfD will Buder nicht zusammenarbeiten. Also auch hier eine Brandmauer? „Wenn man sich wirklich die Mühe macht und mit der Politik der AfD auseinandersetzt – gerade in den Parlamenten, in denen wir vertreten sind – dann stellt sich die Frage einfach nicht, weil sie sich spätestens nach der dritten Sitzung zerlegen, weil die keine Anträge stellen, die diesen Namen verdienen. Das ist keine Basis für irgendeine Zusammenarbeit!“ Besser kommen bei ihr die Grünen allerdings auch nicht weg. „Ich will nicht ausschließen, daß es in ganz Deutschland keine vernünftigen Grünen gibt – ich sage nur, daß sie in Brandenburg unterrepräsentiert sind. Sie haben das Gegenteil von dem versprochen, was sie jetzt umgesetzt haben.“ Und Wagenknecht? „Also, ich warne ein bißchen vor dieser Ausschließeritis – letztendlich hat das mit dem Respekt vor dem Wähler zu tun.“ Und die CDU? „Tatsache ist, daß sie die ganze Power in die Innenbetrachtung stecken und daß es ihnen völlig ‘wurscht’ ist, was drumherum passiert.“

 Die Christdemokraten haben unweit von Wittstock nach Berlinchen, ein 200-Seelen-Nest, auf ein Landgut eingeladen. Spitzenkandidat und Jurist Jan Redmann hat gerade seinen Führerschein wegen einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Roller (1,28 Promille) verloren. Rund 60 Besucher, in wehenden Sommerkleidchen die Damen und dunklen Hosen und weißen Hemden die Herren. Zu elf Uhr ist geladen, doch der Ehrengast, Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU), läßt auf sich warten. Es wird zwölf Uhr, es wird 13 Uhr. Redmann scheint es die Sprache verschlagen zu haben, statt den Conférencier zu mimen, steht er verloren unter seinen Parteifreunden. Auch dem Blasorchester Wittstock (Dosse) geht bei der Hitze die Puste aus. Wo bleibt Wegner? Im Stau auf der A24 – Vollsperrung. Endlich um 13.58 Uhr kommt er. Und das Blasorchester findet wieder Töne: Preußens Gloria.

Wegner soll seinen Parteifreund unterstützen, doch er lobt sich selbst. Dafür, daß er hinter seiner Polizei stehe. Dafür, daß man sich im Kindergarten und in der Grundschule mit Rechnen, Schreiben und Lesen befasse. „Und nicht mit Gendertoiletten.“ Lautes Gelächter. Redmann sagt: „Wir wollen die Veränderungsregierung bilden – eine, die die Dinge anders macht als jetzt.“ Dabei sitzt die CDU mit der SPD seit fünf Jahren auf der Regierungsbank. Müßig, aber der Ordnung halber: Mit der AfD und der Linken will sie nichts zu tun haben. Grüne sollten im Idealfall auch draußen bleiben. 

Echte Großveranstaltungen trauen sich nur zwei Parteien zu: die AfD und das BSW. Auf dem Holzmarkt in Frankfurt (Oder) versammeln sich rund 600 Leute. Studenten, Schüler und Senioren wollen Sahra Wagenknecht sehen – trotz des kalten stürmischen Wetters. Sie alle warten seit 16 Uhr, doch ihre „Sahra“ kommt nicht. Zehn Minuten, zwanzig Minuten, eine halbe Stunde. Ihre Vorredner versuchen, die Zeit zu füllen. Reinhard Zarneckow, Ex-Landtagsabgeordneter der SPD aus der Stadt, versucht vergeblich, seiner jetzigen Partei das Image der „One-Woman-Show“ zu ändern. Er erläutert die Parteistrukturen. Mehrfach stottert er. „Es wird bessere Reden geben“, verspricht er. Es ist kurz vor 17 Uhr, die ersten Zuschauer gehen. „In drei Minuten kommt Wagenknecht“, sagt Zarneckow, „und schauen Sie nicht auf die Uhr, das BSW wird Ihnen die Wahrheit sagen!“ Wirklich, Wagenknecht spricht. Eine halbe Stunde Rundumschlag gegen die Bundesregierung: Habeck, der vor Katar buckelte, Lauterbach, der eine „komplette Fehlbesetzung im Amt“ sei. „Die Wagenknecht, die hat ein wahnsinniges Repertoire“, lobt ein älterer Besucher ihre Redegewandtheit. Nur über Brandenburg sprach sie nicht.

Zu 18 Uhr lädt die AfD nach Werder/Havel auf die Bismarckhöhe ein. „Omas gegen Rechts“ und die Antifa wollen auch mitfeiern. Doch die Polizei riegelt weiträumig ab. Am Eingangstor, vor dem mehrere hundert Besucher ruhig warten: Taschenkontrollen, Regenschirme und Wasserflaschen müssen abgegeben werden. Körper werden abgetastet. Das Gebrüll: „Ganz Werder haßt die AfD“, ist oben im Ausflugslokal mit dem riesigen Saal nicht zu hören. Ein Mann sagt: „Ich komme aus Werder, von den linken Chaoten kenne ich niemanden.“ Der Saal ist mit 500 Besuchern brechend voll. Alle warten auch hier auf eine Frau. Ohrenbetäubender Jubel, Pfiffe, Klatschen, als Alice Weidel die Bühne betritt: „Wenn die AfD hier richtig abräumt, dann ist der Scholz weg, dann ist die Ampel weg“, sagt die Bundesvorsitzende. Um 21 Uhr ist der Abend beendet. Da ist die Antifa schon lange weg.

„Tötet den Immobilienmakler“, grölt die Rapperin bei der Linken

Die Angst vor der AfD dominiert den Wahlkampf der Grünen in Potsdam. Vor dem Wahlkreisbüro der Bundesaußenministerin Annalena Baerbock kämpft ein weiterer SPD-Juniorpartner um den Wiedereinzug in den Landtag. Hier, im Wahlkreis 21, verfügt die Grüne Marie Schäffer über ein Direktmandat. Wieder eine Lebensversicherung für eine Partei, die Umfragen zufolge die Sperrklausel verfehlen könnte. Mitten im Wahlkampf mit Kinderliedern, Tischtennis und Popcorn liegen die Nerven blank. „Sie bieten so etwas Ungesundes an“, frotzelt ein älterer Herr eine der Grünen an, die Popcorn brutzelt. „Haben Sie etwa was gegen die Grünen?“, empört sich ein junger Mann und flüstert ihm verschwörerisch zu: „Wir müssen die Grünen wählen, weil es Faschisten gibt. Es gibt Faschisten mitten unter uns!“

 Die Grünen haben mächtige Unterstützer. Die linke Kampagnenplattform Campact möchte die Partei im Landtag sehen. Schäffer bekommt von ihnen 25.000 Euro. Freilich sorgte das für einen Zwist mit der SPD. Schäffers Konkurrentin und Landesministerin für Wissenschaft, Manja Schüle, nannte es „höchst problematisch“, daß sich eine Kampagnenplattform mit viel Geld in dieser Weise in den Landtagswahlkampf „einmische“. Dabei bekommt die märkische SPD ebenfalls 100.000 Euro sowie Unterstützung für 25 Direktkandidaten in anderen Wahlkreisen, auch ihr Sommerfest in Velten wurde von dem Verein mitgesponsert. Auch Péter Vida von den Freien Wählern erhielt 4.000 Euro. 

„Wir wollen eine starke Stimme für den sozial gerechten Klimaschutz sein“, sagt Schäffer zur jungen freiheit. Ein Begriff, mit dem die Landbevölkerung kaum was anfangen kann. Die haben andere Probleme: Den miserablen ÖPNV. Als Lösung haben die Grünen den Begriff der „Mobilitätsgarantie“ entdeckt. „Wir wollen, daß an jedem Ort in Brandenburg mindestens einmal pro Stunde ein Bus oder Zug fahren muß“, so Schäffer. Dafür habe die Partei ein Gutachten beauftragt. „Ehrlich gesagt, habe ich nicht mehr im Kopf, was das kosten würde.“ Wir schauen nach: Mehrkosten von 38 Millionen Euro im Jahr. Das Jahreshaushaltsvolumen beträgt übrigens mehr als 16,3 Milliarden Euro.

Doch was ist mit anderen Problemen, etwa Energiepreisen? Immerhin sind sie in Brandenburg die höchsten unter den neuen Bundesländern. „Da gibt es einen Weg auf der Landesebene: Erneuerbare stärker ausbauen.“ Fachkräftemangel? „Asylsuchende schnell in Arbeit bringen“, so Schäffer. Und ein weiteres Problem ansprechen: „Bezahlbares Wohnen ist ein Riesenthema für viele junge Familien.“ Mit 12,1 Euro je Quadratmeter ist der Durchschnittspreis in Potsdam einer der höchsten in Brandenburg. „Wir wollen, daß soziale Träger und Genossenschaften mehr bauen können.“

Der Lösungsansatz der Linken hingegen: „Komm mal klar und töte den Immobilienmakler“ singt Rapperin Lena Stoehrfaktor auf der Wahlkampfveranstaltung der Partei am Johannes-Kepler-Platz in Potsdam. 70 Leute hören den Kulturschaffenden zu. Die Linkspartei hat keine Chance auf ein Direktmandat. Ihr Ausweg: „Es gibt nicht nur das Parlament, das Gesetze beschließt“, sagt der Neues Deutschland-Verlagsleiter Rouzbeh Taheri, einer der Köpfe der Berliner Volksinitiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Ein entsprechender Gesetzesentwurf soll per Volksentscheid verabschiedet werden. „Das wäre ja revolutionär“, lobt Theaterregisseur Volker Lösch die Initiative, er moderiert die Diskussion. Dann läßt er die Potsdamer Landtagsabgeordnete Isabelle Vandre sagen: „Wir brauchen die Linke im Landtag, weil alle anderen nach rechts gehen“, und schnell schiebt sie nach: „Wir sind die einzigen, die klare Kante gegen den Faschismus zeigen.“ Mit der Meinung hat Frau Vandre kein Alleinstellungsmerkmal. 



Fotos: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) auf Augenhöhe, um mit kritischen Bürgern in Velten zu sprechen: Er will zurücktreten, wenn die AfD stärker als die Sozialdemokraten abschneidet , Die Freien Wähler in Bad Liebenwerda: „Wählt Orange“, bitten Gerlinde Schneider, Sabine Buder, Sandra Raddatz und Hans Ulrich Nink (v.l.n.r.), In Werder an der Havel müssen die Antifa  und die „Omas gegen Rechts“ draußen bleiben: Die Polizei schützt weiträumig die AfD-Veranstaltung mit Alice Weidel auf dem Bismarckhügel  CDU-Spitzenkandidat Jan Redmann in Berlinchen: Mehr als Platz drei ist nicht drin , Marie Schäffer (Grüne, Potsdam):25.000 Euro Wahlkampfhilfe von Campact , Sahra Wagenknecht in Frankfurt (Oder):  Sie schießt lieber gegen die Ampel