Wann ist ein Krieg reif für Verhandlungen? Es muß die Einsicht beider Seiten vorliegen, daß auf dem Verhandlungswege bessere Lösungen erreichbar sind als durch militärische Mittel – inklusive eigenem „Blutzoll“. Der am 24. Februar 2022 begonnene russische Angriffskrieg kommt in die „Reifejahre“. Die Ukraine setzt immer effektivere Waffensysteme des Westens ein, es findet eine Ausweitung des Krieges auf russisches Gebiet mit Fernwaffen und Landstreitkräften statt, das Ausmaß an Toten und Zerstörungen wächst täglich.
Rußland droht mit dem Einsatz von Atomwaffen, massive Aufrüstungen führen beiderseits zu Kriegs- und Mangelwirtschaften, es herrschen allseitige Rekrutierungsprobleme. Hinzu kommt die offensichtliche, wenngleich offiziell bestrittene, Kriegsmüdigkeit des Westens. Die Militär-, Finanz- und humanitären Hilfen der USA summierten sich bis Juni 2024 auf umgerechnet 75,1 Milliarden Euro. Bei Deutschland kommen noch die Flüchtlingskosten von 28,24 Milliarden Euro hinzu, so daß sich die deutschen Hilfen auf 42,93 Milliarden Euro summieren.
Völkerrechtliche Bedenken und unsichere Rückzahlung
Doch die nationalen Finanzhilfen stocken. Im Bundeshaushalt 2025 sind die auf vier Milliarden Euro halbierten Ukraine-Hilfen durch geplante Ausgaben bereits überbucht, und neue Rüstungsgüter werden für die eigene „Kriegstüchtigkeit“ benötigt. Zudem hat die Regierung ihre Bürger die wahren Kosten von Beginn an nicht spüren lassen. Denn statt eines für jedermann merklichen Zuschlags zur Einkommensteuer („Ukraine-Soli“) hat man ein 100-Milliarden-Sondervermögen als Sonderkredit außerhalb der Schuldenbremse geschaffen, der ab 2031 zurückgezahlt werden muß.
Der ukrainische Staatshaushalt 2024 wurde bereits mit 24,5 Milliarden Dollar westlicher Hilfen und damit bis Juli zu 52 Prozent über Zuweisungen finanziert. Schon im Februar hatte die EU in ihrem Haushaltsrahmen 2021 bis 2027 der Ukraine weitere 50 Milliarden Euro an langfristigen Finanzhilfen, davon 33 Milliarden Euro als Kredit zugesichert (JF 17/24). Doch die Zeit drängt jetzt, denn die Ukraine muß gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) die Finanzierung ihres Haushalts 2025 darlegen. Sonst droht der Stopp des IWF-Hilfsprogramms sowie der Rückzug weiterer Geldgeber. Entsprechend fordert die Ukraine die schnelle Freigabe eines weiteren 50-Milliarden-Dollar-Kredits, den die G7-Staaten im Juni angedacht hatten. Wie soll das konkret geschehen?
Was liegt in dieser Finanzklemme näher als eine Ukraine-Finanzierung zu Lasten Rußlands. 260 Milliarden Euro Vermögenswerte der russischen Notenbank sind im Ausland festgesetzt. Davon liegen 173 Milliarden Euro beim belgischen Finanzdienstleister Euroclear. Allerdings bestehen völkerrechtliche Bedenken, ob ein Zugriff hierauf rechtens wäre. Denn nach Artikel 2 Absatz 1 der UN-Charta und herrschender Meinung sind diese hoheitlichen Vermögen grundsätzlich immunitätsgeschützt und einer Enteignung entzogen. Auch könnte dies den Investitionsstandort und den Euro als internationale Reservewährung beschädigen. Juristisch weniger kritisch scheint hingegen die Aneignung der jährlichen Vermögenserträge von 2,5 bis drei Milliarden Euro. Diese will man „hebeln“ – sprich: damit einen 50-Milliarden-Dollar-Kredit finanzieren. Doch die Tücken liegen im Detail.
Der Kredit wäre längerfristig und hätte eine Laufzeit von wohl 20 Jahren. Doch nach einem möglichen Friedensabkommen wäre der Zugriff auf die Erträge des russischen Vermögens nicht mehr möglich. Auch gilt der EU-Beschluß für die Sicherung des eingefrorenen Vermögens nur für jeweils sechs Monate und muß regelmäßig verlängert werden. Sollte sich zukünftig Ungarn der erforderlichen Einstimmigkeit aller 27 EU-Mitglieder verweigern, würden die Sanktionen schlagartig enden und die Zinserträge wegfallen. Sie müßten durch Haushaltsmittel ersetzt werden. Sodann wäre die Aufteilung der Kreditsumme zu klären. Gemäß einer Variante würden die EU und die USA je 20 Milliarden Dollar übernehmen, während der Rest von Japan, Großbritannien, Kanada und anderen Staaten gestellt würde. Doch seitens der EU bestehen rechtliche Hürden. So darf die EU keine „operativen Ausgaben … mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ (Art. 41 Abs. 2 EU-Vertrag) aus ihrem Haushalt finanzieren.
Weitere Milliarden-Hilfen für ein Bollwerk westlicher Werte?
Zudem schließt der EU-Haushalt eine Schuldenfinanzierung grundsätzlich aus (Art. 310 AEUV). Von daher müßte man in Anlehnung an die Europäische Friedensfazilität (davon EFF-Ukrainehilfe 11,1 Milliarden Euro) ein haushaltsexternes Instrument außerhalb der EU schaffen, das sich durch Beiträge von den Mitgliedsstaaten außerhalb des ordentlichen EU-Haushalts finanziert. Daran hätte Deutschland einen Anteil von rund 25 Prozent. Unklar ist auch, wie mit Vermögenserträgen von drei Milliarden Euro der Kreditzins und die Tilgung vonstatten gehen sollen. Auch dürfte die Frage der Haftung für den Ukraine-Kredit zu Diskussionen führen, denn das Land hat nach der Umschuldung und dem Verzicht privater Gläubiger auf 60 Prozent ihrer Forderungen im August das Rating eines „selektiven Zahlungsausfalls“. Die Tilgung erscheint demnach als höchst unsicher.
Schließlich gerät die Rechtfertigung der Hilfen an die Ukraine als Bollwerk westlicher Werte nach dem Bericht des Wall Street Journal vom 14. August über die Verantwortung der Führung in Kiew und die wohl direkte Genehmigung der Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines durch den damaligen Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, ins Wanken. Bereits im Juni stellte die Bundesanwaltschaft einen Haftbefehl auf einen hauptverdächtigen Ukrainer aus. Wenngleich nach Ermittlungskreisen derzeit keine Belege vorliegen, so könnte sich der Verdacht des Staatsterrorismus bzw. der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung durch die Ukraine erhärten. Spätestens dann wären weitere deutsche Hilfen an die Ukraine nur noch schwer zu rechtfertigen – Zeit für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen?
Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. ifw-kiel.de/ukrainetracker