© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/24 / 20. September 2024

DIW-Herbstprognose: Deutsche Wirtschaft auf Stagnationskurs
Fast Food statt Gourmet
Reiner Osbild

Konjunkturprognosen verfolgen das Auf und Ab einer Volkswirtschaft und zeigen, wo im Zyklus wir uns gerade befinden. Wenn das Institut der deutschen Wirtschaft (IW-Kurzbericht 68/24) jüngst konstatiert, nur der Dienstleistungssektor – Bildung, Erziehung, Gesundheit – habe Deutschland vor einer schweren Rezession bewahrt, so ist das indes keine konjunkturelle Schwankung, sondern Ausdruck struktureller Änderungen: weg vom Markt, hin zum Staat. Nicht nur, daß das produzierende und das Baugewerbe (-2,8 bzw. -3,4 Prozent) stark einbricht; auch die Ausrüstungsinvestitionen in diesen beiden Bereichen liegen 2024 zehn Prozent unter denen von 2019. Doch die Investitionen von heute sind das Wachstum von morgen. Wo soll jedoch der Aufschwung herkommen, wenn wenig investiert wird? Immerhin schlägt die desaströse Lage noch nicht voll auf die Beschäftigung durch, da einige Firmen angesichts der demographischen Lage Arbeitskräfte „horten“, mithin versteckte Arbeitslosigkeit finanzieren.

Der Dienstleistungsbereich wuchs im ersten Halbjahr um 1,6 Prozent, was sich in einem um 2,2 Prozent steigenden öffentlichen Konsum widerspiegelt. Dieser ist das einzige Element im Bruttoinlandsprodukt (BIP), das kräftig wächst; die Exporte schrumpfen. Beschäftigung wird fast nur noch in staatsnahen Bereichen aufgebaut, einschließlich der Beamtenschaft, deren Planstellenzahl allein beim Bund seit 2017 um 27 Prozent auf rund 194.000 zunahm (JF 33/24). Das Ganze geht zu Lasten der Arbeitsproduktivität, die geringer ist als im verarbeitenden Gewerbe. Sie sinkt auch mit dem Schrumpfen der Exportindustrie, so daß Deutschland Produktivitätsgewinne aus der internationalen Arbeitsteilung einbüßt.

Der Arbeitsmarkt spiegelt die Krise wider. So ist trotz höherer Beschäftigung (+0,25 Prozent) die offene Arbeitslosenquote auf sechs Prozent (2,8 Millionen) gestiegen. Wie geht das zusammen? Nun, es ist eine Folge der Nettozuwanderung. Allein im ersten Halbjahr 2024 kamen 710.000 Menschen nach Deutschland, 18 Prozent davon aus der Ukraine und 15 Prozent aus den typischen Asylherkunftsländern. Die Ukrainer wandern in die Arbeitslosigkeit (45,4 Prozent) und Grundsicherung mit einer Quote von 63 Prozent. Bei den Zuwanderern aus Syrien, Afghanistan & Co. lauten die Quoten 29,9 und 45,1 Prozent, bei Bürgern aus den EU-Ländern sind es unter zehn Prozent.

Die Zuwanderung bläht die Zahl der Sozialfälle auf, und diese brauchen wieder mehr öffentlich Bedienstete zur Rundumversorgung. Ein perfektes Perpetuum mobile, das den dekarbonisierten Arbeitsmarkt transformiert: vom Fünf-Sterne-Restaurant zu McDonald’s. Im halb-öffentlichen Bereich gibt es kaum Wettbewerb, so daß man, wie Kita-Erzieher schon vorexerziert haben, durch Streiks höhere Gehälter erzwingen kann, trotz geringer Produktivität. Die Rechnung begleicht eine schrumpfende industrielle Basis – aber wie lange noch? Ob die vor diesem Hintergrund vom IW prognostizierte Entspannung beim öffentlichen Defizit über Einmaleffekte hinaus von Dauer ist, muß bezweifelt werden. Denn die Mindereinnahmen an Steuern und die Mehrausgaben für Sozialtransfers dürften dann voll zu Buche schlagen, wenn Unternehmen pleite gehen, schließen oder abwandern und ihre Belegschaften auf Kosten der Solidargemeinschaft freisetzen.


Prof. Dr. Reiner Osbild ist Ökonom und Ordinarius an der Hochschule Emden/Leer.