© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/24 / 20. September 2024

Verwundbar, da arglos
Hybride Bedrohung: Nach Meinung von Experten führt Rußland bereits Krieg gegen die Bundesrepublik
Peter Möller

Die dunklen Rauchwolken über Berlin waren kilometerweit zu sehen. Im Frühjahr richtete ein Großbrand im Berliner Werk des Nürnberger Technologie- und Rüstungskonzerns Diehl im Stadtteil Lichterfelde schweren Schaden an und hielt die Feuerwehr über Tage in Atem. Einer breiteren Öffentlichkeit ist die Sparte Diehl Defence mit Hauptsitz in Überlingen am Bodensee durch die Lieferung des Flugabwehrsystems Iris T an die Ukraine bekannt geworden. 

Der schnell aufkeimende Verdacht, bei dem Feuer könnte es sich also um einen Anschlag russischer Saboteure gehandelt haben, wurde von den Behörden schnell mit dem Hinweis vom Tisch gewischt, der Brand sei in einer Galvanikanlage ausgebrochen, die nicht mit der Rüstungssparte in Zusammenhang stehe. Doch das Feuer bei Diehl ist kein Einzelfall, wie ähnliche Vorkommnisse in Großbritannien und den Vereinigten Staaten nahelegten. Auch wenn die Ermittlungen andauern, zumindest der Verdacht steht im Raum, daß russische Geheimdienste in diesen Fällen ihre Finger im Spiel gehabt haben könnten. 

Ohne Frage hat Rußland ein strategisches Interesse daran, zu verhindern, daß die Ukraine mit Munition und anderen Rüstungsgütern aus dem Westen versorgt wird. „Rußland ist in den letzten Jahren immer wieder auf Nato-Gebiet aktiv geworden“, sagte der österreichische Militärexperte Markus Reisner dem Sender n-tv.  „Bereits vor und nach 2014 hat man gezielt versucht, Munitionsdepots in Bulgarien und Tschechien in die Luft zu sprengen, was teilweise gelungen ist.“ Ende Juni tauchten dann Berichte auf, nach denen ein ausländischer Geheimdienst die deutschen Behörden über abgefangene elektronische Nachrichten informiert hat, die auf eine russische Beteiligung an dem Feuer in dem Berliner Diehl-Werk hindeuten. 

Der spektakuläre Brand ist nur ein Beispiel von mehreren Vorfällen in den vergangenen Monaten, die nicht nur in Sicherheitskreisen die Diskussion befeuern, ob Deutschland schon mittendrin in einem asymmetrischen Krieg mit Rußland steckt und zum Schlachtfeld für dessen hybride Kriegsführung geworden ist. In diese Richtung deutet auch der Bericht des amerikanischen Nachrichtensenders CNN, in dem von Anschlagsplänen auf den Vorstandsvorsitzenden des Rüstungskonzerns Rheinmetall, Armin Papperger die Rede war. Demnach habe Rußland mit Hilfe von angeheuerten Agenten aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion ein Attentat auf den Rüstungsmanager geplant, was aber von deutschen und amerikanischen Geheimdiensten durchkreuzt worden sei.

Aufträge ganz klassisch  per Kurzwellenfunk erteilt

„Hybride Kriegführung ist nichts Neues, wir tun uns im Westen nur schwer, un­orthodoxe Kriegsformen zu verstehen“, sagte der Bundeswehr-Experte, Oberst Johann Schmid, der FAZ. Dort finde eine horizontale Entgrenzung des Gefechtsfeldes statt. „Sie werden nicht nur militärisch geführt, sondern finden etwa auch als Propagandakrieg statt, als Wirtschaftskrieg, als Kulturkampf.“

Ein weiteres und relativ neues Feld der hybriden Kriegsführung ist dabei der Cyberraum. Im Mai hatte eine Reihe von Cyberangriffen auf die Parteizentrale der SPD sowie gegen deutsche Logistik- und Rüstungsunternehmen und Firmen der Luft- und Raumfahrtbranche sowie gegen IT-Dienstleister und Stiftungen und Verbände für Aufsehen gesorgt. Laut Sicherheitskreisen gingen diese Cyberattacken auf das Konto der Gruppierung APT 28, die dem russischen Militärgeheimdienst GRU zugeordnet wird. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums zählen zu dem Tätigkeitsprofil der Gruppe neben Spionageangriffen auch Desinformations- und Propagandakampagnen im Cyberraum. APT 28 zähle zu den aktivsten und gefährlichsten Cyberakteuren weltweit und sei auch für den Cyberangriff auf den Deutschen Bundestag im Jahr 2015 verantwortlich gewesen, bei dem aus dem Parlamentsnetzwerk große Mengen an Daten abgeflossen waren. Schon seit Jahren warnen Experten vor der Gefahr von Cyberangriffen auf die kritische Infrastruktur in Deutschland, etwa auf die Strom- und Wasserversorgung oder das Gesundheitssystem.

In diesem Zusammenhang ließ ein Bericht der Neuen Zürcher Zeitung aufhorchen. Demnach hätten Beobachter wiederholt von verdächtigen russischen Schiffen in der Nähe deutscher Windparks in der Ostsee, die für die künftige Energieversorgung Deutschlands wichtig seien, berichtet. Zudem habe man „eine zunehmende Zahl von Drohnen über Häfen, Wasserstraßen wie dem Nord-Ostsee-Kanal und küstennahen Industrieanlagen“ registriert. Aufgrund der Häufung glaube man nicht an Zufälle. Fachkreise würden solche Art einer halb offenen, halb verdeckten Kriegsführung als „New Generation Warfare“ bezeichnen.

Doch auch die „klassische“ Spionage Rußlands in Deutschland bereitet den Sicherheitsbehörden zunehmend Sorge. „Während des Kalten Krieges hat gerade die Sowjetunion ein umfangreiches Netzwerk an Zuträgern, Spionen und gezielt arbeitenden Geheimdienstlern aufgebaut. Durch den Zerfall der Sowjetunion wurde dieses Netz aber nicht zerstört, sondern viele wurden von Rußland aus weitergeführt und der Kreml versuchte, die Strukturen weiter auszubauen“, sagte Militärexperte Reisner. Neben der Informationsbeschaffung aus den Botschaften und Konsulaten heraus werden nach Angaben des Verfassungsschutzes in Deutschland Spione eingesetzt, die direkt von den Geheimdiensten gesteuert werden, um hierzulande Operationen durchzuführen. 

Hierzu zählt auch der Einsatz sogenannter Illegaler Personen, die mit einer falschen Identität als hauptamtliche Mitarbeiter eines russischen Nachrichtendienstes eingeschleust werden. „Sie erhalten von der Zentrale ihres Dienstes Aufträge und übermitteln die Ergebnisse ihrer nachrichtendienstlichen Tätigkeiten unter Nutzung von konspirativen Methoden“, erläutert der Verfassungsschutz. Nach Informationen von WDR und NDR setzt Rußland dabei auf ein klassisches Werkzeug: den Agentenfunk per Kurzwelle. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine soll sich die Aktivität der Moskau zugeschriebenen Sender erhöht haben. Ein Indiz, daß möglicherweise bereits eingeschleuste Spione neue Aufträge erhalten; oder daß sich die Zahl der Illegalen in den vergangenen Jahren sogar noch einmal erhöht haben könnte.

Auch die Bundeswehr geht von einem „fortgesetzt aggressiven Vorgehen der russischen Dienste“ aus, wie es im vergangene Woche vorgelegten Bericht des Militärischen Abschirmdienstes heißt. Dessen Spionageabwehr habe im Jahr 2023 beobachten können, „daß das vornehmlich strategische Interesse der russischen Dienste an Militärpolitik und -strategie sich zunehmend auf die taktische Ebene verlagert hat“. Ziel Moskaus sei es, „an Informationen zu gelangen, die den eigenen Streitkräften einen Vorteil auf dem Gefechtsfeld verschaffen“. Doch blieben auch „die Aufklärung und mögliche Sabotage von kritischer Infrastruktur und verteidigungswichtiger Anlagen in Deutschland eine weiterhin ernstzunehmende Bedrohung“, schreibt die Behörde.

Zuletzt sorgten Berichte – und Gerüchte – über ein mögliches Eindringen unberechtigter Personen in Kasernen oder Einrichtungen der Bundeswehr für Aufsehen und Besorgnis. Ein Sabotageverdacht wurde bislang jedoch nicht erhärtet. Immer wieder gibt es unter Experten Kritik, die Standorte der Truppe seien nicht ausreichend gesichert, eine Schwachstelle seien beispielsweise die dort eingesetzten privaten Wachschutz-Dienstleister.

Für den Offizier und Fachmann Schmid ist ein Bewußtseinswandel in Deutschland notwendig, um die Herausforderungen erfolgreich bewältigen zu können: „Hybridakteure wie Rußland nutzen gezielt alle Schwächen, die wir bieten“, sagte er der FAZ. „Denn das Erschreckende an hybrider Kriegführung ist meist weniger die Vir­tuo­sität des Angreifers als die Leichtfertigkeit des Angegriffenen. Er ist verwundbar, schlecht vorbereitet, hat nicht einmal ein Bewußtsein für die Herausforderung.“