Herr Dr. Berndt, bei einer gemeinsamen Wahlkampfdebatte des „Tagesspiegels“ und der „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ (PNN) kam es jüngst zum Eklat: Sie haben das Podium verlassen. Warum?
Hans-Christoph Berndt: SPD-Ministerpräsident Woidke behauptete dort lächerlicherweise, „Solingen“ wäre in Brandenburg unmöglich, und weder einer der anderen geladenen Spitzenkandidaten noch die Moderatoren fragten nach. Als ich endlich an die Reihe kam und das tun wollte, wurde es verhindert, indem man mir eine andere Frage stellte. Zudem kommentierte Dietmar Woidke jede Äußerung der anderen Kandidaten ungefragt, womit er so viel Redezeit hatte, wie wir übrigen zusammen, ohne daß die Moderation einschritt. Nach dreißig Minuten hieß es, das Thema Migration sei nun beendet – und ich hatte immer noch keine Gelegenheit bekommen, Woidke zu widerlegen! Ähnlich beim Thema „Radikalenerlaß“, so daß ich schließlich fragte, ob wir anderen denn nur Staffage seien? Woraufhin die PNN-Moderatorin meinte, ich könne ja gehen – was ich dann auch tat.
Ist der Wahlkampf sonst fair?
Berndt: Sieht man vom üblichen Versuch, uns als Verfassungsfeinde darzustellen ab, im Prinzip ja. Natürlich werden Plakate beschädigt, doch weit weniger als früher. Vielerorts können wir inzwischen wie die anderen Parteien in normaler Höhe plakatieren, nicht mehr nur oben an Laternenmasten.
Weshalb?
Berndt: Weil sich die Stimmung seit der Landtagswahl 2019 massiv gewandelt hat! Viele Bürger sind sauer und man merkt, daß die Altparteien ihnen nichts mehr anzubieten haben. SPD und CDU versuchen in ihrer Not sogar, uns zu kopieren und übernehmen Vorschläge, für die wir vom Landesverfassungsschutz verfolgt werden! Grüne und Linke sind gar völlig verzweifelt und klammern sich an ihr „Alle zusammen gegen den Faschismus!“ als letzten Strohhalm.
Laut Umfragen könnte es am Sonntag zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen AfD und SPD kommen.
Berndt: Wir liegen – mit 27 bis 29 Prozent, je nach Umfrage – leicht vorn, dürfen aber nicht den Fehler machen, die SPD zu unterschätzen! Die versucht, ihre Inhaltslosigkeit durch eine Materialschlacht ungeahnten Ausmaßes wettzumachen, die fast schon nordkoreanisch anmutet: Woidke, Woidke, Woidke, überall und immer größer! Eines zeigt den 1,96-Meter-Mann doch tatsächlich mit dem Spruch „Brandenburg braucht Größe“. Daß die letzte Hoffnung der SPD seine Körpergröße ist, sagt eigentlich alles.
Ihr Wahlziel liegt also bei 27 bis 29 Prozent?
Berndt: Nein, wir wollen stärkste Kraft werden. Auf eine Prozentzahl legen wir uns aber nicht fest. Doch warne ich davor, den Sieg schon für sicher zu halten, auch wenn uns Thüringen und Sachsen enorm Rückenwind verschaffen. Sie zeigen, wie erfolgreich die AfD inzwischen ist, daß die Nazikeule immer weniger zieht und welchen Erfolg wir bei der Jugend haben. In Sachsen wählten 29 Prozent der 18- bis 29jährigen AfD, in Thüringen 35 Prozent. Sie glauben nicht, wie viele junge Leute unsere Wahlkampfveranstaltungen besuchen. Und bei der U18-Wahl stimmten mit 29,7 Prozent mehr Jugendliche für uns als für die nächsten beiden Parteien, SPD und CDU, zusammen.
Aber was tun mit all dem Erfolg? Sie stehen ohne Koalitionspartner, also ohne Regierungsoption da.
Berndt: Wir werden ab Montag allen Parteien Gespräche anbieten, denn trotz unserer Kritik an ihnen wollen wir, daß sich die Dinge ändern, und dazu müssen wir regieren. Klar, sie werden sich hinter ihren Brandmauern verschanzen. Dann bleiben ihnen aber nur Anti-AfD-Bündnisse, die „unnatürlich“ sind, etwa mit dem BSW. Dessen Wähler wollen ebenfalls Veränderungen, werden dann aber erleben, daß ihre Stimme nur die Macht der Etablierten sichert. Deshalb wird der Erfolg des BSW schon zur Bundestagswahl wieder schwinden – was dazu beitragen wird, daß die Anti-AfD-Bündnisse nicht durchhalten werden.
Wenn die Grünen, die laut Umfrage bei fünf Prozent liegen, den Einzug schaffen, wäre vermutlich Schwarz-Rot-Grün möglich und das BSW gar nicht nötig.
Berndt: Ja, aber die Etablierten werden die Probleme nicht lösen, und die sind riesig – und deshalb wird auch das nicht fünf Jahre lang gutgehen.
Warum? Die Berliner Ampel steht doch auch unter enormem Druck und hält dennoch.
Berndt: Sie hält allein deshalb, weil alle Beteiligten bei Neuwahlen nichts zu gewinnen hätten. Aber der Druck auf die Ampel wächst durch die immer unhaltbarer werdenden Zustände. Jeder AfD-Sieg erhöht die Fliehkräfte in der Ampel. Die Brandenburg-Wahl, in Verbindung mit Thüringen und Sachsen, könnte der Schlag sein, den die Ampel nicht überlebt.
Warum nicht?
Berndt: Zum Beispiel, weil sie Panik bekommt.
Pardon, aber Brandenburg ist mit nur 2,6 Millionen Einwohnern ein eher unwichtiges Bundesland.
Berndt: Trotzdem wäre ein Sieg hier ein Fanal, weil Thüringen und Sachsen nach 1990 eigentlich CDU-Hochburgen waren, Brandenburg dagegen von der SPD als Erbhof betrachtet wird! Vielleicht bringt das die Partei dazu, darüber nachzudenken, ob sie die Regierung mit den Grünen wirklich fortsetzen will.
Schaffen die Grünen den Einzug in den Landtag?
Berndt: Auf jeden Fall wird ihr Verlust, 2019 holten sie 10,8 Prozent, massiv sein. Ohne Direktmandat, das den Grünen den Einzug auch bei unter fünf Prozent sichert, dürfte es schwer werden, da Woidke bis zum Gehtnichtmehr polarisiert: Er stellt sich als den einzigen dar, der die AfD noch aufhalten kann, was den Grünen entscheidende Zehntelprozente entziehen könnte.
Sollte das BSW zum Regieren nötig sein, kommt es dann – und die Frage stellt sich auch für Thüringen und Sachsen – zum Zusammengehen? Und falls ja: als Koalitions- oder geduldete Minderheitsregierung?
Berndt: Ich weiß nicht, was sie zusammenzimmern werden, aber zu irgendeiner windschiefen Konstruktion wird man sich flüchten.
Die Etablierten ja – aber wird das BSW mitmachen?
Berndt: Auf jeden Fall!
Was macht Sie so sicher? Sie sagen doch selbst, es würde dem BSW schaden.
Berndt: Diese Partei ist doch gar keine Partei, sondern ein Club – mit in Brandenburg nur vierzig Mitgliedern –, dessen Zweck es ist, eine Mehrheit gegen die AfD zu sichern. Dazu wurde es geschaffen.
Bitte? Wurde das BSW nicht gegründet, weil Sahra Wagenknecht und andere Parteifunktionäre unzufrieden mit dem Kurs und Abstieg der Linken waren?
Berndt: Ja, aber nach Thüringen und Sachsen scheint die Änderung der Verhältnisse für das BSW kaum noch eine Rolle zu spielen – Hauptsache gegen die AfD! Auch wenn sein Zweck zu Beginn nicht unsere Verhinderung gewesen sein mag, inzwischen hat es sich selbst genau darauf festgelegt.
Dann hat Sie nicht überrascht, daß, nachdem Wagenknecht vor der Thüringen- und Sachsenwahl gegenüber der AfD zurückhaltend war, der Ton nun so rauh geworden ist? Bis hin zur (später zurückgenommenen) Überlegung eines AfD-Verbots durch Brandenburgs BSW-Landeschef Robert Crumbach?
Berndt: Doch, und zwar, weil ich gedacht hätte, daß sie so schlau sind, nicht vor der Brandenburg-Wahl die Katze aus dem Sack zu lassen, mit wem sie koalieren.
Um sich vom Ruch des willigen Mehrheitsbeschaffers zu befreien, könnte das BSW die Koalitionen vorzeitig sprengen, um so drei, vier Jahre zu regieren und danach doch als Alternative zu erscheinen: Zu Lasten der AfD, der sie dann erneut Wähler wegnimmt. Plausibel?
Berndt: Klar, ich sagte doch, daß die Anti-AfD-Bündnisse nicht halten! Nur irren Sie, zu glauben, das ginge zu unseren Lasten. Die Leidtragenden sind zuallererst die Bürger, auf deren Kosten der Machterhalt geht. Und selbst wenn es dem BSW mit so einem abgekarteten Spiel gelingen sollte, seine Wähler zu täuschen, betrifft uns das kaum, da wir laut Wählerwanderung nur wenig an dieses verloren haben.
Ja, aber ist das nicht zu kurz gedacht? Es geht doch auch um Stimmen, die von etablierten Parteien und Nichtwählern ohne das BSW der AfD zugeflossen wären.
Berndt: Aber ob gerade diese Wähler sich von einem solchen Manöver des BSW täuschen lassen würden, ist zu bezweifeln. Nein, das BSW verlangsamt unseren Aufstieg, kann ihn aber nicht verhindern.
Laut Umfrage könnte Ihre AfD 37 der 44 Direktmandate und damit – auch bei nur 27 bis 29 Prozent der Zweitstimmen – eine Regierungsmehrheit gewinnen. Darauf hatte Sachsens AfD-Chef Jörg Urban gesetzt, allerdings vergeblich. Wird Ihnen das nun gelingen?
Berndt: Davon gehen wir nicht aus. Seien wir realistisch: Da sich alle gegen uns verbünden, ist es ein harter Kampf. Er lohnt sich aber, und nun geht es darum, stärkste Kraft zu werden, um künftige Anti-AfD-Bündnisse unter Druck zu setzen. Sowie möglichst auch eine Sperrminorität zu erreichen, damit die Landesverfassung nicht zum Nachteil der AfD geändert werden kann und bei der nächsten Wahl des Landesverfassungsgerichts die Altparteien nicht ungehindert ihre Kandidaten durchsetzen.
Falls die AfD stärkste Kraft wird, will Ministerpräsident Woidke sich aus der Politik zurückziehen. Warum macht ausgerechnet er Ihnen ein solches Wahlgeschenk?
Berndt: Weil er das so nicht sieht, sondern darauf setzt, daß er mit dieser Drohung Wähler mobilisiert. Doch klappt das nicht, verschafft er uns einen ungeahnten Triumph, weil es dann unser Sieg ist, der seine Ära beendet. Offenbar hält er das aber für unwahrscheinlich. Was von der typischen Selbstüberschätzung derer zeugt, die so lange an der Macht sind, daß sie sich allürenhaft für unverzichtbar halten.
Wer würde sein Nachfolger?
Berndt: Wohl entweder Kulturministerin Manja Schüle, die den linken bis linksextremen SPD-Flügel repräsentiert oder Finanzministerin Katrin Lange, die in vielem im Grunde AfD-Positionen vertritt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß sie diese in einer Koalition würde durchsetzen können.
Was würde die AfD ändern, käme sie an die Macht?
Berndt: Ich greife zwei der wichtigsten Themen unseres Wahlprogramms heraus: Bildung, weil Brandenburg zu den Schlußlichtern in Deutschland gehört. So erreicht etwa fast die Hälfte unserer Drittkläßler in Rechnen und Lesen nicht mal Mindeststandard – schlechter, als unter dem Soldatenkönig vor dreihundert Jahren! Unsere Reformvorschläge, die ich mit Wiedereinführung des Leistungsprinzips zusammenfassen würde, finden Sie in unserem Wahlprogramm. Das zweite Thema ist Remigration.
Also die „Deportation“ von „Millionen Deutschen mit Migrationshintergrund“?
Berndt: Das ist die von den Medien verbreitete „Correctiv“-Lüge. Tatsächlich geht es darum, Ausreisepflichtige, Straftäter und jene ohne Asylgrund konsequent heimzuschicken. Zudem, quasi als „Remigration II“, die Verhältnisse so zu bessern, daß unsere eigenen Fachkräfte nicht mehr abwandern, sondern aus dem Ausland remigrieren. Mit Deportation, Ausweisung Deutscher ausländischer Herkunft oder hier lange, gut integrierter Ausländer hat das nichts zu tun. Das wird nur behauptet, um den Leuten Angst zu machen. Tatsächlich aber sind es nach meiner Erfahrung sogar gerade gut integrierte Ausländer, die besonders für Remigration sind, wenn man ihnen erklärt, was sie wirklich bedeutet.
Ihr Landesverband gilt dem brandenburgischen Verfassungsschutz als rechtsextremer „Verdachtsfall“, Sie selbst als „gesichert rechtsextrem“. Tatsächlich findet sich im Landesverfassungsschutzbericht aber kein einziger belastbarer Beleg dafür, sondern nur „Meinungsverbrechen“ und Kontaktschuldvorwürfe. In einem aber hat der Bericht recht, Sie und Ihr Lager unterscheiden sich nicht in den Forderungen vom Lager Ihres Vorgängers, wohl aber im Stil. Wieso?
Berndt: Ich kann verstehen, wenn man wegen der schlimmen politischen Lage oder der Gemeinheit, mit der uns die Medien oft behandeln, aggressive Gefühle hegt oder es einen verlangt, zu schreien, das ist menschlich. Doch um was es beim Unternehmen AfD geht, ist das Wohl des Landes: Und das verlangt, daß wir Erfolg haben – und deshalb muß man sich eben bezähmen und professionell sein! Das heißt, hart in der Sache, aber ruhig und freundlich in der Kommunikation, den demokratischen Dialog suchen, auch mit dem politischen Gegner. Ich glaube, da hat die AfD insgesamt noch große Defizite, was schlimm ist, weil es letztlich uns und unserem Ziel schadet.
In einer aktuellen TV-Reportage ist zu sehen, wie Sie sogar einen RBB-Journalisten gegenüber einem offenbaren AfD-Anhänger verbal verteidigen.
Berndt: Ich bin eben im Grunde ein „Gutmensch“. Das mag an meiner christlichen Prägung in der katholischen Jugendgemeinde liegen. Natürlich führte das in der DDR zur Kollision mit der Staatsdoktrin, ich galt als politisch auffällig. Obwohl ich als junger Mensch dem Sozialismus sehr zugeneigt war, den ich als Gerechtigkeit für jedermann verstand, und ich überlegte gar, der SED beizutreten, um sie von innen zu verändern.
Obwohl Sie in der DDR aus politischen Gründen nicht Medizin, sondern nur Zahnmedizin studieren durften, haben Sie nach 1989 PDS gewählt. Warum?
Berndt: Aus Protest gegen das Überstülpen des Westdeutschen über alles Ostdeutsche. Und ein Überstülpen hat mich 2015, als über den Kopf der Bürger hinweg bei uns ein Asylheim entstand, auch dazu bewegt, dagegen den Verein „Zukunft Heimat“ zu gründen. Der dann für Forderungen im Verfassungsschutzbericht landete, die Herr Woidke heute selbst erhebt. 2018 ging ich zur AfD, weil mir klar wurde, wie egal wir Bürger den Mächtigen sind und was einem passieren kann: So verlor ich wegen der Verleumdungen der Medien gegen „Zukunft Heimat“ meinen Job an der Charité. Aber ist es denn wirklich zuviel verlangt, daß dieses kleine Fleckchen Erde, das Deutschland ist, auch Deutschland bleibt, wo wir mit unserer Kultur und Tradition in Freiheit, Frieden, Sicherheit und Solidarität leben möchten? Leider glauben viele in Politik und Medien heute, Deutschland sei nur ein Konstrukt, das einem Weltstaat weichen soll, ignorierend, daß das unsere Heimat und unsere Demokratie zerstören wird. Doch immer mehr Bürger begreifen inzwischen, der Weg diese zu verteidigen, ist die AfD zu wählen.
Dr. Hans-Christoph Berndt ist Fraktionvorsitzender sowie stellvertretender Landeschef der AfD in Brandenburg. Geboren wurde der ausgebildete Mechaniker, Zahn- und Laborarzt 1956 in Bernau bei Berlin. Von 2015 bis 2021 war er Sprecher der Bürgerinitiative „Zukunft Heimat“. Seit 2019 vertritt er seine Partei im Landtag, 2020 übernahm er die Leitung der Fraktion.
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