Auf das Kommando „Abteilung – kehrt!“ folgt bei der Bundeswehr eine 180-Grad-Wendung. Und zwar immer nach links. Was jedem Rekruten in der Formaldienst-Ausbildung eingebleut wird, gilt im übertragenen Sinne auch an der Spitze der Truppe. Denn in Sachen Traditionspflege hat das Verteidigungsministerium nach nur vier Wochen eine 180-Grad-Wende vollzogen – und damit rückgängig gemacht, was zuvor von links scharf kritisiert worden war.
Mitte Juli hatte der Bendlerblock ein elfseitiges Papier unter dem Titel „Ergänzende Hinweise zum Traditionserlaß“ herausgegeben (JF 33/24). Darin hieß es, daß das soldatische Selbstverständnis nach wie vor an die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und nicht nur an militärische Professionalität gebunden sei. Seit der „Zeitenwende“ nach dem Angriff Rußlands auf die Ukraine steige jedoch auch die Bedeutung der „Kriegstüchtigkeit“ wieder – so wie bereits zu Zeiten des Kalten Krieges, so das Papier, das unter der Federführung des Abteilungsleiters Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte, Generalleutnant Kai Rohrschneider, entstanden war. Daher müsse ein größeres Augenmerk auf militärische Exzellenz und klassische soldatische Tugenden gelegt werden: „In der Traditionspflege der Bundeswehr mit Bezug zur Zeitenwende kommt der Gründergeneration der Bundeswehr eine bedeutende Rolle für traditionsstiftende militärische Exzellenz zu.“
Weil die Hinweise auch einige beispielhafte Militärs mit Wehrmachtsbezug nannten, witterten Kritiker die Gefahr, dadurch könnten „Nazis“ zu Vorbildern werden und dies könne „dem Kampf gegen Rechtsextremismus innerhalb der Bundeswehr schaden“. Ein Ministeriumssprecher hatte solche Unterstellungen zunächst zurückgewiesen und betont, daß der Traditionserlaß von 2018 unverändert gilt. Ziel der Ergänzungen sei es, in der „aktuellen Diskussionen um Kriegstüchtigkeit, Wehrfähigkeit oder Einsatztauglichkeit“ den Soldaten in der Bundeswehr Hinweise zu geben, „wie man das auch in den Traditionserlaß einsortieren kann“. Da helfe „auch der Blick ins Geschichtsbuch“, so der Sprecher.
So hatten die Hinweise aus der für die Innere Führung zuständigen Abteilung unter anderem hervorgehoben: „Der Traditionserlaß läßt ausdrücklich die Übernahme von vorbildlichen soldatischen Handlungen aus anderen Epochen – einschließlich des Zweiten Weltkriegs – zu. Darunter fallen nicht nur diejenigen Angehörigen der Wehrmacht, die dem militärischen Widerstand zuzuordnen sind.“ Außerdem erhebe Tradition „nicht den Anspruch des makellosen Ideals“ und akzeptiere „menschliche Fehlbarkeit“.
„Bedauern, daß Zweifel ander Wertebindung aufkamen“
Doch nur zwei Tage nachdem der Pressesprecher des Verteidigungsministeriums diese „Ergänzenden Hinweise“ in der Regierungspressekonferenz wortreich erläutert und verteidigt hatte, setzte sie der Generalinspekteur „mit sofortiger Wirkung außer Kraft“. Begründung: Sie hätten „Zweifel an der Wertebindung des Traditionsverständnisses der Bundeswehr aufkommen lassen.“ Solche Zweifel wolle man ausräumen. „Die Gesamtdebatte hat dazu geführt, daß wir uns die Formulierung noch einmal angeschaut haben und sie vom Markt nehmen“, ergänzte der Ministeriumssprecher, dem die undankbare Aufgabe zufiel, öffentlich nach nur 48 Stunden eine Kehrtwende – um 180 Grad über links – zu vollziehen: Was „für mehr Verhaltenssicherheit“ sorgen sollte, habe „Bezüge hergestellt, die sich in der Rückschau nicht als förderlich herausgestellt“ hätten. Etwaige Zweifel an der „Werteorientierung und auch dem Einsatz für Demokratie und Rechtsstaat“ bedauere man sehr.
Vor allem aus den Reihen der Grünen soll es koalitionsintern Kritik an den ergänzenden Hinweisen gegeben haben. Kaum verwunderlich, nachdem in vorderster Linie die linksalternative taz gegen die neue Ausrichtung in Sachen Traditionspflege geschossen hatte. Bezeichnend: Als die Parlamentarische Staatssekretärin Siemtje Möller (SPD) den Verteidigungsausschuß über die sofortige Außerkraftsetzung der „Ergänzenden Hinweise“ in Kenntnis setzte, sprach sie vom „Rohrschneider-Papier“, so als handele es sich lediglich um die Idee eines einzelnen Generals. Tatsächlich wird das Papier des zuständigen Abteilungsleiters wie üblich von der Hausspitze abgesegnet worden sein.