© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/24 / 05. Juli 2024

Dreißigjähriger Krieg um den sowjetischen Holodomor
Wahrhafte ukrainische Identität

In der Ukraine tobt seit Mitte der 1990er Jahre ein 30jähriger Krieg um die Erinnerung an den „Holodomor“, die von Josef Stalin ausgelöste Hungerkatastrophe nach 1932, der Millionen zum Opfer fielen, vorwiegend in der Ukraine. Wie die Historikerin Nadija Hončarenko bilanziert, kam es aber erst während der Präsidentschaft Wiktor Juschtschenkos (2005–2010) zu ernsthaften Ansätzen einer Aufarbeitung dieses Völkermords. Sein Nachfolger Wiktor Janukowitsch, der nationale Erinnerung nicht auf ein „ewiges Schluchzen“ reduzieren wollte, steuerte hingegen den gedenkpolitischen Fokus wieder auf die Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht. Als Folge der Krim-Annexion gab es ab 2014 unter Petro Poroschenko einen erneuten Kurswechsel hin zur radikalen „Dekommunisierungspolitik“, in deren Verlauf 2.500 sowjetische Denkmäler entfernt und 50.000 Straßen umbenannt wurden und der Holodomor einen Teil „wahrhafter ukrainischer Identität“ bilden sollte (Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 3–4/2024). Daran zeigte sein Nachfolger Wolodymyr Selenskyj, der den Aktivitäten des Kiewer Instituts für Nationales Gedenken skeptisch gegenüberstand, zunächst kaum Interesse. Erst nach 2022 entdeckte er den propagandistischen Wert des Holodomor als Parallele zur „völkermörderischen Politik Rußlands“. (ob)  www.friedrich-verlag.de