© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/24 / 05. Juli 2024

Frankreichs unerbittlicher Rächer
Serie Bewegende Köpfe, Teil 13: Ferdinand Foch, der französische Oberbefehlshaber im Ersten Weltkrieg und sein Ruf als „Blutsäufer“
Rainer F. Schmidt

Er war der einzige Heerführer, der am Großen Krieg vom Anfang bis zum Ende teilnahm. Er machte die steilste Karriere von allen: vom Professor zum Direktor, vom Korps- und Armeeführer zum Chef des Generalstabes, vom Marschall seines Landes bis zum Oberbefehlshaber der Armeen der Ententemächte. Dabei war Ferdinand Foch im August 1914, als er als Korps-Befehlshaber seine Truppen gegen die Deutschen in Lothringen führte, bereits 62 Jahre alt. Aber er war derjenige, der dem blutigen Ringen bis 1918 sein Drehbuch schrieb. Das galt für den Beginn der Kampfhandlungen, die nach seinen Regieanweisungen abliefen; und das galt für das Ende der Kämpfe, das nach seinen überaus harten Vorstellungen erfolgte. Er organisierte es in Form eines diktatorischen Abrechnungsrituals und inszenierte es als Demütigung des Gegners.

Die Geschwindigkeit des Eisenbahnzuges, der die Delegation des Feindes ins Land der Sieger brachte, ließ er inmitten der Trichterlandschaften und verwüsteten Städte und Dörfer immer wieder bis auf Schrittempo drosseln, damit jeder die angerichteten Zerstörungen genau studieren konnte. Und als er endlich geruhte, die Deutschen zu empfangen, stellte er die provokante Frage: „Was führt die Herren hierher?“, um auf die Antwort, man wolle über die Bedingungen des Waffenstillstandes verhandeln, mit Eiseskälte zu replizieren: „Ich habe keine Vorschläge zu machen.“

Der Vergeltungswille, der hier zum Ausdruck kam, stand im Gegensatz zu seinem deutschen Vornamen. Er war auch nicht die Folge des vierjährigen verbissenen Ringens, das er hinter sich gebracht hatte. Der Sohn einer konservativ-katholischen Beamtenfamilie aus dem Bezirk der Hautes-Pyrénées, unweit der spanischen Grenze, hatte als Jesuitenschüler im lothringischen Metz die mehrwöchige Aushungerung und Belagerung der Stadt durch die Deutschen hautnah miterlebt. Eine ganze Armee war damals, am 27. Oktober 1870, in Gefangenschaft gegangen. Nach seiner Vertreibung hatte er sich geschworen, diese Schmach dereinst auszulöschen. Mehr als 48 Jahre später, im November 1918, im Salonwagen von Compiègne, war die Stunde der Rache endlich gekommen. Einer der prächtigsten Boulevards in Paris, der vom Triumphbogen Richtung Westen führt, ehrt Mann und Stunde bis heute mit dem Namen Avenue Foch.

Sein Vergeltungswille war auch ausschlaggebend dafür, daß er sich nie als ein Mann der Truppe und des Gefechts verstand, sondern als Hohepriester der Militärdoktrin und als Stratege der Politik. Als ihn der britische General Sir Henry Wilson vier Jahre vor dem Krieg fragte: „Wenn wir Ihnen helfen, wie viele Soldaten müßten wir Ihnen schicken“, da antwortete er nicht wie ein Militär, sondern wie ein Politiker: „Einer genügt. Wir müssen nur dafür sorgen, daß er fällt.“ 

Und als Frontkommandeur im Krieg schickte er seine Soldaten erbarmungslos und ohne mit der Wimper zu zucken in den Tod: an der Marne, bei den blutigen Mißerfolgen im Artois 1915 und im Jahr darauf an der Somme. Nie entwickelte er ein Gefühl für die Strapazen seiner ihm anvertrauten Leute. Nie verstand er, wie erschöpft, abgerissen, hungrig und ausgemergelt seine Männer waren. Er nahm ihre Qualen einfach nicht zur Kenntnis, ging spazieren, plauderte über Literatur und Philosophie, hielt seinen Schreibtisch frei von Papieren und seinen Kopf klar und fern vom Schrecken des Krieges. 

Nie hat man ihn im Lazarett oder im Schützengraben gesehen

Das einzige, was für ihn zählte, war die verbissene Kraft des Durchhaltens, nicht die Klugheit der Strategie. Immer wieder donnerte er seine Unterführer zusammen, wenn sie Bedenken vorbrachten: „Ich will nichts hören. Ich bin taub. Ich kenne nur drei Arten zu kämpfen: Angreifen, Verteidigen, Abhauen. Die letzte Art verbiete ich Ihnen. Wählen sie unter eins und zwei. Lassen Sie sich zusammenschlagen. Aber bleiben Sie, wo Sie sind, zäh wie die Läuse. Kein Zurück. Alle Mann nach vorn.“ 

Im späten Frühjahr 1918, als seit Juni wieder mehr als eine halbe Million Mann im Glutofen des Krieges verbrannt waren, war das Maß voll. Die Abgeordnetenkammer beantragte ein Tribunal für den Blutsäufer, wie man ihn nannte. Er sollte Ort für Ort sein Tun rechtfertigen und sich für die Hekatomben an Toten verantworten. Nie hat man ihn in einer Truppenunterkunft, einem Lazarett, geschweige denn im Schützengraben gesehen, so die Vorwürfe. Der Krieg ist für ihn nur eine abstrakte Kunst, ein Leben im Schloß, fernab vom Sterben. Es war nur der Intervention von Clemenceau zu verdanken, wenn er davonkam. Dieser verknüpfte sein eigenes Schicksal mit ihm und schleuderte der wütenden Kammer die rettenden Sätze entgegen: „Wir sollen jetzt, mitten in der Schlacht, von ihm Erklärungen fordern? Wenn Sie das von mir verlangen, so verjagen sie mich von dieser Tribüne. Ich werde es nicht tun.“

So blieb er bis zum Ende der, der er war, mitsamt seinem Schloß Bombon, wo er es sich bequem gemacht hatte. Dort residierte er wie ein König des Krieges, inmitten eines über tausend Hektar großen Parks, umgeben von uralten Bäumen. In einem dreißig Meter langen und zehn Meter breiten Salon, mit einer Wandtäfelung aus hellem Eichenholz, hielt er Hof für die Befehlshaber der anderen Mächte. Über einem riesigen flandrischen Wandteppich hing eine Karte des Frontverlaufs. Jeden Tag mußten dort seine Adjutanten die Stecknadeln zur Lage anbringen. Immer wieder aber schweifte sein Blick ab auf den Gobelin, und seine Augen starrten oft minutenlang und wie gebannt auf die Szene, die dort dargestellt war. Aus ihr schöpfte er seine Kraft und seine nie versiegende Zuversicht. Denn sie erinnerte ihn an die Aufgabe, die ihm gestellt war und die alle Opfer und Grausamkeiten rechtfertigte. Das Bild zeigte Judith, wie sie mit dem Schwert dem assyrischen Feldherrn Holofernes den Kopf abschlug.


Prof. Dr. Rainer F. Schmidt lehrte Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte am Institut für Geschichte der Universität Würzburg.