© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/24 / 05. Juli 2024

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Beginnen wir diese kleine Kolumne aus gegebenem Anlaß mit Johann Wolfgang von Goethe: „Das Alter ist ein höflich Mann:/ Einmal übers andre klopft er an;/ Aber nun sagt niemand: Herein!/ Und vor der Türe will er nicht sein./ Da klinkt er auf, tritt ein so schnell,/ Und nun heißts, er sei ein grober Gesell.“ Das Gedicht erschien im Erstdruck 1815, da war Goethe gerade einmal 66 Jahre alt.


„Altwerden ist nichts für Feiglinge“ – so lautete vor vielen, vielen Monden der Titel eines Buches des Schauspielers und Moderators Joachim „Blacky“ Fuchsberger, damals 83 Jahre. Es war ein Buch mit heiterer Grundstimmung, lebensbejahend, kein Lamento, weder weinerlich noch besserwisserisch. Fuchsberger machte einer ganzen Altersgeneration Mut: „Ich denke, es ist Zeit, daß sich die Alten die faltige Haut nicht länger über die Ohren ziehen lassen. Hören wir auf, im stillen Kämmerlein und vor der Glotze auf die Schwätzer aus den Amtsstuben zu hören, lassen wir uns keine Angst mehr einjagen von den Neunmalklugen, wo immer sie sitzen.“


„Das Erlebte weiß jeder zu schätzen, am meisten der Denkende und Nachsinnende im Alter; er fühlt mit Zuversicht und Behaglichkeit, daß ihm das niemand rauben kann.“ (Johann Wolfgang von Goethe, 1822, später erschienen in „Maximen und Reflexionen“)

Auf einer einzigen Buchseite, in nur 19 Zeilen, zählt Elke Heidenreich ihre wichtigsten Lebensstationen auf.

Auf den Spuren von Joachim Fuchsberger wandelt nun Elke Heidenreich. „Alle wollen alt werden, niemand will es sein. Ist das nicht absurd?“ So steht es im Verlagstext für das neue Buch der Literaturkritikerin, Autorin und Moderatorin mit dem schlichten Titel „Altern“. O-Ton Heidenreich: „Gejammert wird nicht. Leute, die jammern, die alles besser wissen, die sich nur beklagen, auf alles schimpfen, immer benachteiligt sind, nie selbst was falsch gemacht haben – grundguter Himmel: Die muß man meiden, immer. Erst recht im Alter.“ Inzwischen hat die 81jährige Autorin mit ihrem recht schmalen Band die Bestsellerlisten erobert. Ihre geniale Einstiegsidee: Auf einer einzigen Buchseite, in nur 19 Zeilen, zählt sie ihre wichtigsten Lebensstationen auf (Elternhaus, Ausbildung, Karriere, Beziehungen, Krankheiten). Überschrift: „Ich habe mein Leben komplett in den Sand gesetzt“. Auf der nächsten Seite erzählt Heidenreich die gleichen Lebensstationen etwas abgewandelt. Überschrift: „Ich hatte ein unfaßbar wunderbares Leben“. Wie charmant und klug dieses Büchlein doch ist!  – Ebenfalls in dieser Reihe erschienen ist der Band „Schlafen“, verfaßt von der Publizistin und Schriftstellerin Theresia Enzensberger. Für den Herbst angekündigt ist der Band „Streiten“ von Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des Philosophie-Magazins.


Elke Heidenreich: Altern. Hanser Berlin, 2024, gebunden, 112 Seiten, 20 Euro