© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/24 / 05. Juli 2024

Europa weniger, dem Nationalstaat mehr Spielraum geben
Abbau der deutschen Demokratie

In Liebesbeziehungen mit tiefer emotionaler Verankerung kann der Streit bis an die Substanz gehen, ohne daß sie zerfallen. Nur in geringen Gefühlstiefen wurzelnde Verbindungen müssen unentwegt Harmonie beschwören, um über diesen Mangel hinwegzutäuschen. Aus dieser vom deutsch-jüdischen Philosophen und Soziologen Georg Simmel (1858–1918) geborgten Einsicht leitet Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des Philosophie Magazins, ab (4/2024), daß es um die bundesdeutsche Demokratie nicht zum Besten steht, wenn ihre Repräsentanten täglich „Zusammenhalt“ einfordern müssen. Der löst sich für Flaßpöhler deswegen auf, weil das politische Spitzenpersonal ignoriere, daß der freiheitliche, säkularisierte Rechtsstaat von seiner national-kulturell gewachsenen Substanz lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Anders als mit solcher Ignoranz, fügt der Politologe Philip Manow (Universität Siegen) hinzu, lasse sich nicht erklären, warum der Abbau der deutschen Demokratie zugunsten der EU so forciert worden ist. Viele Gesellschaftbereiche seien nationaler Politik und parlamentarischer Bestimmbarkeit entzogen worden, obwohl allein Nationalstaaten demokratisch legitimiert sind, denn „es gibt keinen europäischen Demos“. Um die nationalstaatliche Demokratie zu stärken, sei mit der bisherigen Politik des Souveränitätsverzichts und der Entparlamentarisierung zum Vorteil der Brüsseler Bürokratie zu brechen: „Man muß Europa weniger Spielraum geben und den Nationalstaaten mehr. Die Leute  müssen wieder stärker das Gefühl haben, daß kollektive Selbstregierung kein leeres Versprechen ist.“ (wm) www.philomag.de