© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/24 / 05. Juli 2024

Das duale System ist am Ende
Öffentlicher Rundfunk: Die aus Zwangsbeiträgen finanzierten Anstalten werden ihrem Auftrag schon lange nicht mehr gerecht
Konrad Adam

Vor dreißig Jahren ist dem Bundesverfassungsgericht eine Erfindung geglückt. Die Richter erfanden das duale Rundfunk- und Fernsehsystem. Neben dem Markt, der den privaten Anbietern überlassen blieb, etablierten sie die öffentlich-rechtlichen Anstalten, bestehend aus ARD, ZDF und Deutschlandradio. Deren Tätigkeit wurde in einem Staatsvertrag geregelt, der mehrfach geändert und erweitert worden ist, aber nach wie vor gilt. Er verpflichtet die Sender auf so lobenswerte Grundsätze wie Vielfalt und Objektivität, Ausgewogenheit und Unparteilichkeit – so die Theorie. Daß die Wirklichkeit ganz anders aussieht, weiß jeder, der einen flüchtigen Blick in die Programme der drei Sender wirft.

Dort wird ein Weltbild propagiert, das über die Grenze zwischen Links und Rechts, Gut und Böse, Fortschritt und Rückschritt keinen Augenblick im Zweifel ist. Es wird nicht lauthals verkündet, dafür um so selbstgerechter. Die Sender werben nicht, sie setzen Zeichen. Sie lügen nicht, sie zeigen Haltung. Sie unterdrücken nicht, sie canceln bloß. Sie verlangen den Dialog, den sie verweigern, preisen die Menschenrechte, die sie mißachten, und grenzen aus mit der Begründung, die anderen betrieben Ausgrenzung. An Beispielen ist kein Mangel, jeder kennt sie; wozu sie wiederholen, wo wir doch wissen, daß Kritik, Einsprüche und Vorhaltungen mit Formbriefen beantwortet werden, in denen uns die Intendanten darüber belehren, daß alles in bester Ordnung sei.

Die Grenze zwischen Nachricht und Kommentar, wird verwischt

Ist es aber nicht. Das duale System hat ein Monopol hervorgebracht, das nicht nur die Preise, sondern auch den Absatz diktiert. Wo so etwas möglich ist, sind Mißstände wie die Gehaltsorgien, für die der RBB ja nur ein Beispiel unter vielen geliefert hat, keine Mißstände, sondern genau das, was zu erwarten war: nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Um das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Öffentlich-Rechtlichen wiederherzustellen, muß das System gründlich erneuert werden – gründlicher jedenfalls, als der Zukunftsrat, eine Alibi-Veranstaltung von hochbezahlten Redakteuren, offenbar vorhat.

Versprochen worden ist uns ein Programm, das sich bemüht, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit unverzerrt darzustellen. Als Poesie, Juristenpoesie, ist das ganz gut. Aber wer, abgesehen von ein paar ausgefuchsten Intendanten, wollte im Ernst behaupten, daß uns so etwas angeboten würde.

Was es jetzt braucht, ist ein Richter, der die alles entscheidende Frage, ob die Anstalten ihrem Auftrag nicht nur formal, sondern auch inhaltlich gerecht werden, nicht länger den Verwaltungs- und den Rundfunkräten überläßt, sondern selbst in die Hand nimmt. Also anhand von Beispielen, an denen ja kein Mangel ist, überprüft, ob die vom Staatsvertrag geschaffenen Strukturen dazu geeignet sind, die hochgesteckten Ziele – internationale Verständigung, europäische Integration, gesellschaftlichen Zusammenhalt im Bund und in den Ländern – zu befördern. Oder nicht viel eher dazu anreizen, Partei zu ergreifen, Stimmung zu machen, Vorurteile zu befestigen, Gräben aufzureißen und das Land zu spalten.

Meinungsfreiheit setzt die Trennung von Nachricht und Kommentar voraus. Der Kommentar verbreitet Meinungen, und Meinungen sind frei; Nachrichten handeln von Fakten, und Fakten sind heilig. Völlig zu Recht hat man denn auch bemerkt, daß die Meinungsfreiheit überall dort in der Luft hängt, w0 die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist. In Deutschland ist sie nicht mehr garantiert, und ganz gewiß nicht durch Sendungen wie „Tagesschau“ oder „Heute“. Die Grenze zwischen Meldung und Kommentar, zwischen Nachricht und Werbung, zwischen Sprecher und Influencer ist brüchig geworden, sie wird verwischt, wo nicht sogar in voller Absicht überschritten. Womit dann auch die Meinungsfreiheit, ein Grundrecht immerhin, zur Farce wird.

Mehr Freiheit von den Gremien zu erwarten, wäre naiv. Denn die sind längst unter die Fuchtel der gesellschaftlich relevant genannten Kräfte geraten, die ihrerseits unter der Fuchtel der politischen Parteien stehen. Der ZDF-Verwaltungsrat tagt unter dem Vorsitz eines Ministerpräsidenten, der dieses Amt nicht etwa durch Wahl, sondern ex officio bekleidet; in den übrigen Räten geht es ähnlich zu, beim Zukunftsrat natürlich auch. Wer dort sitzt, weiß, wem er sein Mandat verdankt, und hütet sich, die Hand zu beißen, die ihm Futter reicht.  

Kein Wunder, daß immer mehr Bürger ihren Zwangsbeitrag zurückhalten (ich auch). Sie wollen wissen, worin der konkret nachweisbare, individuell zurechenbare Vorteil bestehen soll, von dem die Intendanten, die Gutachter und die hohen Richter schwärmen. Solange Klagen, die hier Klarheit schaffen sollen, keine Chance haben, werden sie sich von Mahnungen, Festsetzungsbescheiden und ähnlichen Drohungen nicht abschrecken lassen (ich auch nicht). Sie erinnern sich an den Slogan „Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt.“ Manchmal hat die Linke eben doch recht.


Dr. Konrad Adam, Jahrgang 1942, war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefkorrespondent und Kolumnist der Tageszeitung Die Welt. Er hat im Widerspruchsverfahren gegen den Rundfunkbeitrag soeben die Androhung der Zwangsvollstreckung zugestellt bekommen.

Foto: Überweisungsträger für die Rundfunkgebühren von ARD, ZDF und Deutschlandradio: Immer mehr Bürger halten den Zwangsbeitrag zurück