© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/24 / 05. Juli 2024

Die Nervosität steigt
Frankreich: Noch haben Rassemblement National und ein Teil der Republikaner die Wahl nicht gewonnen / Erste Risse in Emmanuel Macrons „republikanischer Front“
Friedrich-Thorsten Müller

Kaum war die erste Wahlschlacht geschlagen, richtete der Spitzenkandidat des Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, seinen Blick nach vorn: „Nach dieser ersten Runde stehen den Franzosen zwei Möglichkeiten zur Auswahl. Das Bündnis der Schlimmsten und der extremen Linken kommt an die Macht. Oder die Nationale Union, rund um unsere Werte und unsere Identität. Ich rufe Sie auf, die Mobilisierung zu verstärken.“ 

 Denn noch tobt der Wahlkampf in Frankreich vor dem zweiten Wahlgang am 7. Juli auf höchstem Niveau, und der strahlende Sieger ist der RN noch nicht. Obwohl die Wahlbeteiligung im Verhältnis zur Europawahl um 15 Prozentpunkte höher ausfiel, gelang es dem RN mit Verbündeten dabei, sein Ergebnis sogar noch um zwei Punkte auf 33,3 Prozent zu verbessern. An zweiter Stelle folgt erwartungsgemäß die linke Neue Volksfront (NV) mit 28 Prozent. Die bisherige liberale Präsidentenmehrheit des Bündnisses Ensemble (Zusammen) landete abgeschlagen auf dem dritten Platz und erreichte 20,0 Prozent. 

Für Macron werden schwierige Zeiten anbrechen

Durch die hohe Wahlbeteiligung (66,7 Prozent), kommt es in über 300 von 577 Wahlkreisen zu einer Dreier- oder Vierer-Stichwahl, da dort für mehr als zwei Kandidaten mindestens ein Achtel der Wahlberechtigten stimmten. Darüber hinaus erreichten bereits in 76 Wahlkreisen Kandidaten sowohl die in der ersten Runde erforderliche absolute Mehrheit als auch die nötigen 25 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten. Davon gingen 39 an den RN, 32 an die NV, zwei an Präsident Macrons Parteienbündnis und einer an die Republikaner.

Ob der Überraschungscoup von Éric Ciotti, dem (Noch-)Vorsitzenden der Republikaner, der eigenmächtig eine Listengemeinschaft mit dem RN initiiert hatte, erfolgreich sein wird ist noch unklar. Immerhin erreichte er in der Listengemeinschaft mit dem RN in seinem Wahlkreis in Nizza mit 41 Prozent einen ersten Platz als Ausgangsbasis für die Stichwahl. Der offizielle Republikaner-Kandidat kam dagegen lediglich auf 5,8 Prozent der Stimmen. Außerdem gehört eine seiner Kandidatinnen zu den bereits im ersten Wahlgang direkt gewählten Abgeordneten der RN-Liste. Immerhin 60 seiner 62 Kandidaten haben sich durch Wahlverzicht des RN in deren Wahlkreisen für die Stichwahl qualifiziert. Von den etwa 400 offiziellen „Republikanern“ sind mit 81 Kandidaten proportional sehr viel weniger in die Stichwahl gekommen, wobei sich 74 davon nun gegen RN-Bewerber werden behaupten müssen. 

Während bereits mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gesagt werden kann, daß der Rassemblement National mit 230 bis 280 Sitzen die stärkste Fraktion in der nächsten Nationalversammlung stellen wird, erscheint eine absolute Mehrheit eher fraglich. Bardella hatte eine eigene Mehrheit des RN (mindestens 289 Sitze) zur Voraussetzung erklärt, um Premier zu werden. Entscheidend ist darum das Abschneiden der Republikaner, die sich zwar weiterhin Wahlabsprachen auf höchster Ebene mit dem RN verweigern, aber vielfach Signale aussenden (zum Beispiel EU-Spitzenkandidat François-Xavier Bellamy), die Partei wählen zu wollen, wenn eigene Kandidaten nicht mehr im Rennen sind. Denn „die Gefahr für die Republik droht von der extremen Linken“, so der wahrscheinliche Ciotti-Nachfolger als Parteichef der CDU-Schwesterpartei. 

Dies könnte letztlich – trotz massiven Drucks aus der EVP in Brüssel – auch die Basis für eine Zusammenarbeit werden, wenn mögliche 40 Republikaner-Abgeordnete dem RN eine Mehrheit sichern würden. Denn aus jetziger Sicht ist das die einzige realistische Perspektive Frankreichs, ohne absolute Mehrheiten eine stabile Regierung zu bekommen. Die hastig gezimmerte Republikanische Front der liberalen Präsidentenpartei mit dem teilweise extremistischen und antisemitischen Linksbündnis wäre im Fall einer gemeinsamen Mehrheit im Parlament jedenfalls kaum in der Lage, sinnvolle gemeinsame Projekte zu definieren.

Für Macron dürften indes schwere Zeiten anbrechen. Denn in den Augen der Franzosen hat er sich mit seinem Neuwahl-Schachzug einfach verzockt. Seine vielfach als überheblich wahrgenommene Art wird ihm bei der jetzt gemäß Verfassung unvermeidlich für mindestens ein Jahr folgenden „Cohabitation“ (Präsident und Regierung aus unterschiedlichen Parteien) in einer Situation der Ohnmacht nicht helfen. Und seine Partei ist, wie Marine Le Pen bemerkte, „quasi ausgelöscht“. Als Vorgeschmack für das Ende von Macrons Reform-agenda hat der bisherige Premierminister, Gabriel Attal, noch am Wahlsonntag die geplante Reform der Arbeitslosenversicherung zurückgezogen.

„Der Macron-Clan zerreißt sich über die Haltung gegenüber dem RN“, titelte am Dienstag der Figaro und betonte: „Der Staatschef und der Premierminister versuchen, die traditionelle ‘republikanische Front’ im Hinblick auf die zweite Runde zu aktivieren, was intern nicht auf einhellige Zustimmung stößt.“ 

Parallel dazu riefen der größte Gewerkschaftsbund CFTD und andere linke Kräfte ihre Anhänger auf, sich zu mobilisieren und am 7. Juli „massiv“ gegen den RN vorzugehen: „Blockieren wir dessen Weg zur Macht“.  Kommentar Seite 2