© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/24 / 05. Juli 2024

Biden demontiert sich selbst
US-Demokraten: Nach Bidens fatalem TV-Auftritt stellen sich Fragen nach einem Exit-Plan
Georg Menz

Gegen Ende der metaphernbeladenen amerikanischen Geschichte vom „Zauberer von Oz“ gelangen die Protagonisten endlich in das Zentrum der finsteren Macht. Der furchteinflößende Magier ist bei genauem Hinsehen ein unterdurchschnittliches Individuum ohne jegliche Zauberkraft. Es fiel wohl vielen Zuschauern schwer zu glauben, daß der unsicher und leicht staksende alte Mann, der am Donnerstag abend letzter Woche in Atlanta zum Fernsehduell gegen Trump auflief, tatsächlich Präsident einer Weltmacht und Oberbefehlshaber einer Nuklearmacht ist. 

Die Gerüchteküche gab es schon längst her, aber die Gerüchte um die sichtbaren körperlichen Verfallserscheinungen des 81jährigen Joseph Biden und der ebenfalls kolportierte geistige Abbau wurden stets und beharrlich vom Weißen Haus dementiert. Bidens Auftritt vor der Fernsehnation ließ wohl keinen Zweifel: heiser, schwer verständlich und fahrig im Duktus. Öfter verlor der greisenhaft wirkende Amtsinhaber schlicht den roten Faden, verlor sich im Wortsalat und konnte keine inhaltlich sinnvollen und grammatikalisch korrekten Sätze mehr artikulieren.

Aus Kalkül ließ Biden die Dramatik an der Südgrenze offen  

 Während Trumps Redezeit starrte er oft ausdruckslos sekundenlang ins Leere. Peinliche Pausen häuften sich, und dann führte ihn die Ehefrau nach Ende der Veranstaltung von der Bühne. Der Präsident der Vereinigten Staaten wirkte eher wie ein Pflegefall denn als wie der Lenker des freien Westens. Selbst die linken Zeitungen und Fernsehsender taten sich schwer, an dieser Art von Performance ein gutes Haar zu lassen. Schon mehren sich die Gerüchte um einen neuen Kandidaten, obgleich Biden eigentlich die Vorwahlen gewann. Eine Wahlwiederholung ist an sich nicht vorgesehen, dürfte wohl auch die selbstgerechte Behauptung, Trump stelle das Ende der Demokratie dar, ein wenig relativieren. 

Inhaltlich wurde vieles angeschnitten, aber nur oberflächlich behandelt. Die Wirtschaftslage und insbesondere die bis vor kurzem noch galoppierende Inflation waren ein Thema, bei dem die beiden Kandidaten erwartungsgemäß auf keinen gemeinsamen Nenner, ja nicht einmal auf geteilte Wahrnehmung kamen. Letztlich haben beide Männer, besonders aber Biden, die Staatsverschuldung völlig aus dem Ruder laufen lassen. Bidens zynisch etikettiertes „Inflationsreduzierungsgesetz“ war im Grunde genommen eine vulgärkeynesianistische Investition in die Infrastruktur und dies mit grünem Anstrich. Inhaltlich war die Initiative an sich nicht verkehrt: gerade im Binnenland sind Amerikas Straßen, Autobahnen, Flughäfen, der öffentliche Nahverkehr und Brücken oft erstaunlich marode und heruntergekommen. 

Die Zuständigkeit liegt im staatlichen Föderalismus bei den Bundesstaaten oder den Kommunen, von denen aber viele durch die Finanzkrise und den Einbruch der Unternehmenssteuern oft ihrerseits finanziell schwach aufgestellt sind. Auf die Dauer ist dem Wähler nicht vermittelbar, warum das Land sich jahrelang in endlose Kriege verwickelt, während die eigene Infrastruktur verrottet und man von der Substanz lebt. Genau dieses Thema hatte Kandidat Trump bereits 2016 angeschnitten, dann aber als Präsident diesbezüglich wenig Initiative gezeigt.

So viel wurde im Detail aber gar nicht erörtert: es ging hurtig und flüchtig von einem Themenbereich zum nächsten. Trump steuerte immer wieder das Gespräch in Richtung Reizthema Einwanderung: Die illegale wie die halblegale Asyl-Einwanderung erreichte 2024 neue Rekordstände, der finanzielle Druck auf die Kommunen und den Bund nimmt zu, die Kriminalität wächst. 

Aus Kalkül ließ Biden die Dramatik an der Südgrenze offen. Die zur „Grenz-Chefin“ ernannte Kamala Harris tauchte nur einmal kurz dort zum Fototermin auf. Nennenswerte Initiativen erfolgten erst im Wahljahr 2024. Jahrzehntelang spielte politisches Asyl kaum eine Rolle, weil aus naheliegenden geographischen Gründen eine Einreise auf dem Landweg nur schwierig zu bewerkstelligen ist. Das hat sich aber drastisch verändert: Mexiko ist zum Transitland geworden, der Norden des Landes wird von kriminellen Banden kontrolliert, die das Schleppergeschäft für sich entdeckt haben. Die mittelamerikanischen Staaten wie El Salvador, Honduras und Guatemala bleiben durch bittere Armut gezeichnet ebenso wie das krisengeschüttelte Venezuela. Auf dem Luftweg kommen Asylbewerber aus aller Welt in Mexiko an und reisen anschließend Richtung El Norte. So hatte Biden auch praktisch kein Argument an der Hand, außer auf das angeblich durch Einwanderung erfolgte Wirtschaftswachstum zu verweisen.

Querbeet ging es zum Reizthema Abtreibung. Eigentlich eine sichere Bank für die Demokraten: denn die Rückverlagerung der Gesetzeskompetenz auf die Bundesstaaten stößt auch bei Konservativen nicht überall auf Zustimmung. Eine harte Linie in dieser Frage wirkt aus der Zeit gefallen. Und doch: Biden konnte seine relativ liberale Position nur schwerlich vermitteln. Trump brachte seine Haltung klar an und nutzte die Chance zur Kritik an extremen Linken, die völlige Deregulierung einfordern. 

Die große Frage ist, wer die Regierungsgeschäfte führt

Dann ist da noch die Außenpolitik. Biden schwadronierte vom Kriegsverbrecher Putin, der angeblich den Wiederaufbau des „Sowjetreiches“ plane, mit Weißrußland, Polen und im Anschluß auch dem Rest der Nato. Trump behauptete, den Krieg durch Verhandlungen noch vor Amtsantritt im Januar beenden zu können. Auch der verpatzte Afghanistan-Abzug kam zur Sprache. Biden konnte keine Schuld erkennen, pöbelte Trump aber bösartig als „Verlierer“ an und sprach auf eine Suggestivfrage eines Moderators reagierend Trump-Wählern pauschal das Bekenntnis zur Demokratie ab.   

Nach 90 Minuten war das Trauerspiel vorbei. Gelaufen sind die Wahlen noch lange nicht, aber es ist schwer erkennbar, ob und wie sich Biden nach diesem Auftritt wieder aufrappeln kann. Einen Schlag versetzte ihm nun auch noch der Oberste Gerichtshof der USA, der Trump eine teilweise Immunität gegen strafrechtliche Verfolgung zusprach. Biden sollte jetzt seine „Hunde“ zurückrufen, jubelte Trump, und der Präsident sprach von einem „gefährlichen Präzidenzfall“.  Kommentar Seite 2