Schon seit langem läuft der Bundesrechnungshof Sturm gegen die Zweckentfremdung von staatlichen Zuschüssen für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundestagsfraktionen. Die überschreiten, so der Vorwurf, gerade bei der Nutzung von Medien wie Youtube die gesetzlichen Grenzen, indem „regelwidrig“ direkt für die Partei und Abgeordnete und damit für deren Wiederwahl geworben werde. „Hierfür dürfen Fraktionsmittel aber nicht verwendet werden“, heißt es in einem Bericht der Prüfer aus diesem Früjahr, in dem allen Fraktionen massive Verstöße vorgeworfen werden.
Nun könnte man meinen, die Abgeordneten würden aufgrund der mahnenden Worte ihr Verhalten ändern. Weit gefehlt. Als Lösung fiel SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP etwas anderes ein: Sie ändern das Abgeordnetengesetz – und geben die bisher den Fraktionen verbotene Wahlwerbung ausdrücklich frei. Die AfD wurde an den Beratungen nicht beteiligt. Sie lehnte den Entwurf in der ersten Debatte im Bundestag strikt ab.
In dem Gesetzentwurf verschleiern die Antragsteller den eigentlichen Grund für ihr Vorgehen und behaupten allen Ernstes, es sollten in der Praxis aufgetretene „Unsicherheiten“ in bezug auf die zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen durch gesetzliche Normierung beseitigt werden. Und dann kommt der Hammer: „Die Fraktionen wollen klarstellen, daß neben der Unterrichtung der Öffentlichkeit über parlamentarische Vorgänge auch die Vermittlung allgemeiner politischer Standpunkte der Fraktionen und der Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern über die parlamentarisch-politische Arbeit ein ‘zulässiger Zweck der Öffentlichkeitsarbeit’ ist“, berichtet der Pressedienst des Bundestages. In der Begründung des Entwurfs wird man noch präziser: „Das weite Betätigungsfeld für die Öffentlichkeitsarbeit ist dabei Ausdruck des interaktiven und dynamischen Willensbildungsprozesses innerhalb des Parlaments.“ Das ist nichts anderes als ein vom Gesetzgeber verfaßter Freibrief, mit dem die Fraktionen in Zukunft ihre Statements zu Vorgängen in der ganzen Welt und zu jedem Thema verbreiten können – auch zu Sachverhalten, die im Bundestag keine Rolle spielen. Dafür steht ihnen viel Geld zur Verfügung: 126 Millionen Euro erhielten sie im Jahr 2022 aus der Steuerkasse.
Der Rechnungshof hatte auch mehrfach moniert, daß zweckwidrig verwendete Mittel von den Fraktionen nicht zurückgefordert werden, da dafür eine gesetzliche Grundlage fehle. Diese Grundlage wird jetzt tatsächlich eingeführt. Vorgesehen ist eine „Pflicht zur Rückgewähr zweckwidrig verwendeter Fraktionsmittel“, falls Geld- und Sachleistungen nicht zweckentsprechend verwendet werden. Da nach der Neuregelung eine zweckwidrige Verwendung für die Öffentlichkeitsarbeit so gut wie ausgeschlossen ist, läuft die Sanktionsandrohung weitgehend ins Leere. Allerdings besteht die Gefahr der Verfassungswidrigkeit: Nicht im Bundestag vertretene Parteien werden durch die jetzt zulässige Wahlwerbung durch Fraktionen für ihre Parteien massiv benachteiligt.