© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/24 / 05. Juli 2024

Wie sich das Recht gegen Rechte richten soll
Bundestagspräsidium: Um die AfD fernzuhalten, verstößt der Bundestag gegen seine Geschäftsordnung. Das soll nun legalisiert werden
Henning Hoffgaard

Eigentlich ist die Sache klar. „Jede Fraktion des Deutschen Bundestages ist durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten.“ So steht es in Paragraph 2 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Bisher. Ein umfangreicher Antrag zur Änderung ebenjener Regeln, der von den Ampelfraktionen noch in dieser Woche eingebracht wird und der JUNGEN FREIHEIT vorab vorlag, will mit diesem Recht Schluß machen. 

Bereits jetzt stellt die AfD keinen Vizepräsidenten. Denn: „Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält.“ Ganze 21 Kandidaten schickte die Partei in 23 Wahlgänge. Immer scheiterten ihre Kandidaten. Künftig soll es nun nur noch heißen: „Der Bundestag beschließt die Anzahl der Vizepräsidenten, wobei jede Fraktion mindestens für ein Amt zu berücksichtigen ist. Er legt fest, welche Fraktion jeweils für welches Amt einen Wahlvorschlag unterbreiten kann.“ Bei Geschäftsordnungen geht es oft um Kleinigkeiten, „berücksichtigen“ statt „vertreten“ ist ein Unterschied. Das schreiben SPD, Grüne und FDP auch ausdrücklich in die Begründung. 

„Die bisherige Regelung“, heißt es da, „nach deren Wortlaut jede Fraktion des Deutschen Bundestages durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten sein sollte, führte in der Vergangenheit zu Unklarheiten in Bezug auf das Verhältnis zwischen dem Vorschlagsrecht der Fraktionen und dem Grundsatz der freien und geheimen Wahl der Mitglieder des Präsidiums.“ Daß ein Kandidat also eine Mehrheit braucht, ist nun offiziell wichtiger als das Recht der Fraktionen, einen Bundestagsvizepräsidenten zu stellen.  

Und auch eine weitere wichtige Änderung ist vorgesehen. Scheitert eine Fraktion mit drei Kandidaten, bedarf „ein neuer Wahlvorschlag der Unterstützung von mindestens einem Viertel der Mitglieder“. Eine Fraktion, die weniger als 25 Prozent der Abgeordneten stellt, wäre zwangsläufig darauf angewiesen, daß Abgeordnete anderer Fraktionen zustimmen, damit sie überhaupt noch Kandidaten aufstellen darf. Obwohl die AfD natürlich nicht genannt wird, ist klar, um wen es bei der neuen Geschäftsordnung geht. Entsprechend kritisch reagiert die Partei. 

Doch auch an anderen Stellen wollen die Ampelfraktionen ordentlich verschärfen. Beispiel: Ordnungsgelder. Diese werden bisher weitgehend willkürlich vom Präsidenten des Bundestages, aktuell SPD-Politikerin Bärbel Bas, festgelegt, sofern es zu einer „nicht nur geringfügigen Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages“ kommt. 1.000 Euro kann dafür fällig werden, im Wiederholungsfall 2.000 Euro. Bisher. Künftig soll auch der „sitzungsleitende Präsident“, also etwa Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, solche Maßnahmen verhängen können. Und zwar doppelt so hoch wie bisher. Also 2.000 Euro und im Wiederholungsfall 4.000 Euro. Überhaupt wird dem Präsidenten und seinen Stellvertretern deutlich mehr Macht eingeräumt. Etwa bei der Gewährung von Zwischenfragen. Bisher heißt es dazu in der Geschäftsordnung: „Zwischenfragen und Zwischenbemerkungen, die kurz und präzise sein müssen, dürfen erst gestellt werden, wenn der Redner sie auf eine entsprechende Frage des Präsidenten zuläßt.“ Die Entscheidung liegt also beim Redner, der dazu lediglich auf eine Frage des Präsidenten antworten muß. 

Künftig „kann“ der Präsident „mit Einverständnis des Redners das Wort für Zwischenfragen oder -bemerkungen, erteilen“. Er muß es also nicht.