© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/24 / 28. Juni 2024

Kabinenklatsch
Kinderarbeit auf dem Platz
Ronald Berthold

Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich meinen Vater bei der WM 1978 nach jedem Tor jubeln hörte, als Deutschland in der Vorrunde Mexiko mit 6:0 abschoß. Mein Zwillingsbruder und ich durften das Spiel nicht sehen, weil es an einem Dienstag um 20.45 Uhr angepfiffen wurde und wir am nächsten Morgen um 8 Uhr in der Schule sein mußten. Wir lagen im Bett, blieben aber wach und versuchten, den Geräuschen aus dem Wohnzimmer zu lauschen und uns unseren Reim darauf zu machen. Damals war ich neun Jahre alt. Die WM fand in Argentinien und das Spiel wegen der Zeitverschiebung für damalige Verhältnisse in Deutschland ungewöhnlich spät statt. Daran denke ich jetzt oft zurück, wenn die Begegnungen bei der EM ohne solche Umstände um 21 Uhr beginnen. Wie viele Kinder mögen davon ausgeschlossen sein, auch wenn sie noch so gern zuschauen wollten? Der DFB klagt schon länger über zu wenig Nachwuchs. Warum stimmt er dann so kinderfeindlichen Anstoßzeiten zu?

Die Krönung ist jedoch, daß die deutsche Bürokratie sogar Minderjährige verfolgt, die bei den EM-Spielen auf dem Platz stehen. Denn nach 23 Uhr darf laut deutschem Jugendschutz kein unter 18jähriger in diesem Lande mehr arbeiten. Und dazu zählen auch Duschen, Auslaufen, Interviews geben. Weil das 16jährige spanische Wunderkind Lamine Yamal bei den Abendpartien eingesetzt wurde, könnte der deutsche Staat nun eine saftige Geldstrafe gegen die Südeuropäer verhängen, berichtet das ZDF. Echt jetzt? Anstatt jene zu rügen, die für die späten Spielbeginne verantwortlich sind, geht der Staat auf die los, die darunter leiden. Wie auch sonst nicht selten vertauscht unser Land hier Täter und Opfer.