© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/24 / 28. Juni 2024

Alpinkapitalismus am Limit
Saison am Mount Everest: Die touristische Ausbeutung der Bergwelt nimmt im Himalaya surreale Züge an
Florian Werner

Vorbei an den dicht gedrängten Kolonnen der Extremtouristen bestieg Piotr Krzyzowski Ende Mai den Mount Everest. Anders als die anderen erreichte der Pole den 8.848 Meter hohen Gipfel nicht vom Basislager an der nepalesischen Südseite des Berges aus, sondern über den Rücken seines 8.516 Meter hohen Nachbarn Lhotse. Damit hatte der 45jährige Pole kurz nacheinander den höchsten und vierthöchsten Berg der Erde erklommen. Zuvor hatte der Ausnahmealpinist mit dem Gasherbrum II und dem „Killerberg“ K2 in Pakistan bereits zwei 8.000er bezwungen. Besonders seine Besteigung des „Blutberges“ Khan Tengri mitten im Winter 2019 machte ihn einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Ironischerweise werden sportliche Meisterleistungen wie die von Krzyzowski zu einer Seltenheit, wo der Massentourismus immer krassere Ausmaße annimmt. „Ich weiß, daß es in den hohen Bergen immer weniger Platz für Menschen wie mich gibt, die ohne die Unterstützung von Sherpas, ohne die Verwendung von Flaschensauerstoff und ohne die große Unterstützung von Agenturen und Hochträgern klettern“, kommentierte dieser seinen Erfolg zuletzt etwas nachdenklich in den sozialen Netzwerken.

Stattliche Summen allein für die Behördengenehmigung

Statt kleiner Expeditionen schieben sich mittlerweile ganze Karawanen am Everest-Massiv hinauf. Nur wenige Teilnehmer fühlen sich wirklich trittsicher. Viele haben einfach das nötige Kleingeld, um sich das Blitztraining, den Sherpa und die Ausrüstung zu leisten. Was zählt, ist für die Upperclass im Bergfieber oftmals nur die Jagd nach dem ultimativen Selfie. Allein die Erlaubnis der nepalesischen Behörden, auf das Dach der Welt zu steigen, kostet laut der Plattform alpin.de rund 11.000 Dollar. Chinesische Stellen verlangten sogar noch ein bißchen mehr. 40.000 bis 80.000 Dollar kämen so pro Person zusammen. Bei Besucherzahlen nur knapp unter der 1.000er-Marke kommt somit jährlich eine stattliche Summe zusammen.

Der gut bezahlte Massenandrang führt in den unberechenbaren Wetterlagen des Himalayas immer wieder zu lebensgefährlichen Staus. Doch dieser Alpinkapitalismus fordert regelmäßig neue Opfer: Allein in dieser Saison sind am Mount Everest bereits fünf Menschen ums Leben gekommen – der Jahresdurchschnitt liegt bei vier. Der vorerst letzte Verunglückte war ein Kletterer, der vergangenen Monat zusammen mit seinem Sherpa am „Hillary Step“, einer etwa zwölf Meter hohen Felswand in Gipfelnähe, verschollen ging. Der Kenianer soll den Aufstieg ohne zusätzlichen Sauerstoff versucht haben. Selbstüberschätzung als Folge fehlender Erfahrung.

Doch auch der Everest selbst leidet unter dem kommerziell immer weiter ausgeschlachteten Kletterboom. Nur ein Bruchteil der Schnupperbergsteiger fühlt sich dem alpinistischen Ethos „Leave no trace“, zu deutsch „Hinterlasse keine Spuren“, verpflichtet, was zur Folge hat, daß das Massiv zwischen Nepal und Tibet immer weiter verdreckt. Mitten in der „Todeszone“, irgendwo zwischen 7.000 und 8.000 Metern, türmen sich Müllhalden aus alten Zelten, abgetragener Kleidung, weggeworfenen Bierdosen und leeren Sauerstoffflaschen. Mehr als 120 Tonnen davon hat die nepalesische Armee seit 2019 in einer aufwendigen Reinemachaktion fortgeschafft.

Wer das Basecamp am Fuß des Khumbu-Gletschers auf der nepalesischen Südseite des Everest sieht, weiß, wo all der Unrat herkommt. Statt eines Lagers erstreckt sich dort mittlerweile nämlich eine ganze Zeltstadt. Hunderte von gelben, blauen und orangenen Planen sprenkeln das Geröll, das von kolossalen „Séracs“ genannten Eistürmen umringt ist. Um das weitere Wachsen dieser surrealen Metropole zu verhindern, hat die nepalesische Regierung in Katmandu für die Saison 2024 neue Regeln eingeführt, wie der amerikanische Bergsteiger Alan Arnette unlängst auf seinem Blog berichtete.

So wurde etwa der Aufbau von „Kommerzzelten“ verboten, weil sich in den vergangenen Jahren nicht nur Masseure und Bäcker, sondern auch ein Museum am höchsten Berg der Erde eingerichtet hatte. Außerdem wurde die Belieferung des Basislagers via Helikopter untersagt, was Gütern wie Flachbildschirmen in über 5.300 Metern Höhe in Zukunft wohl den Garaus machen wird. Kaum vorzustellen, daß die traditionell zum Transport in der Region verwendeten Yaks Plasmafernseher schleppen werden.

Das riskante Spektakel im Himalaya steht stellvertretend für die Probleme, die die Bergwelt insgesamt mit den überhandnehmenden Besucherzahlen hat. Überall droht der Alpinismus aus Kapitalinteressen touristisch überformt zu werden. Daß Geld allein noch keinen Gipfelstürmer macht, lernen viele der wohlhabenden Alpinromantiker erst auf die harte Tour. Schlimmstenfalls bezahlen sie die Lektion mit ihrem Leben.