Deutschland braucht für die Energiewende mehr Leitungen auf der Höchstspannungsebene. Insgesamt fehlen den Stromnetzen 14.000 Kilometer bei einer Gesamtlänge von 35.000 Kilometern. Optimistische Schätzungen veranschlagen die Kosten auf 55 Milliarden Euro. Seit 2011, dem Beschluß des schwarz-gelben Merkel-Kabinetts zum beschleunigten Atomausstieg, besteht Bedarf an langen Stromtrassen, die die Energie aus Windparks im Meer nach Süddeutschland transportieren.
Die dafür erforderlichen Trassen können als Freilandleitungen überirdisch oder als Erdkabel unterirdisch errichtet werden. Sowohl Gleichstrom als auch Wechselstrom sind in beiden Übertragungsformen einsetzbar. Für beide Leitungsformen addiert sich der Leistungsverlust auf bis zu 30 Prozent beim bis zu 800 Kilometer langen Transport von Nord nach Süd – je nach Übertragungstechnik und Wechsel zwischen den Übertragungsarten.
Seit 2015 besteht ein gesetzlich festgeschriebener Vorrang für Erdkabel. Horst Seehofer hatte diesen aufgrund von Protesten in bayrischen CSU-Wahlkreisen entlang der damals neu geplanten Nord-Süd-Stromtrassen im Kabinett durchgesetzt. Im Bundestag gibt es Bestrebungen, diese Regelung wieder aufzuheben, vor allem aus Kostengründen. Bei den Bundesländern, in deren Zuständigkeit wesentliche Teile der Genehmigungsverfahren fallen und deren Zustimmung im Bundesrat notwendig wird, zeichnet sich derzeit keine Mehrheit für eine Änderung der Vorgabe Erdkabel ab.
Freilandleitungen sind viel billiger und technisch einfacher zu bauen
Abseits der politischen Diskussion lohnt ein Vergleich der Systeme und ihrer Einsatzgebiete unter Berücksichtigung der Weiterentwicklungen. Die Zukunfttechnik sind Supraleiter. Stark vereinfacht dargestellt bestehen diese Kabel aus Materialien, die bei bestimmten Temperaturen Strom ohne Widerstand leiten. Das Ergebnis ist eine verlustfreie Übertragung. Es werden zwei Arten unterschieden: Für Supraleiter des Typs 1 werden reine Metalle verwendet, beispielsweise Quecksilber, das auf zirka minus 270 Grad Celsius gekühlt werden muß, um die Supraleiter-Eigenschaften aufzuweisen.
Typ 2 bezeichnet Materialverbindungen, etwa aus Yttrium, Barium, Kupfer und Sauerstoff, die als „Hochtemperatur-Supraleiter“ nur auf minus 180 Grad gekühlt werden müssen. Beide Supraleiter wären theoretisch einsatzbereit. Das derzeit längste Teststück von zwölf Kilometern wurde 2020 durch die Stadtwerke München gebaut und in den Netzbetrieb integriert. Netzbetreiber kalkulieren die Kosten der aufwendigen Kühlung der Supraleiter als in etwa so hoch wie den Gewinn aus der verlustfreien Stromübertragung. Weitere Forschungserfolge sind allerdings notwendig, um die höheren Produktions- und Verlegungskosten der Technik zu rechtfertigen. Zudem sind Lebensdauer und Reparaturkosten unklar. Umstritten sind auch die Potentiale beim Einsatz in Stromspeichern.
Der Zukunftstechnik, deren flächendeckender Einsatz noch Jahre brauchen wird, stehen die klassischen Verlegungen über- und unterirdisch gegenüber. Beide können sowohl Gleichstrom als auch Wechselstrom transportieren, wenn auch, im Gegensatz zu Supraleitern, mit deutlichen Verlusten, die überproportional mit der Entfernung steigen.
Freilandleitungen sind technisch einfacher zu bauen, sie benötigen im Schnitt zwischen den Knotenpunkten und Umspannwerken nur alle 200 Meter einen Mast. Die überirdische Konstruktion macht sie anfälliger für Störungen und Witterungseinflüsse, allerdings sind sie zugleich auch wesentlich wartungs- und reparaturfreundlicher. Zur Absicherung der jeweiligen Strecke werden die Leitungen so geplant, daß der Ausfall eines Teilstücks durch Umleitungen über benachbarte Leitungen die Verbraucher möglichst wenig trifft.
Die überirdische Konstruktion stört Landschaften und in Teilen auch Naturschutzgebiete. In den meisten Fällen ist, abhängig von der Art der Erdkabel, die elektromagnetische Belastung bei überirdischer Bauweise höher, allerdings potentiell unschädlich. Die Sabotage der Stromversorgung der Tesla-Gigafactory im brandenburgischen Grünwalde durch die linksgrüne „Vulkangruppe“ hat im März gezeigt, daß Freilandleitungen ein einfaches Angriffsziel sind. Strittig ist aufgrund der technischen Entwicklungen bei Erdkabeln, welche Leitungsform die längere Lebensdauer hat. In normalen Boden- bzw. Witterungsverhältnissen erreichen die Kabel eine Lebensdauer von etwa 50 Jahren.
Geringere elektromagnetische Strahlung neuerer Erdkabel
Auch mit verbesserten Techniken ist eine Erdkabelverlegung 2,5mal so teuer wie eine Freilandleitung. Je feuchter oder steiniger die Bodenverhältnisse, desto größer die Diskrepanz bei den Kosten. Bau und Genehmigungsverfahren einer Erdverkabelung dauern signifikant länger als bei einer Freilandleitung, zudem sind Fehleridentifikation, Wartung und Erneuerung wesentlich aufwendiger bezüglich Logistik und Kosten. Die wesentlichen Vorteile der Erdverlegung sind die etwas geringere elektromagnetische Strahlung neuerer Kabel mit veränderten Isolierungen, der verringerte optische Eingriff in die Landschaften sowie die erhöhte Sicherheit der Bevölkerung wie gegen terroristische Angriffe.
Abseits der kurzfristigen Kostenvorteile gibt es keine Vorteile für eine Verlegungsart, die einen gesetzlichen Rahmen erfordert. In stärker bewohnten oder städtischen Gebieten ist eine Erdverlegung zu bevorzugen, für lange, offene Strecken, steinige Böden, hügelige Gelände oder bei Flußquerungen haben Freilandkabel deutliche Vorteile. Für lange Strecken, die in etwa 20 Jahren auf Supraleiter-Technik umgestellt werden sollen, bieten Erdkabel den Vorteil, daß ihre Trassen bereits entwickelt und genehmigt sind, was einen Austausch der Technik vereinfacht. Im Interesse der aktuellen Energiepreisentwicklung bei den Netzentgelten sowie im Sinne einer dringend benötigten Beschleunigung des Trassenbaus in Deutschland müßte allerdings zunächst der gesetzliche Vorrang für Erdverkabelungen abgeschafft werden.
www.hochspannungsblog.at/Wissenswertes/Netzaufbau/Vergleich-Freileitung-Erdkabel
Mehrheit in Deutschland wünscht sich weiter Erdkabel
Die unterirdische Verlegung von Stromleitungen hat in Deutschland überwältigende Zustimmung: 69,4 Prozent von 10.000 Befragten erklärten, sie würden Erdkabel den Vorzug vor Freileitungen geben. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Civey-Umfrage. Nur 18 Prozent befürworteten oberirdische Stromleitungen; 12,6 Prozent waren unentschieden. 80,5 Prozent der Erdkabel-Befürworter sagten, sie würden diese auch dann bevorzugen, wenn Freileitungen billiger wären. 35,5 Prozent der Befragten würden sich sogar „sehr wahrscheinlich“ oder „eher wahrscheinlich“ einer Protestbewegung anschließen, wenn in ihrer Nachbarschaft eine Freileitungstrasse geplant würde. Bei einer neuen Erdkabel-Stromtrasse würden nur 6,3 Prozent dagegen protestieren. Die Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Tennet und TransnetBW verlangen hingegen von der Politik, die geplanten Stromtrassen Ostwestlink (DC 40), Nordwestlink (DC 41) und Südwestlink (DC 42) von Erdkabeln auf Freileitungen umzustellen. Wegen der Energiewende zu Solar- und Windstrom und der Abschaltung von Atom- und Kohlekraftwerken ist ein bundesweiter Netzumbau erforderlich. (fis)
www.netzausbau.de/Vorhaben/de.html