Es beginnt wie eine typisch orientalische Komödie und endet als mystisch aufgeladener Rätselfilm. Schon dieses Kurzresümee des neuen Werks von Faouzi Bensaïdi macht deutlich, daß der Marokkaner, der 2003 in Cannes für seinen Film „Tausend Monate“ ausgezeichnet wurde, hier kein Nullachtfünfzehnprodukt abgeliefert hat. Bereits das erste Bild von „Déserts – Für eine Handvoll Dirham“ ist reichlich ungewöhnlich: Es zeigt eine große Landkarte. Zwei Männer sind zu hören, die sich offensichtlich verfahren haben. Dann zeigt die Kamera, wo die Landkarte liegt: auf der Motorhaube eines abgenutzten Renaults, der irgendwo in der wüsten Einöde einer marokkanischen Gebirgsregion geparkt wurde.
Die beiden Geldeintreiber treffen auf einen Kopfgeldjäger
Damit kehrt Bensaïdi als Filmemacher auf bekanntes Terrain zurück: Schon „Tausend Monate“, das Drama um einen kleinen Jungen, der auf seinen Vater wartet, ohne zu wissen, daß der im Gefängnis sitzt und so rasch nicht zurückkehren wird, spielte in einem Dorf im Atlasgebirge. Die beiden Männer mit der Klapperkiste sind Mehdi (Abdelhadi Talb) und Hamid (Fehd Benchemsi). Beide arbeiten für die dubiose Kreditagentur Taya mit Sitz in Casablanca. Der Auftrag von Mehdi und Hamid lautet, die Ärmsten der Armen, die Bewohner der trostlosen Wüstenlandschaften im Süden Marokkos, unter Androhung von Beugehaft zur Kasse zu bitten. Die Leute, die den wenig willkommenen Besuch bekommen, haben in der Regel Kredite aufgenommen, die sie sich eigentlich gar nicht leisten konnten.
Der erste Schuldner, den Mehdi und Hamid aufsuchen, hat mit einem 20.000-Dirham-Kredit beispielsweise eine verschwenderische Hochzeitsfeier finanziert, 3.000 davon zurückgezahlt – und nun stehen also die beiden Schuldeneintreiber bei ihm auf der Matte. Bensaïdis dröges Drehbuch schickt Mehdi und Hamid von einem gottverlassenen Dorf zum nächsten, was die Kamera für grandiose Panorama-Schnappschüsse, für Landschaftsaufnahmen wie aus einem edlen Bildband über das Atlas-Gebirge, nutzt. Nebenbei erfährt man ein wenig über den familiären und beruflichen Hintergrund der tragikomischen Helden, die statt Geld schon mal eine Ziege oder einen wertvollen Teppich mitnehmen. Auch die beiden Schuldenjäger stehen unter dem Druck prekärer Finanzlagen und privater Probleme.
Reichlich lange hält sich der Regisseur bei der Schilderung der skurrilen Haustürbegegnungen auf. Als Zuschauer fragt man sich mit zunehmender Ungeduld, ob er auch noch etwas anderes zu erzählen hat. Und tatsächlich bereitet Bensaïdi mit dieser üppigen Exposition nur die Begegnung mit einem merkwürdigen Gefangenen vor, einer Gestalt, die auf mystische Weise mit einer orientalischen Erzählung verbunden ist, in der es um zwei Brüder und eine schöne Frau geht, die am Ende denjenigen der beiden Brüder ehelichen muß, den sie nicht liebt.
An einer Tankstelle treffen die beiden Privat-Gerichtsvollzieher einen Kopfgeldjäger, an dessen Motorrad ein Mann gefesselt ist, den sein Bewacher aufgrund einer familiären Tragödie gern an Mehdi und Hamid abtreten würde. Die übernehmen die heikle Fracht dann auch tatsächlich. Aber kurz darauf entkommt ihnen der Delinquent. Parallel entkommt dem Drehbuch die Handlung, Wirklichkeit und Mythos verschwimmen. Gemeinsam mit Mehdi und Hamid irrt der Zuschauer orientierungslos durch den Rest der Geschichte, folgt ihnen, die ihr Auto verloren haben, zu Ruinen einer alten Siedlung auf einer Anhöhe, die den beiden als Zuflucht dient. Dann stoßen sie auch noch auf eine Flüchtlingskarawane, die auf dem Weg nach Italien war, aber dort offensichtlich nicht angekommen ist.
Diese Episode aus dem globalen Migrationschaos dürfte wohl das entscheidende Kriterium gewesen sein, um auch die spendablen Koproduzenten von ZDF und Arte für die mehr als zwei Stunden lange französisch-deutsch-belgisch-marokkanisch-katarische Gemeinschaftsproduktion mit an Bord zu bekommen. Die vielen Beteiligungen machen deutlich, wie schwer es für den Marokkaner gewesen sein muß, für sein extrem eigenwilliges Filmprojekt die nötigen Finanz-mittel zusammenzubekommen. Mag der Film mithin auch weit davon entfernt sein, wie aus einem Guß zu wirken, der Filmtitel „Déserts“, also „Wüsten“, immerhin ist überaus treffend. Denn staubtrockene Landschaften, in monumentalen Aufnahmen überwältigend eingefangen, prägen die Szenerie. Und um die Wüste in den Köpfen der Figuren geht es in den Dialogen. Man sollte für „Déserts“ also auf jeden Fall genug zu trinken mit ins Kino nehmen.
Kinostart ist am 27. Juni 2024