© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/24 / 28. Juni 2024

Die Gondeln tragen Trauer
Nachruf: Mit Donald Sutherland ist einer der ganz Großen aus Hollywoods erster Schauspielgarde abgetreten
Dietmar Mehrens

Eine Schönheit war er nicht, aber ein Großer seiner Zunft allemal: Im Alter von 88 Jahren starb am Donnerstag in Miami der für seine Wandlungsfähigkeit gerühmte Schauspieler Donald Sutherland. Der 1935 in der kanadischen Provinz New Brunswick zur Welt gekommene Darsteller wirkte in über 150 Filmen mit.

Die 86jährige Jane Fonda, die in der Rolle einer Prostituierten gemeinsam mit ihm in Alan J. Pakulas Psychokrimi „Klute“ (1971) einem perversen Triebtäter auf die Spur kam, zeigte sich, ebenso wie viele andere Kollegen, betroffen und ließ via Instagram ausrichten: „Donald war ein brillanter Schauspieler und ein vielschichtiger Mensch.“

Vielschichtig ist auch die treffende Vokabel für einen der Filme, mit denen Sutherland zwei Jahre nach „Klute“ erneut Furore machte: In „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ (1973) von Nicolas Roeg spielen er und seine Filmpartnerin Julie Christie ein infolge des tragischen Unfalltodes ihres Kindes traumatisiertes Ehepaar. Im herbstlich trüben Venedig gerät der von Sutherland verkörperte Restaurator John Baxter in den schicksalhaften Sog einer Mordserie, die auf unerklärliche Weise mit dem Tod seiner Tochter in Verbindung zu stehen scheint. Der unheimliche Psycho-Gruselfilm verstört nachhaltig und sorgte übrigens nicht nur durch die schaurige Geschichte für reichlich Gesprächsstoff, sondern auch durch eine für damalige Verhältnisse ungewöhnlich freizügige Sex-Szene, die zwar in dem Film wie ein Fremdkörper wirkt, seinem Aufstieg zum Klassiker aber nicht geschadet hat – und Sutherlands Karriere auch nicht.

NS-Schurken pflastern seinen Weg in den Filmolymp

Während der Dreh mit Julie Christie also ziemlich heiß war, brauchte er für „Die Bäreninsel in der Hölle der Arktis“ (1979) Handschuhe und Winterjacke. In dem Film geht es um einen auf der Bäreninsel bei Spitzbergen verborgenen Nazi-Goldschatz. Und überhaupt: NS-Schurken pflastern seinen Weg in den Filmolymp: Mit dem desillusionierenden Kriegsfilm „Das dreckige Dutzend“ hatte er 1967 seinen ersten bedeutenden Streifen abgeliefert. Der damals 32jährige spielte an der Seite von Lee Marvin und vielen weiteren Stars einen Militärhäftling, der sich zusammen mit elf Kameraden im hochbrisanten Spezialeinsatz rehabilitieren darf: Sie sollen 1944 in der Bretagne Offiziere der Wehrmacht liquidieren. Am Ende der heiklen Mission sind fast alle Helden tot.

In „Stoßtrupp Gold“ (1970) und „Der Adler ist gelandet“ (1976) ließ sich der überzeugte Pazifist und Antikriegsaktivist für weitere militärische Himmelfahrtskommandos rekrutieren. In Robert Altmans Militärsatire „MASH“ (1970) ironisierte er das Genre des Kriegsfilms. Die Abkürzung steht für „Mobile Army Surgical Hospital“, ein mobiles Feldlazarett während des Koreakriegs, in dem nicht alles rund läuft. Als faschistoider Bösewicht war er in Bernardo Bertoluccis monumentalem Geschichtsepos „1900“ (1976) über Genese und Auswirkungen des italienischen Faschismus zu sehen. Sutherland spielte im Schatten der Hauptdarsteller Robert De Niro und Gérard Depardieu den Mussolini nacheifernden Gutsverwalter Attila. Auch in der Ken-Follett-Verfilmung „Die Nadel“ (1981) wird es dem Zuschauer nicht ganz leicht gemacht, Sympathien für die von dem Kanadier verkörperte Hauptfigur zu entwickeln, einen deutschen Spion, der an der britischen Küste in geheimer Mission unterwegs ist und dort – mit Hilfe einer tückischen Stichwaffe – über Leichen geht.

Zu den berühmten Regisseuren, die Sutherland vor die Kamera holten, gehören ferner Federico Fellini („Fellinis Casanova“, 1976), Claude Chabrol („Blutsverwandte“, 1978), Oliver Stone („JFK – Tatort Dallas“, 1991), Wolfgang Petersen (für das Pandemie-Drama „Outbreak – Lautlose Killer“, 1995) sowie die Schauspielkollegen Robert Redford („Eine ganz normale Familie“, 1980) und Clint Eastwood, sein Filmpartner aus „Stoßtrupp Gold“, mit dem es zum Jahrtausendwechsel besonders hoch hinaus ging: Als Besatzungsmitglied der „Space Cowboys“ (2000) ließ sich Sutherland zusammen mit Eastwood, James „Rockford“ Garner und Tommy Lee Jones ins Weltall schießen.

Der 2011 auf dem legendären Walk of Fame mit einem Stern Geehrte wurde seltsamerweise nie für einen Oscar nominiert. 2018 erhielt er ihn für sein Lebenswerk. Auch in vorgerücktem Alter war der vielseitige Mime, immer öfter in kleineren Rollen, ein gefragter Star. In der „Tribute von Panem“-Reihe nach den Romanen von Suzanne Collins spielte er den despotischen Präsidenten Snow, in „The Italian Job – Jagd auf Millionen“ (2003) den Vater einer von Charlize Theron verkörperten Panzerknackerin. In dem Ganovenfilm muß er jedoch schon nach wenigen Filmminuten das Zeitliche segnen: Ein skrupelloser Bandit erschießt ihn kaltblütig.

Weniger dramatisch war nun Sutherlands Abgang von der Weltbühne. „Ein erfülltes Leben“, kommentierte sein Sohn Kiefer, der mit Filmerfolgen wie „Flatliners“ (1990) sowie der Echtzeit-Agentenserie „24“ in die Fußstapfen des Filmidols trat, den Tod seines Vaters auf X. „Er liebte, was er tat, und tat, was er liebte, und mehr kann man nicht verlangen.“