Die anhaltende Antisemitismus-Debatte läßt sich – mit Blick auf den jüngsten ESC-Gewinner von Malmö und dessen Versteckspiel bei den palästinensischen Pressure Groups – auf eine prägnante Formel bringen, die auch Kleinkinder verstehen: „Findet Nemo!“ Dessen so genderfluider und albern wirkender Auftritt, der aber gleichzeitig durch die stimmliche und selbstbewußte Präsenz überzeugte, wirkte seltsam – wie ein unwirklicher Nomos Nemos. Früher endete solch eine „Performance“ im wörtlichsten Sinn kopflos – so wurde dessen Vorgänger oder vielmehr dessen Vorgängerin, Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel (1687–1721), für ihre außergewöhnliche „Performance“ auf dem Fischmarkt Halberstadts enthauptet. Also zu Füßen der Martinikirche, Halberstadts Hort der Revolution von 1989 und Heimstatt einzigartiger Kunstausstellungen und Jazzkonzerte göttlicher Improvisation bis in die Neunziger, einem Ort, der für mich seltsam seelenlos geworden ist. Keiner von damals ist mehr anzutreffen. Die Aura christlicher Heilsgewißheit in diesem sakralen Raum, wenngleich seit Jahrzehnten schon keine normalen Gottesdienste mehr stattfanden, hat sich heute für mich verflüchtigt.
Die letzte Frau, die in Europa wegen sogenannter Unzucht zwischen Frauenhingerichtet wurde.
Dafür erlebt hier jetzt Catharina Linck ihre vorübergehende Auferstehung. Sie war die letzte Frau, die in Europa wegen sogenannter Unzucht zwischen Frauen hingerichtet wurde. In unglaublich selbstbewußter Manier hatte sie als Mann gelebt – um so leben und lieben zu können, wie es Frauen seinerzeit verboten war. Bekannt wurde dieses Schicksal erst durch das Buch der Literaturwissenschaftlerin Angela Steidele „In Männerkleidern“ von 2004. So hatte Linck das Waisenhaus der Franckeschen Siftungen verlassen oder besser geflohen, um mit 15 Jahren als Mann zu leben, zunächst als wandernder Prophet einer Sekte, danach als Soldat in verschiedenen Armeen kämpfend, unter anderem als Musketier im Spanischen Erbfolgekrieg. Dabei hurt und liebt sie und wechselt die Konfessionen, wie es gerade kommt. Gewissermaßen ein Pokerkönig des Rollenspiels. In Halberstadt ehelicht sie, also Anastasius Rosenstengel, 1717 eine Frau in der Kirche St. Paul, die über zweihundert Jahre später beim Inferno des anglo-amerikanischen Bombenangriffs 1945 ausbrennt und deren noch immer stattliche Ruine 1969 trotz Bürgerprotesten gesprengt wird, um ebenda die Kreisdienststelle der DDR-Staatssicherheit zu errichten, dem „Schild und Schwert der Partei“, kurz MfS. Schließlich wird Linck/Rosenstengel von der Schwiegermutter denunziert und ausgerechnet vom Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. zum Tode verurteilt, dessen homoerotische Anwandlungen nicht nur die „Langen Kerle“ bezeugten.
Dieses unglaubliche Leben der Catharina Linck erfährt jetzt seine dramatische Wiedergeburt in dem von Marcus Everding geschriebenen und von der Regisseurin Rosmarie Vogtenhuber-Freitag inszenierten Stück „Ich bin dann Er“, das am 28. Juni seine Uraufführung erlebt (weitere sieben Termine bis 24. August 2024). Infos unter www.ich-bin-dann-er.de