Nachdem Wilhelm II. am 27. Juli 1900 vor Ausschiffung des Expeditionskorps nach China seine „Hunnenrede“ in Bremerhaven hielt, versuchte Außenstaatssekretär Bernhard von Bülow den Druck der schlimmsten Passagen zu verhindern, um Schaden vom Kaiserreich fernzuhalten. Doch ein Wilhelmshavener Lokalblatt dokumentierte die unredigierte Fassung: „Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht. Führt eure Waffen so, daß auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen.“ Damals war das Reich der Mitte in Agonie und Chaos versunken. Europäer und Japaner nutzten das aus – das älteste lebende Kulturvolk wird das nie vergessen.
Sämtliche „Plätze an der Sonne“ gingen verloren. Das deutsche Tsingtao mußte schon im November 1914 an die Japaner übergeben werden. 1949 übernahmen die Kommunisten die Stadt. Und seit die KP in der Wirtschaft nicht mehr auf Marx und Mao setzt, ist das 1,4-Milliarden-Reich wieder erwacht: Mit einem Bruttoinlandsprodukt von umgerechnet 17,7 Billionen Dollar liegt es vor der EU (17 Billionen) und Deutschland (4,4 Billionen). Der kaiserliche Jargon ist Robert Habeck selbstverständlich genauso fremd wie „preußische Tüchtigkeit, Manneszucht und Disziplin“ oder gar die NS-Ideologie von Opa und Urgroßvater. Aber wie vor 124 Jahren glaubt der nordische Journalistinnenschwarm unverdrossen daran, auf seiner China-Visite große Völker belehren zu können. Als grüner Vizekanzler eines freiwillig im Abstieg befindlichen Industrielandes kann er tatsächlich nur noch „mit Wattebäuschchen rumwerfen und Pfötchen geben“.
Das geplante Gespräch mit Regierungschef Li Qiang wurde folgerichtig vom vergrätzen Gastgeber abgesagt. Und es wird die Zeit kommen, wo es kein Deutscher mehr wagt, einen Chinesen – im übertragenen Sinne – „scheel anzusehen“. Über Zollfragen verhandelt ohnehin der jeweilige EU-Handelskommissar mit seinem chinesischen Amtskollegen. Bis zum Amtsantritt der Ampel-Regierung stand immerhin noch meist das Wohl der deutschen Exportindustrie im Mittelpunkt des Handelns von Wirtschaftsministerium und Auswärtigem Amt. Seit dem Ukraine-Krieg glaubt man in Berlin, „große überseeische Aufgaben“ schultern zu können. Doch die Mittel gibt es längst nicht mehr.