© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/24 / 28. Juni 2024

Lega-Chef Matteo Salvini läßt Rom erbeben
Italien: Die Unabhängigkeitsbewegung des Nordens setzt mit der Erweiterung des Autonomiegesetzes Zeichen/ Spagat für Giorgia Meloni
Fabio Collovati

Diese Debatte in den beiden Parlamentskammern war sogar für italienische Verhältnisse intensiv. Es kam zu Tumulten, Rangeleien und verbalen Schlagabtauschen. „Die Regierungspartei kann sich in Brüder Halb-Italiens umbenennen“, spottete ein Oppositionspolitiker in Richtung der „Brüder Italiens“ von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Vertreter der Parlamentsminderheit hatten die italienische Fahne mitgebracht, um für die Einheit des Landes zu demonstrieren. „Das ist schon mal ein Fortschritt. Früher hatten sie ja eher die roten Fahnen dabei“, höhnte es da von der Regierungsbank. 

In der vergangenen Woche billigte nach dem Senat auch die Abgeordnetenkammer in Rom das Autonomiegesetz von Ministerpräsidentin Meloni. Dieses sieht vor, daß alle Regionen mit dem Staat Vereinbarungen treffen können, um bestimmte Bereiche autonom zu verwalten. Nach einer Marathonnacht in der Abgeordnetenkammer kommt das zweite und letzte Ja zum Gesetzentwurf.

Die Fraktion der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung sang nach der Verabschiedung die Nationalhymne. Parteichef Giuseppe Conte sprach von einem Gesetz der Spaltung Italiens und kündigte erbitterten Widerstand im Parlament und auf der Straße an. Elly Schlein von der Sozialdemokratischen Partei sprach von einer Nacht der Schande. Das Gesetz treibe einen Keil zwischen arme und reiche Regionen. Die Partei kündigte ein Volksbegehren an, um die soeben verabschiedete Reform rückgängig zu machen. 

Die weniger wohlhabenden Regionen im Süden äußerten die Sorge, daß sich der Staat aus wichtigen Bereichen wie Gesundheit und Bildung zurückziehen könnte. Sie rechnen damit, daß künftig weniger Geld von der Zentralregierung zu ihnen gelangt und sich das Wohlstandsgefälle zwischen Nord- und Süditalien weiter verschärft. Der Abstimmungssieg der Mitte-Rechts-Regierung ist vor allem ein Sieg von Matteo Salvini, der seit Monaten ums politische Überleben kämpft. 

„Es ist die Krönung jahrelanger Kämpfe“

Seine Lega – bis 2017 Lega Nord – stammt aus der Unabhängigkeitsbewegung des Nordens. Vor allem die Regionalpräsidenten in den wirtschaftsstarken Gegenden haben auf das neue Gesetz gedrängt. „Meine Knie zittern vor Aufregung, der Traum meines Großvaters hat sich verwirklicht. Es ist die Krönung jahrelanger politischer Kämpfe, in Institutionen und auf Plätzen zusammen, mit einer Stimme, die Geschichte für das ganze Land schreibt“, erklärte der zuständige Minister, Roberto Calderoli, von der Lega. Das neue Gesetz der „differenzierten Autonomie“ sieht die Möglichkeit einer erweiterten Selbstverwaltung für alle Regionen vor. In 23 Politikfeldern von Tourismus bis hin zu Umwelt, Energie und Außenhandel kann künftig jede Region mit der Regierung in Rom über mehr  Kompetenzen verhandeln. Einige Regionen haben dies sogar schon getan. Es sind vor allem die, in denen die Lega immer noch Volkspartei ist. Vorgesehen ist zudem, daß ein gewisser Grad an Grunddiensten in allen Zuständigkeitsbereichen gewährleistet werden muß. Diese müssen allerdings noch ausgehandelt werden. 

Für Meloni ist das Gesetz ein schwieriger Spagat. Denn sie hat auch mächtige Hochburgen im armen Süden. Andererseits hätte sie damit rechnen müssen, daß Salvini die Regierung platzen lassen würde. „Sie hat Italien aufgeteilt. Das Geld für die Lega, das Amt der Ministerpräsidentin für die Brüder Italiens“, sagte Oppositionspolitikerin Schlein.