Rishi Sunak, Premierminister seiner Majestät, dürfte im Moment schlaflose Nächte haben. Der Kandidat der Konservativen für die anstehende vorgezogene Parlamentswahl am 4. Juli hat nicht nur einen Wettskandal am Hals, in den unter anderem einer seiner Leibwächter verwickelt ist und bei dem auf den Ausgang politischer Entscheidungen gewettet wurde. Er gilt auch unter seinen Wählern als unfähig, ihre drängendsten Probleme anzugehen. Laut einer neuen YouGov-Umfrage sind 80 Prozent der Briten der Meinung, daß seine Regierung die Krise der Lebenshaltungskosten schlecht bewältigt. Lediglich 16 Prozent sind der Meinung, das Kabinett Sunak habe die Krise unter Kontrolle. Besonders bitter für Sunak und seine Partei, die seit Margaret Thatcher viel auf ihre Kompetenz in der Wirtschaftspolitik hält, dürfte auch sein, daß die Zahlen seit Sunaks Amtsantritt im Oktober 2022 weitgehend unverändert sind.
Doch es kommt noch schlimmer: Zu denjenigen, die den Daumen nach unten senken, gehören 62 Prozent der Tory-Wähler von 2019. In anderen Worten: Sunak ist im Begriff, genau die Wähler zu verlieren, die Boris Johnson 2019 das beste Ergebnis seit mehreren Jahrzehnten beschert haben.
Labours LGBTQ-freundliche Politik stößt viele Anhänger ab
Doch auch für die Opposition unter Labour Chef Keir Starmer läuft es nicht rund. Seine Partei wird zunehmend für ihre besonders regenbogenfreundliche Kultur- und Sozialpolitik kritisiert. Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling wirft der Labour-Partei vor, Frauen im Stich zu lassen und eine „abweisende und oft beleidigende“ Haltung gegenüber den Anliegen von Frauen in bezug auf Transgender-Themen einzunehmen. Seit langem kritisiert die erfolgreiche Schriftstellerin die aus ihrer Sicht „frauenfeindliche“ Position der britischen Linken in dieser Angelegenheit.
Der Schattenminister für Gesundheit und Soziales, Wes Streeting, sah sich geradezu genötigt, auf die harsche Kritik einzugehen. Er sei „sehr betrübt“ über die Kritik, es sei „wichtig, daß wir uns ernsthaft mit ihren Argumenten und Bedenken auseinandersetzen“, so Streeting im Radio. „Wir haben eindeutig mehr zu tun, um das Vertrauen der Menschen, das wir in dieser Frage verloren haben, wiederherzustellen.“ Beim Versuch, den Interessen von Menschen, die angeblich mit ihrem angeborenen Geschlecht nicht zufrieden sind, nachzukommen, sei es „manchmal zu Spannungen“ gekommen: „In unserem Streben nach Inklusion sind wir manchmal in eine Situation geraten, in der sich biologische Frauen ausgeschlossen gefühlt haben.“
Dennoch gilt die Arbeiterpartei als Favorit in den anstehenden Wahlen. Eine Rolle, die sich das Kampagnenteam von Keir Starmer allerdings mit Nachdruck verbittet. In einem Kommentar des Kampagnenchefs der Roten, Pat Mc-Fadden, verkündet dieser, die Wahl sei „keineswegs entschieden“. Sein Kalkül: Die schlechten Umfragewerte für die Tories könnten noch Wähler mobilisieren, während Labour-Anhänger, die auf die guten Umfragewerte vertrauen, zu Hause bleiben würden.
Tatsächlich weist McFadden auf eine Besonderheit hin: Bis zu 20 Prozent der Wähler, die an Umfragen teilnehmen, geben an, daß sie sich noch nicht entschieden haben oder unsicher sind, wie sie wählen sollen.
Das Zweiparteiensystem gehört der Vergangenheit an
Im britischen Wahlsystem können diese Stimmen schnell der Unterschied zwischen Sieg und Niederlage sein. In etwa 175 Wahlkreisen ist nach Aussage eines Umfrageinstituts der Unterschied zwischen beiden Parteien zu gering, um den Sitz klar zuordnen zu können.
Wer fest darauf vertraut, daß viele Bürger dieses Mal auch endlich das Zweiparteiensystem abwählen, ist Reform-UK-Spitzenmann Nigel Farage. Der ehemalige Ukip-Chef tourt vor allem durch die Gegenden, die in der Vergangenheit zuverläßig und in großer Zahl Parteien rechts der Tories gewählt haben, besonders im Süden des Landes. Zuletzt kam auch er unter Feuer der großen britischen Medienhäuser. Farage hatte in einem BBC-Interview der Nato-Osterweiterung eine Mitschuld an der Eskalation der Lage gegeben. Wer „den russischen Bären mit einem Stock“ reize, der müsse sich nicht wundern, wenn es eine Antwort gibt. Eine Aussage, die ihm von Premierminister Sunak den Vorwurf des „Appeasement“ einbrachte. Der Vorsitzende der Labour-Partei, Keir Starmer, bezeichnete die Äußerungen als „schändlich“, während der Vorsitzende der liberalen Libdem-Partei, Ed Davey, Farage als „Apologet von Putin“ bezeichnete. Tatsächlich könnte sich gerade der Liberale Davey als lachender Vierter herausstellen. Einzelne Umfragen deuten darauf hin, daß besonders in Südengland viele Wähler, denen Farage zu problematisch ist, dieses Mal für die Liberaldemokraten stimmen könnten. Ein dringend benötigter Anschub für die Liberalen, die 2019 ein unbefriedigendes Ergebnis einfuhren.