Es dürfte einer der größten Polizeieinsätze sein, den Essen in den vergangenen Jahrzehnten gesehen hat. Hunderte Polizisten werden – mitten während der Fußball-Europameisterschaft – zusammengezogen, um den AfD-Bundesparteitag vor gewalttätigen Linksextremisten zu schützen. Denn neben der Stadt, den Gewerkschaften und Kirchen mobilisiert vor allem die Antifa-Szene. Allein aus Berlin werden zahlreiche Busse mit militanten AfD-Gegnern erwartet.
Die Stadt selbst war damit gerichtlich gescheitert, das Parteitreffen noch zu verhindern (JF 26/24). „Wir werden die Verhinderung selbst in die Hand nehmen müssen. Jetzt erst recht! Nur wir können die rechtsextreme AfD jetzt noch stoppen!“, heißt es etwa vom Bündnis „Widersetzen“, dem sich zahlreiche linksextreme Gruppierungen angeschlossen haben. Aber auch die Grüne Jugend ist dabei.
Doch nicht nur draußen vor der Halle dürfte es hitzig werden, auch drinnen erwarten viele heftige Auseinandersetzungen. Eigentlich sollte der Parteitag vor den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, bei denen die AfD in den Umfragen vorne liegt, innerparteilich geräuschlos über die Bühne gehen. So jedenfalls war noch Anfang des Jahres die Erwartung in der Partei. Vor allem, weil man mit einem glänzenden Ergebnis bei der EU-Wahl rechnete. Bis zu 23 Prozent waren der AfD in Umfragen vorhergesagt worden. Selbst so mancher Kandidat auf den Listenplätzen 25 plus machte sich noch Hoffnungen.
Am Ende legte die Partei zwar 4,9 Punkte zu und erreichte 15,9 Prozent, doch viele hatten sich eben mehr erhofft. Wer die Schuld an dem verglichen mit den Erwartungen eher schwachen Ergebnis hat, dürfte nun entgegen der Planung der Parteistrategen doch noch eine größere Rolle auf dem Parteitag in Essen spielen. Eigentlich steht auf der Tagesordnung in erster Linie die Wahl eines neuen Bundesvorstands. Doch ob danach oder davor noch andere Themen behandelt werden, liegt ganz an den Delegierten. Und die haben offenbar Gesprächsbedarf, wie das vollständige Antragsbuch zeigt, das der JUNGEN FREIHEIT vorliegt. Das steht zwar grundsätzlich auch online, allerdings ohne die Unterstützer. Und auf die kommt es innerparteilich eben immer an. Klar ist: Der Bundesvorstand und insbesondere die beiden Bundessprecher Alice Weidel und Tino Chrupalla versuchen im Vorfeld, die größten Streitpunkte auszuräumen.
Im Moment kann er es keinem recht machen
Beispiel ID-Partei: Nachdem die AfD aus der gemeinsamen ID-Fraktion mit dem Rassemblement National, der FPÖ, der Dänischen Volkspartei und der Lega aus Italien ausgeschlossen wurde, stellt sich die Frage, was nun mit der dazugehörigen europäischen Partei passiert. Der war die AfD erst auf dem jüngsten Aufstellungsparteitag für die EU-Liste in Magdeburg im vergangenen Jahr beigetreten. Weidel persönlich hatte vehement dafür geworben. Weidels Intimfeind Dirk Spaniel wiederum – Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg – beantragte den Austritt aus der gleichnamigen Partei. „Die AfD sollte erkennen und anerkennen, daß die politischen Interessen völlig verschieden sind. Meloni als Politikerin, aber auch Ungarn oder Polen insgesamt sind vom EU-Geld abhängig, Le Pen ordnet alles ihrer Präsidentschaftskandidatur unter“, heißt es da. Der Bundesvorstand beschloß nun am Montag, diesen Schritt vorwegzunehmen. Spaniels Antrag wäre damit überflüssig.
Überhaupt dürfte die Aufarbeitung der EU-Wahl und die von der Parteispitze gewollte Gründung einer Fraktion, bei der die AfD die führende Position einnimmt, für Diskussionsstoff sorgen. Laut JF-Informationen treibt die EU-Delegation der Partei unter René Aust unter dem Druck der Stimmung in Teilen der Partei die Bildung einer Fraktion voran, die selbst von Mitgliedern des Bundesvorstands als „Hooligan-Fraktion“ bezeichnet wird. Sie ist das, was der von der Parteispitze geschaßte Spitzenkandidat Maximilian Krah von Anfang an innerparteilich als „Plan B“ verkaufte und was schon damals für Kopfschütteln sorgte.
Nun wird über eine Fraktion mit weitgehend unbekannten osteuropäischen Kleinparteien verhandelt, deren ideologische Gemeinsamkeit vor allem der Wunsch nach einem besseren Verhältnis mit Rußland ist. Genannt werden etwa die Se Acabó La Fiesta (Die Party ist vorbei) aus Spanien, die bisher nicht im Parlament vertreten ist und weitgehend nur digital existiert. Auch die polnische „Konfederacja“ wird genannt. Sie machte zuletzt Schlagzeilen, als einer ihrer Abgeordneten eine jüdische Menora mit einem Feuerlöscher besprühte. Ob sich diese Fraktion wirklich bildet, steht allerdings erst nach dem Parteitag fest, der nach JF-Informationen – ohne einen Beschluß dazu zu fassen – darüber diskutieren wird. Laut Informationen dieser Zeitung würde Krah dann doch auch wieder eine herausgehobene Rolle spielen. Er wird zwar weiterhin nicht in die Delegation aufgenommen, könnte aber stellvertretender Vorsitzender der Fraktion sein, deren Name „Die Souveränisten“ lauten könnte. Krah hätte damit sein Ziel erreicht.
Auf dem Parteitag könnte das Thema durch einen Antrag des bayerischen Landesvorstands für Debatten sorgen. Der hat eine Resolution unter dem Titel „Mut zu Deutschland“ eingebracht, in der es aber weniger um Deutschland, sondern viel eher um die Partei selbst geht. Darin heißt es: „Die Alternative für Deutschland versteht, daß auf Lügen und Verdächtigungen basierende Schmutzkampagnen gegen ihre von der Parteibasis gewählten Spitzenkandidaten – aufgrund fehlender Gegenargumente – die einzig verbliebene, demokratiefeindliche Waffe sind, um dem Ruf der gesamten Partei zu schaden und uns innerparteilich zu spalten.“
Das geht vor allem gegen Weidel und Chrupalla, die Krah nach immer neuen nicht abgesprochenen Alleingängen faktisch als Spitzenkandidaten abgesetzt hatten. Und es geht auch um die bayerische Fraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner, der Ambitionen um einen Posten im Bundesvorstand nachgesagt werden.
Überhaupt spielt Außenpolitik eine dominante Rolle. Gleich zwei große Resolutionen sollen diskutiert werden. Die Resolution „Für ein Europa des Friedens“, die ganz auf Linie von Chrupalla liegt und die AfD als „Friedenspartei“ festlegen möchte, lehnt – ohne Rußland beim Namen zu nennen – die Sanktionen gegen Moskau grundsätzlich ab. Ausgearbeitet wurde sie nach JF-Informationen maßgeblich vom sächsischen AfD-Abgeordneten Matthias Moosdorf, der in der Bundestagsfraktion als Einpeitscher für einen betont rußlandfreundlichen Kurs gilt und damit immer wieder auf Widerstände in den eigenen Reihen trifft.
Anders nuanciert ist ein Antrag aus dem immer einflußreicher werdenden Netzwerk um den Bundestagsabgeordneten Sebastian Münzenmaier, der von zahlreichen prominenten Parteimitgliedern unterstützt wird – unter anderem von Alice Weidel und dem Delegationsleiter im EU-Parlament René Aust. Doch auch der Chef der Jungen Alternative, Hannes Gnauck, die Berliner Landeschefin Kristin Brinker und der Vize-Chef der Partei in Hamburg, Krzysztof Walczak, stehen darauf. „Den russischen Angriff auf die Ukraine verurteilen wir klar“, heißt es da etwa.
Die Grundlage für die Politik gegenüber den USA seien demnach nicht „ideologische, antiamerikanische Ressentiments“, sondern „die nüchterne Feststellung, daß es sich bei den USA um eine Großmacht handelt, die zwar unser Partner ist, die ihre Interessen aber im Zweifel auch gegen den Willen Deutschlands durchzusetzen bereit ist“. Um die Parteibasis und insbesondere Chrupalla nicht zu sehr zu brüskieren, der den Antrag nicht unterstützt, finden sich dann auch Passagen, in denen es heißt: „Zur Wahrheit gehört auch, daß die Außenpolitik verschiedener westlicher Staaten der vergangenen Jahre die Eskalation in der Ukraine begünstigt hat.“
Wie so oft bei der Partei will die Spitze den Konflikt durch einen Kompromiß lösen. Moosdorf und Nolte, so will es die auf Harmonie bedachte Parteispitze, sollen sich jetzt zusammensetzen und ihre weit auseinanderliegenden Anträge irgendwie zusammenfassen. Doch all das, auch die vielen Anträge zum Schiedsgericht oder zur Ausweitung der Delegiertenzahl von jetzt 600 auf bis zu 1.200, sind eigentlich Beiwerk. Im Mittelpunkt des Parteitags könnte einer stehen, der das selbst vor kurzem noch nicht erwartet hätte: Tino Chrupalla.
Der Frust über das doch recht schwache EU-Ergebnis, der Umgang mit der Causa Krah und die in den Augen vieler fehlende Professionalisierung entlädt sich vor allem bei ihm. Von allen Seiten. Die einen werfen dem Parteichef vor, nicht hart genug gegen Krah vorgegangen zu sein, die anderen werfen ihm vor, den EU-Spitzenkandidaten verraten zu haben. Im Moment kann er es keinem so richtig recht machen.
Das liegt auch daran, daß Chrupalla innerparteilich sehr sichtbar ist. Wie kaum ein anderer Parteichef tingelt der umtriebige Sachse durch die Bundesrepublik und die Kreisverbände der Partei. Selbst seine innerparteilichen Kritiker erkennen das an. Auch in der Bundestagsfraktion hält er den Kopf hin, schaltet sich in Debatten ein, zu denen seine Co-Chefin lieber schweigt oder gar nicht erst anreist.
Was dem Parteichef innerparteilich wirklich zu schaffen machen dürfte, ist das Damoklesschwert der „Einzelspitze“. Denn unabhängig davon, wie sich der Parteitag zu jenem weitreichenden Antrag verhält, der für die übernächste Vorstandswahl 2026 die Kombination aus Einzelspitze plus dem – erst einzuführenden – Posten eines Generalsekretärs vorsieht, geistert noch ein anderes Szenario herum: Was, wenn schon jetzt eine Einzelspitze, möglicherweise nur Alice Weidel, gewählt wird? Laut Satzung wäre dies möglich.
Daß Chrupalla schon auf dem jetzigen Parteitag keine Mehrheit findet, gilt als unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. „Er wird einen Dämpfer bekommen“, heißt es. Allerdings war bereits seine Wahl auf dem vergangenen Bundesparteitag in Riesa mit nur knapp mehr als 50 Prozent äußerst gedämpft. Sollte er im ersten Wahlgang nicht durchgehen, gilt es als ausgeschlossen, daß er dann noch einmal antritt. Ob jemand dann – und wenn, wer – zweiter Parteichef neben Weidel wird, deren Wahl als sicher gilt, ist völlig offen.
Das aber gilt seit jeher insgesamt für Parteitage der AfD. Nicht mal die sonst gut unterrichteten Strippenzieher wagen sich vorab mit klaren Prognosen aus der Deckung. Insofern könnte diese 15. Zusammenkunft am Wochenende wenig überraschend die eine oder andere Überraschung bieten.