© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/24 / 28. Juni 2024

Ohne Judas keine Rettung
Urteil: Ein Gedenkstätten-Verein will den AfD-Politiker Stephan Brandner rauswerfen – und kassiert vor Gericht eine deutliche Klatsche
Jörg Kürschner

Ausgerechnet! Ein Gedenkstättenverein, der politisch Verfolgte aus der NS- und der SED-Zeit unterstützen will, schließt selbst ein politisch unbequemes Mitglied aus und scheitert damit vor Gericht. Das Amtsgericht Gera hat den Rauswurf des AfD-Politikers Stephan Brandner aus dem Verein „Gedenkstätte Amthordurchgang Gera“ für nichtig erklärt. Der in der ostthüringischen Stadt direkt gewählte Bundestagsabgeordnete bleibt aktives Mitglied des Vereins.

Rückblick. Seit 1997 thematisiert der als gemeinnützig anerkannte Verein die Unterdrückung Andersdenkender in den zwei deutschen Diktaturen. Ausstellungen und Lesungen werden in dem ehemaligen Untersuchungsgefängnis organisiert, Zeitzeugengespräche geführt und dokumentiert, politische Verfolgte betreut und beraten. 2005 ist Brandner, damals noch CDU-Mitglied und als Rechtsanwalt in Gera tätig, dem Verein beigetreten. Im Gründungsjahr 2013 wechselte der heute 58jährige zur AfD. Im Jahr darauf wird er Mitglied des thüringischen Landtags, seit 2017 gehört er dem Bundestag an. Außerdem ist Brandner seit 2019 Mitglied des Geraer Stadtrats.

Eine feine Klinge in der politischen Auseinandersetzung führt der AfD-Mann eher nicht. Im Gegenteil. Und erregte prompt das Mißfallen des Gedenkstättenvereins. Dessen Vorsitzender Frank Karbstein, in der DDR wegen „staatsfeindlicher Hetze“ inhaftiert, ließ 2020 die Vereinssatzung komplett überarbeiten, um Mitglieder wie Brandner loszuwerden (JF 4/22). Genügte vorher die in Satzungen übliche Formulierung, wer „in erheblichem Maße gegen die Vereinsinteressen“ verstoße, können seitdem politische Haltungen, als erstes werden „rechtsextreme“ genannt, zum Rauswurf führen.

„Grobe Unkenntnisse über geschichtliche Zusammenhänge“

Auf Karbsteins Betreiben wurde Brandner Ende 2021 ausgeschlossen. Der fünfköpfige Vorstand und eine dürftig besuchte Mitgliederversammlung hatten entsprechende Beschlüsse gefaßt. Nach der neuen Satzung ist ein Rauswurf zulässig, „wenn das Mitglied rechtsextreme, linksextreme, rassistische, antisemitische oder andere menschenverachtende Haltungen innerhalb oder außerhalb des Vereins äußert oder Mitglied oder Unterstützer*in in einer Partei oder Gruppierung ist, die diese Positionen vertritt“. Bereits Brandners Mitgliedschaft in der AfD rechtfertige dessen Ausschluß.

Der AfD-Politiker reichte umgehend Klage gegen den Ausschluß ein. Mit Erfolg. Das Urteil ist eine bittere Niederlage für den Vereinschef und seinen Vorstand. Eine „Vollklatsche“. Der Verein hätte prüfen müssen, „ob auch Mitglieder von Nachfolgeorganisationen der Parteien Mitglied sein dürfen, die aktiv das Unterdrückungssystem im Zeitraum von 1933 bis einschließlich 1989 aufrechterhalten haben“, rügte das Gericht und nennt ausdrücklich die DDR-Staatspartei SED und die Ost-Blockpartei CDU. Diese „eventuell bestehende Parallelität zu den Vorgängerorganisationen“ sei nicht untersucht worden. Fazit: Der Ausschluß Brandners verstoße gegen das Willkürverbot des Grundgesetzes. Dessen AfD-Mitgliedschaft „kann nicht ernsthaft herangezogen werden, einen Konflikt mit dem Satzungszweck des Beklagten zu konstruieren“, heißt es in dem Urteil.  

Der Vorstand hatte Brandners Ausschluß auch damit begründet, dieser bediene antisemitische Ressentiments. Er habe die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Sänger Udo Lindenberg als „Judaslohn“ verunglimpft. Diese Wertung lasse „auf grobe Unkenntnisse des Beklagten über geschichtliche und religiöse Zusammenhänge schließen, weist das Gericht den Vereinsvorstand zurecht. So sei Judas in der biblischen Überlieferung kein „schnöder Verräter“ , sondern sein Handeln „ein wichtiger Mosaikstein bei der Begründung der neuen christlichen Lehre“ gewesen, die es ohne die Kreuzigung Jesu nicht gäbe.

Kläger Brandner fühlt sich durch das Urteil bestätigt. „Daß ausgerechnet ein Verein, der an das Leid politisch Verfolgter in einer braunen und einer roten sozialistischen Diktatur erinnern will, versucht hat, mich rauszuschmeißen, spricht für den Zustand unseres Landes. Es wurde versucht, übelste Vorwürfe zu konstruieren, um im sogenannten ‘Kampf gegen Rechts’ Punkte zu sammeln“, betonte er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Nach seinen Informationen sei dem Verein mit einer staatlichen Mittelkürzung gedroht worden, wenn er nicht ein Ausschlußverfahren gegen ihn einleiten würde. Der Gedenkstättenverein ließ eine Anfrage der JF unbeantwortet. Gegen das Urteil ist Berufung möglich.