© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/24 / 21. Juni 2024

Der Flaneur
Unter Wahlfälschern?
Paul Meilitz

Nach einigen Jahren der ehrenamtlichen Faulenzerei stellte ich mich wieder als Wahlhelfer zur Verfügung. Im Briefwahllokal einer großen deutschen Stadt kam ich zum Einsatz. Ein Raum, drei Tischreihen, drei Wahlbezirke. 

Jeweils sechs Helfer waren angetreten, um Volkes Stimme in Zahlen zu verwandeln. Dann ging es los: Aufschlitzen der Briefumschläge, Abgleich der Wählernummern, Überprüfen auf das Vorhandensein einer Unterschrift. Die Umschläge mit den Wahlzetteln wanderten anschließend zurück in den Container. Das Auszählen durfte erst um 18 Uhr beginnen. Zwischenzeitlich wurden die Anzahl der gültigen Stimmen ermittelt und dreimal nachgezählt.

Die junge Wahlleiterin macht aus ihrer Gesinnung kein Geheimnis und berichtet von der „letzten Wahl“.

An meinem Tisch ging es sachlich zu. Politische Kommentare waren nicht zu vernehmen. Nicht so am Nachbartisch: Die dortige, noch junge Wahlleiterin ließ ihre Gesinnung immer wieder durchblicken. Ihre geschwätzigen Verlautbarungen gipfelten in der Feststellung, daß „bei der letzten Wahl“ ein ganzes Seniorenheim AfD gewählt habe. Woher mochte dieses Wissen stammen? Technisch ist es nicht möglich, eine Verbindung zwischen Wahlschein und Stimmzettel herzustellen. Mittels Sechsaugenprinzip wurde an meinem Tisch gezählt, und als eine Stimme fehlte, ging es erneut zur Sache, bis der fehlende Stimmzettel gefunden wurde, der noch in einem der weißen Umschläge steckte. Ging es nebenan anders zu?

Zum Absacker begab ich mich im Anschluß in eine Kneipe, die ein guter Bekannter führt. Wir beide machen mit Gewißheit das Kreuz nicht an der gleichen Stelle, sind aber dennoch in der Lage, uns unaufgeregt über politische Gegensätze auszutauschen. Mitten im Gespräch zückte mein Bekannter sein mobiles Endgerät und hielt mir das Foto eines Chats unter die Nase. Dort brüstete sich ein „Wahlhelfer“ wie folgt: „Wir sind uns hier alle einig, sämtliche AfD-Stimmen ungültig zu machen.“ Das „hier“ kann aus der Mitteilung ebensowenig entnommen werden wie der Name der bekennenden Wahlfälscher.


Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, daß es welche gibt, die dafür sind; besonders die, die nicht hingehen müssen.

Erich Maria Remarque (1898–1970)