© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/24 / 21. Juni 2024

„Vorsätzlicher Verfassungsbruch“
Grünen-Ministerin winkt EU-Renaturierungsgesetz durch / Empörung bei Konservativen und Bauernverbänden
Albrecht Rothacher

Es war eine Nacht-und-Nebel-Aktion der scheidenden belgischen Ratspräsidentschaft. Ursprünglich stand nur eine „Aussprache“ der EU-Umweltminister zum „Renaturierungsgesetz“ (Nature Restoration Law/NRL) auf der Tagesordnung. Im Ministerrat braucht es dafür eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 15 Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Doch setzten die Belgier – ihre fragile Anti-Rechts-Regierung wurde am 9. Juni abgewählt – ziemlich unvermittelt eine letze Abstimmung über den wohl folgenreichsten Teil des klimaradikalen „Green Deal“ an.

Finnland, Schweden, die Niederlande, Polen, Ungarn und Italien votierten dagegen. Belgien enthielt sich, doch die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler stimmte für das NRL – gegen den Widerstand des ÖVP-Koalitionspartners und den Willen der Landesregierungen. Damit kann das NRL 20 Tage nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft treten. Die deutsche Amtskollegin Steffi Lemke und ihre grünen Vorfeldorganisationen jubelten – der Deutsche Bauernverband ist entsetzt: „Mit dieser Entscheidung ignorieren die Umweltminister das Ergebnis der Europawahl“, erklärte DBV-Präsident Joachim Rukwied. „Man kann uns Bauern nicht par ordre du mufti vorschreiben, wie wir zu wirtschaften haben.“ Bundeskanzler Karl Nehammer kündigte eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) an. Die Europaministerin und Juristin Karoline Edtstadler (ÖVP) sprach von „vorsätzlichem Verfassungsbruch“. Drei Monate vor den Nationalratswahlen am 28. September hängt der Haussegen zwischen den beiden Verliererparteien der EU-Wahl schief. Herbert Kickl (FPÖ) forderte die Entlassung Gewesslers, während SPÖ und die linksliberalen Neos ihre Anti-Rechts-Brandmauer hochziehen und so das NRL und Gewessler stützen.

Das NRL behauptet, 80 Prozent der EU-Flächen seien ernstlich geschädigt. Deshalb müßten bis 2030 zunächst 20 Prozent und bis 2050 90 Prozent der Flächen mit einem Kostenpunkt von 154 Milliarden Euro renaturiert werden. Flüsse sollten wieder ungestört fließen, Wälder aufgeforstet und Moore wieder bewässert werden. Auf Äckern und Weiden sollen sich durch Zwangsbrachen wieder mehr Insekten und Vögel tummeln, in den Städten mehr Grünflächen entstehen. Das hört sich nicht nur für gestreßte Großstädter alternativlos an.

Niemand ist gegen bunte Frühlingswiesen, keiner mag Parkplätze – außer er sucht gerade einen. Tatsächlich droht durch das NRL eine Flut an Überregulierungen, die in die Eigentums- und Nutzungsrechte nicht nur der Bauern massiv eingreifen werden. Jeder EU-Staat wird verpflichtet, Renaturierungspläne in Brüssel vorzulegen. Die ursprünglich vorgeschriebene Zwangsstillegung von Ackerflächen ist also längst nicht vom Tisch.