Die Existenz eines jüdischen Staates ist, „abgesehen von Herzensgründen“, für Sergio Benvenuto auf jeden Fall rational zu rechtfertigen und zu befürworten. Sei es doch vor allem deswegen so wichtig, den Juden einen Staat zu sichern, glaubt der Chefredakteur des European Journal of Psychoanalysis, weil das christliche Abendland nicht nur in einer jahrhundertealten Schuld gegenüber den Juden stehe, sondern weil der Antisemitismus weiterhin wie ein Maulwurf unter der Erde wühle, unerwartet ans Tageslicht komme und den „Wahnsinn der Vernichtung“ mit sich bringe (Lettre International, 144/2024). Die erbauliche Rhetorik, der sich im laufenden israelisch-palästinensischen Konflikt alle beugten, betone zwar penetrant, daß wir bei der Betrachtung des Antisemitismus zwischen Bevölkerung und politischer Führung unterscheiden müßten und daß etwa die Bewohner des Gaza-streifens unter der Judenfeindschaft der Hamas am meisten zu leiden hätten. Diese Argumentation verkenne jedoch die historisch vielfach beglaubigte Erfahrung, daß „ganze Völker in delirante Raserei und den Haß der Verfolgung“ verfallen und „vernichtungswütige Führer hervorbringen“ könnten. So kam Adolf Hitler 1933 in freien Wahlen an die Macht, und die Mehrheit der Palästinenser entschied sich 2006 für die bis heute herrschende Terrororganisation der Hamas. Mithin sei die Annahme, daß Völker immer unschuldig sind und immer den Frieden wollen, während sich allein Politiker stets für Gewalt und Krieg entscheiden, ein „populistisches Ammenmärchen“: Denn „oftmals ist die Mehrheit eines Volkes schurkenhafter als ihre Führung“. (ob) www.lettre.de