© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/24 / 21. Juni 2024

Ohne ein Gefühl der Fairneß
Maßnahmenstaat: SPD-Innenministerin Nancy Faeser will Kritik an der politischen Klasse kriminalisieren, um dem eigenen Machtverlust zu entgehen
Thorsten Hinz

Die Bluttat von Mannheim war die logische Steigerung einer Entwicklung, die unsere sogenannten Eliten zugelassen und spätestens mit der Grenzöffnung 2015 sehenden Auges herbeigeführt haben. Ein paar Stichworte nur: massenhafte, unkontrollierte Einwanderung; Gruppenvergewaltigungen, Messer- und Machetenmorde, Drogenkriminalität, Vermüllung der öffentlichen Räume; Schulen, Parks, öffentliche Verkehrsmittel sind zu Gefahrenzonen verkommen; Bahnangestellte suchen Schutz vor sogenannten Schutzsuchenden; Kalifat-Anhänger marschieren auf. Und nun eben ein Polizistenmord und ein knapp fehlgeschlagener Mordversuch an einem Islamismus-Kritiker.

Für eine fähige Innenministerin, die ihrer Aufgabe gerecht zu werden versucht, gäbe es eine Menge zu tun. Nancy Faeser aber ist nicht nur inkompetent – diese Eigenschaft teilt sie mit den meisten ihrer Ministerkollegen –, sie ist auch eine Ideologin, und als solche hat sie andere Prioritäten. Die Arbeitsgruppe Politischer Islam, die ihr Vorgänger Horst Seehofer eingesetzt hatte, wurde von ihr aufgelöst. Würden Seismologen heute prognostizieren, daß morgen der Supervulkan unter den Phlegräischen Feldern bei Neapel ausbricht und Europa unter einem Ascheregen zum Verschwinden bringt, würde Nancy Faeser ihre obsessive Apfelplantage um ein weiteres Bäumchen erweitern und fordern: „Jetzt erst recht: Der Kampf gegen Rechts muß verstärkt werden!“ 

Dieser Kampf ist ihr Leitmotiv. Zu den ersten Maßnahmen als Ministerin gehörte ein „Aktionsplan gegen Rechtsextremismus“, den sie im März 2022 vorstellte und der seither immer wieder aktualisiert wird. Ihr Credo lautet: „Ich möchte rechtsextremistische Netzwerke genauso behandeln wie Gruppierungen der Organisierten Kriminalität.“ Kriminell sind faktisch alle und alles, was sich dem rot-grün-woken Weltbild verweigert. Nach ihren Plänen sollen Ein- und Ausreisen von Rechtsextremisten soweit wie möglich verhindert und ihre Geldquellen einfacher durchleuchtet und ausgetrocknet werden. Lokale Polizei- und Ordnungsbehörden wie die Gewerbe- und Gaststättenaufsicht sollen – basierend auf Informationen des Verfassungsschutzes – Veranstaltungen untersagen dürfen. Rechten „Verfassungsfeinden“ wird mit einem Berufsverbot gedroht. Auch eine Verschärfung des Waffenrechts steht auf ihrer Wunschliste, was nach aller Lebenserfahrung nur potentielle Messeropfer, nicht aber Messerstecher betreffen würde. Außerdem will sie „dem Umstand Rechnung tragen, daß Haß im Netz auch unter der Strafbarkeitsgrenze vorkommt. Viele Feinde der Demokratie wissen ganz genau, was auf den Social-Media-Plattformen gerade noch so unter Meinungsfreiheit fällt.“

In der Tageszeitung Die Welt veröffentlichte sie kürzlich einen Gastbeitrag unter der Überschrift: „Es sind verachtenswerte Kriminelle. Genau so müssen sie auch verfolgt werden“. Es ging um Gewaltakte gegen Politiker, Amtsträger, Ehrenamtliche. Ein in der Tat beunruhigendes Phänomen. Ihren Text leitete sie mit dem Verweis auf den politischen Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten und CDU-Mann Walter Lübcke vor fünf Jahren durch einen Neonazi ein. Die Absicht war klar: Die kriminelle Gefahr kommt exklusiv von rechts. Jedoch haben die Morde an Amtsträgern in der Bundesrepublik mit der RAF begonnen, die sich als antifaschistisch und links verstand. Unter den Tisch fiel auch, daß die Gewalttaten beispielsweise gegen medizinisches Personal überwiegend von Zuwanderern verübt werden.

Für Faeser aber scheint alles bestens gewesen zu sein, bis „mit der AfD eine politische Kraft (auftauchte), die die Menschenwürde vieler in unserem Land immer wieder angreift“. Sie gibt sich überzeugt: „Die AfD ist mitverantwortlich für ein zunehmendes Klima von Haß und Gewalt.“ Den Angriff auf den Spitzenkandidaten der sächsischen SPD für die Europawahlen, Matthias Ecke, Anfang Mai nennt sie einen „Kuliminationspunkt“. Das war er keineswegs, er war lediglich ein weiteres Detail in einer langen Kette ähnlicher Vorfälle, die vor allem AfD-Vertreter betreffen. Zwar erwähnt sie in einem Nebensatz, daß Angriffe auf AfD-Politiker gleichfalls unstatthaft seien, doch zum Problem sind die Attacken für die Ministerin erst geworden, seitdem sie das eigene Lager betreffen. 

Weiter sinnierte die SPD-Frau: „Viele erinnern sich an den Satz von Herrn Gauland in Richtung der christdemokratischen Bundeskanzlerin Angela Merkel: ‘Wir werden sie jagen.’ Solche Sätze sind eine Einladung an Gewalttäter, den Worten Taten folgen zu lassen.“ Das ist Blödsinn. Die Regierung zum Teufel jagen, ihr die Sporen geben, sie aus dem Sattel heben – das ist ganz normales Oppositionsvokabular. Faesers frühere Parteivorsitzende Andrea Nahles wollte der Regierung sogar eins „in die Fresse“ geben. Das war die Sprache einer vulgären Juso-Göre, aber kein Grund, dahinter einen Gewaltaufruf zu argwöhnen. Außerdem gehört die Aggressivität, die nun auch Ampel-Politikern entgegenschlägt, zu jener öffentlichen Verrohung, die die Politiker mit ihren Entscheidungen und Unterlassungen überhaupt erst herbeigeführt haben.

Doch Fakten und Argumente haben keine Bedeutung in Faesers Welt. Sie kann nicht argumentieren und diskutieren. Zur Reflexion und Selbstreflexion, zu einer komplexen Betrachtungsweise ist die Ministerin ausweislich ihrer öffentlichen Auftritte und Äußerungen unfähig. Sie wirkt stets wie von manisch-panischen Affekten getrieben. Als Fernsehzuschauer kapituliert man vor ihrem unsteten, nervösen Blick und ihrer hektischen, sprunghaften Redeweise.

Und sie ist beileibe nicht die einzige ihrer Art. Man denke an die FDP-Frau Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die als Militärexpertin dilettiert, ohne je einen Kompetenznachweis erbracht zu haben. Wer DDR-Erfahrung mitbringt, assoziiert unwillkürlich die messerscharfen, wasserstoffblonden Parteisekretärinnen, die mit dogmatischer Beschränktheit und Totschlag-Rhetorik auftrumpften. Beides hätte auch damals kaum Eindruck gemacht und höchstens zum Lachen gereizt, wäre da nicht noch ein drittes, bedrohliches Element hinzugekommen: Die SED-Damen produzierten sich im Vollgefühl der Macht, in deren Namen sie sprachen. Ihr geliehenes Selbstbewußtsein äußerte sich in dem lauernden Blick, der den Andersdenkenden fixierte und besagte: Na, Freundchen, noch ein Wort des Widerspruchs, und du weißt, welcher Dienst dich als Operativvorgang ins Visier nehmen wird! Und  dein Sohn kann sein Wunschstudium vergessen und deine Tochter die Wohnungszuweisung, auf die sie seit fünf Jahren wartet! 

Heute steht die Anzeige nach Paragraph 188 Strafgesetzbuch („Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung“) im Raum, der etablierte Politiker, die ihrerseits die als Staatsfeinde stigmatisierten Kritiker bis aufs Blut peinigen, als schützenswerte Unschuld unangreifbar macht – eine Konstellation, so ganz nach dem Geschmack abgefeimter Sadisten. Im Raum steht weiter die frühmorgendliche Hausdurchsuchung samt Beschlagnahmung sämtlicher Datenträger, deren möglicherweise intime Inhalte ein hervorragendes Erpressungsmaterial abgeben.

Faesers Maßnahmenkataloge laufen auf einen Spitzel- und Überwachungsstaat hinaus. In einer gesunden Gesellschaft würde sich gegen solche dystopischen Aussichten eine allgemeine Protestwelle erheben. Es ginge dabei nicht um links oder rechts, sondern um die Verteidigung eines zivilisatorischen, bürgerlichen Grundkonsenses. Bürgerlichkeit bedeutet in dem Fall: das Gefühl für Fairneß, für Sachlichkeit; die instinktive Ablehnung jedweder ideologischer Verblendung. Es gibt im Land noch ein paar rechtsstaatsliberale Einzelkämpfer, aber keine bürgerliche Trägerschicht mehr. Faesers Haltung ist repräsentativ für den politisch-medialen Komplex und weite Teile der delirierenden Gesellschaft. 

Die Frage, was die Frau antreibt, ist mithin keine private und küchenpsychologische, sondern eine gesellschaftspolitische Angelegenheit. Natürlich geht es zunächst einfach darum, Kritik an der politischen Klasse zu kriminalisieren und letztlich unmöglich zu machen, um den eigenen Machtverlust auszuschließen. Denn in der Sache haben die SPD und die anderen etablierten Parteien ihren Kritikern meist nichts entgegenzusetzen. Sollen sie etwa zugeben, daß sie das Land an den Rand des Abgrunds geführt haben? Wie und als was stünden sie dann wohl da?

Politisch-ideologisch folgen Faeser & Co. Herbert Marcuses „Repressiver Toleranz“. In dem 1965 veröffentlichen Aufsatz erteilte Marcuse der abstrakten, der „reinen“ Toleranz eine Absage, weil sie in der Konsequenz die „Toleranz gegenüber dem radikal Bösen“ bedeute – ein Begriff, den Hannah Arendt auf die nationalsozialistischen Verbrechen gewendet hatte. Mit dieser historischen und moralischen Generalvollmacht ausgestattet, entwarf er das Modell einer „repressiven“ beziehungsweise „befreienden“ Toleranz, die den Rückfall in die Barbarei ein für allemal ausschließen sollte.

Marcuse insistierte auf dem grundlegenden Qualitätsunterschied zwischen der Rechten als der „Partei des Hasses“ und der Linken als der „Partei der Menschlichkeit“ und folgerte: „Befreiende Toleranz würde mithin Intoleranz gegenüber Bewegungen von rechts bedeuten und Duldung von Bewegungen von links.“ Sie gelte nicht nur für Taten, auch für Worte. Man müsse die Rechten – und die Konservativen! – in die Schranken weisen, bevor sie aktiv werden könnten, so daß Intoleranz auch „gegenüber dem Denken, der Meinung und dem Wort geübt wird“.

Marcuse räumte ein, daß ein Entzug der „Rede- und Versammlungsfreiheit“ antidemokratisch und despotisch sei. Als Rechtfertigung zitierte er den britischen Philosophen John Stuart Mill, der den „Despotismus (…) eine im Umgang mit Barbaren legitime Regierungsform“ nannte, sofern „sie darauf abzielt, jene höher zu entwickeln“. Den Marcuse im Tornister, dürfen somit auch die beschränktesten Dummköpfe und Dogmatiker sich als Sendboten der Menschlichkeit und berechtigt fühlen, die rechten Barbaren mit Gewalt auf den freiheitlich-demokratischen, weltoffenen und emanzipatorischen Pfad zu zwingen. 

Dieser Pfad sollte nach Marcuses Vorstellung in eine Gesellschaft führen, „worin der Mensch nicht an Institutionen versklavt ist, welche die Selbstbestimmung von vornherein beeinträchtigen“. Versklavt sei er zur Zeit „unter der Herrschaft der monopolistischen Medien“, die keinen Unterschied zwischen Information und Propaganda kannten und jede „effektive Abweichung, die Anerkennung dessen, was nicht dem Establishment angehört“, blockierten. Das Ergebnis war eine Scheindemokratie, „eine Demokratie mit totalitärer Organisation“.

An dem Punkt kann man Marcuses Analyse sogar einiges abgewinnen. Kritisch wird es, wenn er es zur Mission und zum Privileg der Linken erklärte, eine unverfälschte, wirkliche Demokratie mit antidemokratischen Mitteln und sogar mit Gewalt herzustellen. Um den marxistischen Erlösungsidealismus aufrechtzuerhalten, mußte er den kommunistischen Totalitarismus völlig ausblenden. Er kommt in dem Text überhaupt nicht vor.

Der hybride Anspruch, den Marcuse formulierte, ist im „Kampf gegen Rechts“ wirksam und ist mittlerweile sogar zur Staatsideologie geworden, dem auch ehedem bürgerliche Parteien huldigen. Ihr strategisches Versagen rührt daher, daß sie der Mystifikation des Nationalsozialismus als ein „radikal Böses“ von rechts nichts entgegenzusetzen hatten.

Marcuse würde gewiß staunen, wie geschmeidig der Kapitalismus, den er als Quelle der faschistischen Barbarei überwinden wollte, mit linkem und jetzt wokem Vokabular und Gedankengut kompatibel geht. Es zeichnet sich ab, daß der „Kampf gegen Rechts“ selber in eine Barbarei einmündet, erstens wegen seiner von keinem Widerstand mehr gehemmten, brutalen Dynamik, zweitens weil er in seiner dogmatischen Beschränktheit neuen Gefahren, die Marcuse gar nicht im Auge hatte, Tür und Tor öffnet. Frau Faeser ist eine von vielen blindwütigen Türöffnern.