© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/24 / 21. Juni 2024

Drei Autobahnen, zwei Bahnanschlüsse, ein Flughafen
Infrastruktur: Die mitteldeutschen Airports Leipzig/Halle und Dresden weisen Verluste aus / Staatlicher Filz und schlechte Nachrichten aus Brüssel
Paul Leonhard

Dreißig Sonderflüge mit einigen tausend Fluggästen mit dem Ziel Leipzig wird es während der bis 14. Juli laufenden Fußball-EM geben. Die Mannschaften und Fans kommen unter anderem aus Lissabon, Rom, Amsterdam, Zagreb, Mailand und Linz. Gemessen am Alltag wird es auf dem zwischen Halle und Leipzig gelegenen Rollfeld eng. Zudem müssen auch alle Passagiere, die aus dem Schengen-Raum einreisen, bis 19. Juli kontrolliert werden. Auch deswegen hat die Mitteldeutsche Flughafen AG (MFAG) bereits vor gut einem Jahr eine eigene Projektgruppe gegründet, um diesen Anstrum bewältigen und vor allem aktuell auf Änderungen reagieren zu können. Drei Vorrunden- und ein Achtelfinalspiel sind für die Leipziger Red-Bull-Arena vorgesehen.

Der Sport soll es richten und vergessen machen, in welcher Dauerkrise sich die MFAG befindet. Eine Atempause auch für den früheren Condor-Chef Ralf Teckentrup, den die Betreibergesellschaft der Flughäfen Leipzig/Halle (LEJ) und Dresden (DRS) aus dem Ruhestand geholt hat. Als Berater soll er helfen, die aktuelle Probleme in den Griff zu bekommen und die MFAG zu sanieren. Pleite gehen wird das zu 77,3 Prozent Sachsen und zu 18,5 Prozent Sachsen-Anhalt gehörende Unternehmen – weitere Anteile halten die Städte Leipzig, Halle und Dresden – nicht, denn der sächsische Wirtschaftsminister Michael Dulig (SPD) verspricht, daß sein Bundesland weiterhin zwei Flughäfen haben wird: „Wir sind einer der Hauptgesellschafter und werden unserer Verantwortung dort gerecht werden.“

171 Millionen Euro Umsatz bei Nettoverlust von 36,5 Millionen

Um LEJ zu halten, immerhin nicht nur das nach Frankfurt (1,9 Millionen Tonnen) zweitgrößte Luftfrachtdrehkreuz Deutschlands (1,3 Millionen Tonnen) und Nummer vier in Europa, sondern auch ausgestattet mit einer Nachtflugerlaubnis für Cargo-Maschinen, läßt sich der Freistaat den weiteren Ausbau der Infrastruktur in den kommenden Jahren eine halbe Milliarde Euro kosten. Dabei geht es vor allem um Wachstumsperspektiven für den Frachtverkehr und damit auch um weitere Unternehmensansiedlungen in der Nähe.

So sollen auf einer Hundert-Hektar-Fläche bedeutende Unternehmen in der Größenordnung von BMW, Porsche oder Beiersdorf angesiedelt werden, hofft MFAG-Sprecherin Maret Montavon, in ihrem aktuellen Politikbrief. „Potentielle Interessenten aus Branchen wie Automobil, Halbleiterelektronik, Mikrotechnik, Pharma und Biotechnologie sowie Energietechnik werden bereits genannt.“ Daß Investoren Schlange stehen, daran hat Montavon keinen Zweifel, schließlich „gibt es nur einmal in Europa – und zwar in Leipzig: drei Autobahnen, zwei Bahnanschlüsse und einen Flughafen“.

Am modernen ICE-Bahnhof würden täglich nur zwei ICEs halten, hält das Handelsblatt entgegen und berichtet aktuell von einem – nach vorläufigen Zahlen – im vergangenen Jahr aufgelaufenen Verlust der MFAG von 49,9 Millionen Euro. Überhaupt habe diese noch nie schwarze Zahlen geschrieben und zwischen 2010 und 2023 einen Gesamtverlust von 634 Millionen Euro angehäuft.

2022 habe die MFAG bei 171 Millionen Euro Umsatz einen Nettoverlust von 36,5 Millionen Euro erzielt. Als der MDR über hohe Millionen-Verluste berichtete, hatte das das Flughafenmanagement noch zurückgewiesen. Zwar habe es 2022 Fehlbeträge von insgesamt 39,6 Millionen Euro gegeben, aber diese seien maßgeblich Abschreibungen zuzuschreiben, die aus Investitionen in den 1990er Jahren resultierten und lediglich in den Bilanzen stünden. Tatsächlich hätten LEJ und DRS 25 Millionen Euro operativen Gewinn erwirtschaftet.

„Aufgeblähte Personalkosten, Filz in der Unternehmensführung, hartnäckige Millionenverluste“, so faßt der Tagesspiegel die Situation am Leipziger Flughafen zusammen und berichtet Seltsames: Der auf Druck von kreditgebenden Banken im Februar bestellte Sanierer Andreas Schafhirt sei seit April wochenlang verschwunden gewesen. Was los war und warum die Polizei den Chief Restructuring Officer des Leipziger Flughafens bis Anfang Juni auf der Vermißtenliste führte, ist unklar.

Vieles im Umfeld der Steuergelder verbrennenden MFAG deutet auf Filz. So haben mehrere Ex-Regierungsmitarbeiter indirekt und direkt lukrative Berateraufträge erhalten. Laut der Sächsischen Zeitung wurde etwa der Ex-Chef der Dresdner Staatskanzlei, Hermann Winkler (CDU), mit einem Jahressalär von angeblich 85.000 Euro als Regionalbeauftragter für Flughafenentwicklung zur MFAG weggelobt. Von einem zwischen 2013 und 2017 entstandenen Sanierungsstau ist in einem Gutachten der Wirtschaftsberatung KPMG zu lesen.

Während es gelungen ist, den Deutsche-Post-Ableger DHL Express davon zu überzeugen, LEJ zu seinem weltweit größten Drehkeuz mit 7.000 neuen Jobs auszubauen, hat Großkunde Prime Air, eine Luftfahrttochter von Amazon mit 400 Mitarbeitern, den Standort aufgegeben. Andererseits hat die DHL so gut verhandelt, daß die MFAG an diesem Kunden kaum verdienen wird und ihr überdies noch aus der DHL-Flugzeugtankstelle mit ihren Niedrigpreisen Konkurrenz erwächst. Die Briefsparte der Deutschen Post hat zudem ihr 1961 gestartetes Nachtflugnetz im März aus „Nachhaltigkeitsgründen“ vollständig auf die Straße verlagert. Die Ampel novellierte dazu das Postgesetz von 1998: Briefe müssen nun erst am dritten Werktag nach Einwurf beim Empfänger ankommen.

Dennoch sollen in Leipzig mehr Stellplätze für Frachtflugzeuge bereitgestellt werden. Auch die militärische Nutzung wird wohl ausgebaut. Die Passagierzahlen (2019: 2,6 Millionen; 2023: 2,1 Millionen) reichen nur noch für den bundesweiten Platz 12 – nach Memmingen (2,6 Millionen) und vor Bremen (1,8 Millionen). Dresden, wo 2019 noch 1,6 Millionen Fluggäste gezählt wurden, leidet besonders unter dem nach Corona deutschlandweit reduzierten Flugangebot: 2023 wurden weniger als eine Million Passagiere abgefertigt (Platz 18). Aber DRS ist wichtig für die in Dresden-Klotzsche beheimatete Elbe Flugzeugwerke GmbH, die auf die Umrüsung von Airbus A310 und A300 spezialisiert ist, sowie als schnelle Verbindung für das Management der wachsenden Halbleiterindustrie – soweit dieses Linienmaschinen nutzt – zum internationalen Drehkreuz Frankfurt/Main.

Drehkreuzverbindung Leipzig –München wird wieder angeboten

Allerdings tut sich perspektivisch ein zusätzliches Problem auf, das mit den EU-Beihilferegeln zusammenhängt. Nach dem Willen der Wettbewerbskommission dürfen ab April 2027 keine Steuergelder mehr eingesetzt werden, um defizitäre Flughäfen am Leben zu halten. Denn der Luftverkehr gilt als „Klimasünder“. Bei der Bahn dürfen hingegen weiterhin Milliarden verbrannt werden, denn dieser Verkehrsträger gilt prinzipiell als „grün“ und „nachhaltig“.

War Dresden bis zum Einsetzen der EU-Sanktionen ein vorrangiges Ziel von russischen Flugtouristen, die der sächsischen Kulturschätze wegen an die Elbe flogen, hat die MFAG nun Kulturinteressierte aus Übersee, speziell den USA, als Zielgruppe entdeckt. In einer gemeinsamen Werbekampagne mit dem Sächsischen Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (SMWK), den Tourismusmarketinggesellschaften und der Lufthansa sollen die Themen der Fremdenverkehrsbranche mit den Kundendaten der deutschen Airline zusammengebracht werden. Die Umsetzung des subventionierten Pilotprojektes ist ab 2025 geplant. Aber auch über kleinere Brötchen freut man sich schon. So wird ab dem Winterflugplan die Lufthansa wieder die für internationale Flüge wichtige Drehkreuzverbindung Leipzig – München anbieten. Das soll innereuropäische Weiterflugmöglichkeiten insbesondere in Richtung Italien ermöglichen. Geplant ist, die Stecke 14mal pro Woche zu bedienen – falls nicht erneut Engpässe bei der Flugzeugflotte der Lufthansa auftreten.