Marine Le Pen zeigt sich siegessicher. Der Rassemblement National (RN) „hat die Möglichkeit, die Parlamentswahlen“ am 30. Juni und 7. Juli zu gewinnen und „eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, um Frankreich aus der Sackgasse zu führen“, erklärte sie am vergangenen Freitag bei einem Besuch in Hénin-Beaumont (Pas-de-Calais). „Wir werden alle Franzosen, Männer und Frauen guten Willens, die sich der katastrophalen Lage unseres Landes bewußt sind, zusammenbringen“, betonte die 55jährige nach dem Sieg des RN bei der EU-Wahl mit 31,4 Prozent. Abgeschlagen folgten Präsident Emmanuel Macrons Koalition „Brauchen Sie Europa“ mit 14.6 Prozent, Raphaël Glucksmanns sozialistische „Koalition Weckruf für Europa“ (13,8 Prozent), Jean-Luc Mélenchons linke Bewegung „Das Unbeugsame Frankreich“ (9,9 Prozent), die gaullistischen Republikaner 7,3 Prozent und Eric Zemmours rechte Reconquête-Partei sowie die Grünen mit je 5,5 Prozent.
Doch so einfach ist es nicht, denn allein wird es nicht klappen, die Mehrheit zu erringen. Benötigt doch der RN aufgrund des Mehrheitswahlrechts Zusammenschlüsse, um möglichst viele Abgeordnete in die Nationalversammlung entsenden zu können. Zwei Tage nach der EU-Wahl kündigte Republikaner-Chef Eric Ciotti an, daß er sich mit Le Pens Partei für die französischen Wahlen zusammenschließen werde. Doch dies schmeckte vielen Parteifreunden nicht. Am 12. Juni berief die Parteiführung eine Dringlichkeitssitzung in Paris ein, um ihn abzusetzen. „Wir haben soeben einstimmig den Ausschluß von Eric Ciotti aus unserer politischen Familie beschlossen. Er gehört nicht mehr zu den Republikanern“, hieß es anschließend. Ciotti antwortete: „Das Treffen wurde unter eklatantem Verstoß gegen unsere Statuten durchgeführt.“
Im Anschluß setzte das Tribunal judiciaire de Paris den Parteiausschluß Ciottis aus. „Ich übe daher weiterhin meine Funktion als Präsident aus“, freute sich Ciotti. Die Parteiführung konterte: „Die Republikaner werden bei den Parlamentswahlen am 30. Juni und 7. Juli unabhängige Kandidaten aufstellen. Die Sturheit von Herrn Ciotti hat keinen Einfluß auf die politische Realität.“ Zurück bleibt eine höchst verunsicherte, gespaltene Partei. Insider sprechen gegenüber der JUNGEN FREIHEIT von 20 Prozent Unterstützung für Ciotti, zehn Prozent plädieren für ein Bündnis mit Macron und 70 Prozent wollen die Unabhängigkeit der Partei behalten.
Auch Zemmours Reconquête-Partei zeigt sich mehr als gespalten. Im Mittelpunkt die Nichte Marine Le Pens, Marion Maréchal. Hatte die Spitzenkandidatin der Reconquête (Rückeroberung) für die Europawahlen kurz vor der EU-Wahl in einem Interview mit dem Figaro Spekulationen über eine mögliche Kooperation mit dem RN bestritten, tat sie das nach der Wahl mit aller Macht. „Das nationale Lager erreichte den historischen Wert von 40 Prozent. Angesichts des Ernstes der Lage in unserem Land“, so Maréchal, traf sie den RN-Spitzenkandidaten Jordan Bardella, um über den Aufbau einer Regierungskoalition zu sprechen. Doch er ließ Maréchal auflaufen und erklärte: „Um ein Bündnis und eine Mehrheit aufzubauen, braucht man Vertrauen.“ Dies habe man gegenüber Zemmour nicht. Maréchal will nun im Vorfeld der vorgezogenen Neuwahlen „ihre eigene Partei aufbauen“. Mit dabei, so der Onlinedienst Brussels Signal, ein Großteil der Parteispitze.
Zemmour spricht von „Verrat“ und weist Behauptungen zurück, er sei nicht bereit, im wichtigen Kampf gegen das linke Wahlbündnis „Die neue Volksfront“ von Sozialisten, Linkspartei, Grüne und Kommunisten Le Pen und Bardella zu unterstützen.